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Der wahre Hitler als wahrer Heino

Serge Thion

 

"Im Februar 1946 sind die Leichen Hitlers, Eva Brauns, von Josef Goebbels, dessen Frau und deren Kindern - insgesamt zehn Personen - auf dem Gelaende unserer Garnison in Magdeburg begraben worden." So - darueber ist man gestolpert - soll es in einem Brief gestanden haben, den der Kamerad Juri Andropow mit heisser Feder dem Kameraden Leonid Breschnew schrieb. (1) Le Monde, die diese Nachricht am 4. April 1995 aufgreift, fuehrt weiter aus, die Knochen, die seit 1946 in fuenf Munitionsbehaeltern lagerten, seien 1970 vom KGB eingeaeschert wurden; darueber gaebe es ein Protokoll. Warum zu diesem Zeitpunkt? Man weiss es nicht. Sicherlich muss man den Grund dafur in den Intrigen und Machtkaempfen suchen, die sich unter den Fuersten des Friedens und der Menschheit abspielten.

Ware es taktlos, bei dieser Gelegenheit an das zu erinnern, was Le Monde selbst als "originelle, unerwartete, als ebenso streng unter medizinischem Gesichtspunkt erarbeitete wie peinliche Ergebnisse" bezeichnet, denn "franzoesische Gerichtsmediziner weisen nach 50 Jahren einen von ihren sowjetischen Kollegen angewandten Trick nach". Vier Aerzte aus Lille - Eric Laurier, Valery Hedonin , Didier Gosset und Pierre Henri Muller - kommentieren in einem Aufsatz mit dem Titel "Die Autopsie der Leiche Hitlers vom Standpunkt der Gerichtsmedizin" (2) den Bericht uber die am 8. Mai 1945 von Stabsarzt Faust Schkarawski samt vierer Assistenten im Leichenhaus einer Berliner Vorortklinik vorgenommene Autopsie. Der Bericht wurde am 11. Mai abgefasst. Aus diesem Bericht stammt die Maer von Hitlers einzigem Hoden, seiner einseitigen Cryptorchidie, die von keinem einzigen aerztlichen Gutachten aus Hitlers Lebenszeit gedeckt wird. Das ist die erste Seltsamkeit. Die zweite von unseren Aerzten aus Lille entdeckte Merkwuerdigkeit ist, dass der Bericht, obwohl 14 Zaehne beschreibend, als Anzahl der Zaehne 15 angibt. Darin sehen sie ein Zeichen dafur, dass die Autopsie, deren Bericht niederzuschreiben drei Tage in Anspruch nahm, ein Blendwerk sei, und dass die sowjetischen Mediziner mit diesen nicht ubereinstimmenden Zahlen einen Hinweis darauf geben wollten, dass sie auf Befehl gearbeitet haben.

Hier nun beginnt man sich zu fragen, ob der Deutungswahn nun nicht auch die wurdigen Kollegen aus Lille erfasst hat. Umso mehr, als sie verkunden: "Das auf diese Weise eingebrachte faktische Indiz (die Zahl 15 fuer die Zaehne) war fein genug, um bis zum heutigen Tage dem Scharfblick verschiedener zu diesem Thema veroeffentlichter kritischer Untersuchungen zu entgehen." Aber damit nicht genug: Den Aeskulaps des Nordens, nicht zufrieden, auf diese Weise die verlorene Ehre der sowjetischen Gerichtsmediziner gerettet und aus Dienern nahezu Dissidenten gemacht zu haben, die schliesslich ebenso Opfer ihrer Hierarchie wie der Befehle des Daemons Stalin waren, gelingt die Entdeckung des wahren Hitlers. Man atmet auf: "Die wirklichen Ueberreste Hitlers werden schliesslich, Ende Mai 1945, in einem Gehoelz in der Nahe Berlins dem deutschen Soldaten Mengershausen, der sie im Garten der Reichskanzlei zuletzt gesehen hatte, gezeigt. Mengershausen erkannte, trotz der fortgeschrittenen Verwesung, Hitlers Koerper." An dieser Leiche waren die beiden Kiefer vollzaehlig. Die Amerikaner hatten am 28. Mai den Zahnarzt Hitlers, Dr. Blaschke - und nicht Blalschke, wie Le Monde schreibt - verhaftet, der ihnen alle Informationen ueber seine zahlreichen zahntechnischen Arbeiten zu geben hatte. Doch der Soldat [Harry] Mengeshausen - und nicht, wie in Le Monde, Mengershausen - konnte Informationen, die zu dieser Zeit noch nicht zugaenglich waren, gar nicht haben. Dazu nur eine Frage: Wer hat ihm den Leichnam gezeigt, wenn nicht die Sowjets, deren Gefangener er war?

Der Artikel von Jean-Yves Nau in der bereits zitierten Le Monde bezieht sich auf "Der Tod Adolf Hitlers" eines gewissen [Lew] Besymenski, erschienen 1968 bei Plon; ein Buch, das ich nicht eingesehen habe. Ich zog einen Bericht eines Mannes vor, der nach eigenem Bekunden die letzten Stunden an der Seite Adolf Hitlers verbracht hat: Hitlers Chauffeur Erich Kempka. Dieser ist es gewesen, der die Verbrennung vorgenommen hat. Dafuer standen ihm mehrere hundert Liter Benzin zur Verfuegung, und er schreibt, dass die gegen Mittag begonnene Verbrennung Hitlers und seiner Frau, die er gerade geehelicht hatte, immer wieder, bis neunzehn Uhr dreissig, von neuem in Gang gesetzt werden musste.(3) Sein Bericht war in den fuenfziger Jahren unter dem vom Verleger gewaehlten Titel "Ich habe Adolf Hitler verbrannt" erschienen.

Der Verleger und Herausgeber Kempkas, Erich Kern, muss gleichwohl gegenueber diesem Bericht von einer gewissen Skepsis erfullt gewesen sein. Als er Kempka, der 1975 starb, von Geruchten erzaehlte, die von leiblichen Uberresten Hitlers in Moskau wissen wollten, antwortete ihm der ehemalige SS-Obersturmbannfuehrer: "Das kann ich nicht glauben. Was ich zu allerletzt vom Fuehrer gesehen habe, war nur ein verkohlter Rest." Hitler hatte am Vortag in seiner Umgebung groessten Wert darauf gelegt, dass sein Leichnam nicht in die Hende der Russen fiele. Zu gleicher Zeit hielt Stalin seine Offiziere vor Ort an, dass man auf jeden Fall die Ueberreste seines Feindes finden und alle Einzelheiten uber dessen Tod in Erfahrung bringen muesse. In den Stunden, die der Bergung des vermeintlichen Leichnams folgten, nahmen die Russen die Gehilfen des Zahnarztes Blaschke, Dr. Bruch und Frau Kaethe Heusermann, die der sowjetischen Kommission alle Dokumente, einschliesslich der Roentgenaufnahmen vom Kiefer des Fuehrers uebergaben, fest. Auch der Techniker Fritz Echtmann wurde festgenommen und aufgefordert, Hitlers Zahnapparat aus dem Gedaechtnis heraus zu zeichnen. Doch keiner dieser Personen wurde die Leiche gezeigt. Der Direktor des russischen Nationalarchivs hat erklaert, im Besitz des Schadels Adolf Hitlers zu sein.(4) Eine Person aus Hitlers Umgebung hat das gleiche vor vierzig Jahren behauptet.(5) Haben wir es hier mit einem Fall spontaner Schoepfung eines Heiligtums zu tun, wovon uns die Kirchengeschichte in Vergangenheit und Gegenwart ausreichend Beispiele gibt? Sind die Gerichtsmediziner aus Lille im Recht - nicht etwa wegen dieses fuenfzehnten Zahnes, sondern weil ihre sowjetischen Kollegen klar erkannt hatten, dalS es eher in ihrem Interesse lag, eine falsche Leiche abzuliefern, als fur das Fehlen der richtigen haften zu muessen?

Es ist bekannt, dass das imaginaere Fortleben Adolf Hitlers - wie auch jenes der Anne Frank - die Vorstellungskraft verschiedener Romanautoren anregte und ein Thema bot, das sie, wie beispielsweise G. Steiner und seine Geschichte des A.H., ihrem Talent entsprechend ausgebeutet haben. Des Fuhrers Tod hat den unterschiedlichsten Gemaelden Raum gegeben, unter denen die Wahl zu treffen, schwer fallt. Die einzige gesicherte Erkenntnis ist, dass, wer alle Dokumente, Erklaerungen und vielfaeltigen Aussagen, die uns aus Richtung Moskau zu den verschiedensten Zeitpunkten zugegangen sind, auf einen Blick betrachtet, sich in eine Gulaschkanone als Vorhoelle versetzt sieht. Dabei handelt es sich um einen relativ einfachen, leicht von anderen zu trennenden historischen Vorgang, der durchaus Gegenstand einer verstandlichen irdischen Darstellung sein koennte. Wollte man sich dagegen an die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, seiner komplexen Ursachen und seiner Entwicklung von Coventry bis Stalingrad machen...

 

ANMERKUNGEN

1 Der Spiegel vom 3. April 1995.

2 Semaine des Hopitaux, 11. 3. 1993.

3 Siehe die Zusammenfassung dieser Geschichte aus der Feder eines "wissenschaftlichen" Redakteurs in Le Monde vom 17. Marz 1993.

4 Erich Kempka: Die letzten Tage mit Adolf Hitler, Rosenheim 1991, 3. Auflage, S. 99.

5 Le Monde vom 22. Februar 1993.


Quelle:Sleipnir, Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik, 2. Nr 2, März-April 1996, S. 32-3.


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