Da haben wir eine Person, die behauptet, die Gaskammern in den deutschen Konzentrationslagern hätten niemals existiert, sie seien ein Mythos, der aus den Schrecken des Krieges kroch. Skandal! Man sagt sich, dieser Mann müsse verrückt, oder schlicht jemand sein, der den Nazis nachtrauert. Dass die Verrückten verrückt spielen und die Nationalsozialisten das Deutschland Hitlers reinzuwaschen suchten, es wäre nur normal. Das Gegenteil müsste überraschen. Einerseits gebe es als Folge der heutigen Lebensbedingungen mehr und mehr Verrückte, wird gesagt. Andererseits hätten die Nazis niemals aufgehört, vom Tausendjährigen Reich zu träumen. Deren Einfluss ist im übrigen, wenn ich meiner Erinnerung vertrauen darf, seit dem Ende des Algerienkrieges und der Auflösung der OAS erheblich zurückgegangen. Wie auch immer dieses Individuum und seine provokanten Thesen einzuordnen seien: der Fall scheint klar und ohne jedes Interesse.
Aber, seltsam, die kleine Meldung bläht sich auf, gewinnt ungeahnte Dimensionen und erobert die Medien ungeachtet wiederholter Mühe, sich mit dem Thema nicht mehr zu befassen. Minister schalten sich ein, Parlamentarier richten Anfragen an die Regierung, und einer von ihnen nutzt gar die Gelegenheit, wie schon zuvor in Deutschland, die Einführung eines Berufsverbotes für "Extremisten" zu verlangen. Seit Oktober 1978 gelingt es der Presse angesichts der Unruhe an der Universität Lyon 2 nicht mehr, die Selbstzensur durchzuhalten: der Betroffene - mit Beleidigungen überhäuft - schlägt um sich und bombardiert die Zeitungen seinerseits mit seinem Recht auf Gegendarstellung. So dass Prozesse geführt werden, das Ausland aufmerksam wird und schliesslich die antirassistische Bewegungen, geführt von der LICA (der Internationalen Liga gegen den Antisemitismus), Anstalten machen, den Übeltäter mit einer Klage zu zerschmettern, die im französischen Recht einigermassen einzigartig ist: er habe "willentlich die Darstellung der GESCHICHTE gefälscht"/1/. Beachten wir die Grossschreibung und sehen wir, wie die Justiz mit dieser Wucherung fertig wird.
Es wird das Gerücht gestreut, wenn auch nicht schwarz auf weiss gedruckt, die Ideen des Herrn Faurisson seien indiskutabel, denn sie stammten von einem Nazi, oder von einem Antisemiten und Anhänger der Nazis. Dass er das eine wie das andere zurückweist, dass er einen diesbezüglichen Prozess wegen Beleidigung gegen den Matin de Paris gewinnt, ändert an der Haltung der Gerüchtestreuer nichts, stützen diese sich doch nicht auf seine Worte, sondern auf die mehr oder minder unsauberen Absichten, die man ihm unterstellt. Nicht nur, dass diese Gesinnungsschnüffelei den Akteuren nicht zur Ehre gereicht: vor allem geht sie an der Frage vollkommen vorbei. Robert Faurisson ist sicherlich ein Mann der Rechten, und, um genau zu sein, eine Art rechter Anarchist. Trotzdem haben ihn - und das ist nicht ohne Bedeutung - seine Schüler und viele seiner Kollegen bis zu dieser Affaire für einen Linken gehalten. Auf jeden Fall ist er ein Einzelner. Was seine politische Einstellung betrifft, so habe ich - soweit sie mir bekannt - nichts Anziehendes gefunden, abgesehen von der Ablehnung intellektueller Tabus und einer gewissen Neigung (die ich teile), sich auf die Seite der Verlierer zu stellen. Das ist in meinen Augen für die Begründung einer politischen Moral noch nicht ausreichend, aber doch eine ganz gute Immunisierung gegenüber den Verführungen der Macht.
Mit aller Kraft zurückzuweisen aber ist das Verfahren, ein Argument - welches auch immer -, weil vom politischen Gegner vorgebracht, automatisch für falsch, für null und nichtig zu erklären. Ich kenne Leute auf der Rechten, die gelegentlich sehr sinnvolles äussern, und Linke, die Dummheiten zu reden in der Lage sind, dass einem das Blut in den Adern stockt. Keines dieser beiden Phänomene, die jedermann bekannt sein dürften, hat damit für sich allein genommen noch je irgendeine politische Ansicht insgesamt verändert. Aber man kann immer etwas lernen, die eigene Position überprüfen und im einzelnen durchaus korrigieren.
Es reicht also nicht, für unsere Feinde - deren Freiheit ebenso wichtig wie die eigene und von dieser nicht zu trennen ist - Redefreiheit zu fordern, selbst wenn sie Feinde eben dieser Freiheit sind: es gilt auch auf dem Recht zu bestehen, diese verstehen zu dürfen, deren Rede interpretieren zu dürfen, ohne sich unsinnigerweise zu Komplizen stempeln zu lassen. Zur Zeit des algerischen Unabhängigkeitskrieges haben meine Freunde und ich irgendwann erfahren müssen, dass es auf Seiten der FLN blutige Säuberungen, Morde, Willkürjustiz und Folterungen gab. Damals ist vor allem die Presse der extremen Rechten auf die Einzelheiten eingegangen; ein gedämpftes Echo aber konnten auch wir vernehmen. Damit war die Solidarität mit den algerischen Kämpfern nicht beendet, denn Algerien sollte wieder den Algeriern gehören. Aber wir behaupteten nicht mehr - wie etwa Jeanson -, die sozialistische Revolution sei in Algerien auf dem Vormarsch. Ist es denn besser, sich in Kinderglauben zu wiegen, statt das, was die faschistische Presse an Wohlfundiertem bringt, zur Kenntnis zu nehmen und den Kampf ohne Illusionen fortzusetzen, wissend, dass es auch Grenzen gibt?
Und war es wenige Jahre später umgekehrt notwendig, auf die Konstruktionen der von Grosschina träumenden Maoisten hereinzufallen, nur weil diese als Linke auftraten? Damals war es der US-Geheimdienst, der berichtete, dass schon vor dem Ende des Kambodscha-Krieges 1975 die Roten Khmer in manchen Gegenden mit extremer Grausamkeit regierten und die Bevölkerung ganzer Landstriche deportierten. Anzuerkennen, dass der CIA in diesem Fall die Wahrheit wiedergab und dass wir, die wir in diesen Berichten nichts als Propaganda sehen wollten, uns geirrt haben: bedeutete das, auch die Intervention der USA und die sich anschliessenden Scheusslichkeiten, all die Massenmorde, zu rechtfertigen? Der Beispiele gibt es Tausende.
Niemand muss sich verpflichtet fühlen - nur weil er merkt, dass er sich geirrt hat -, nun die Tränen missbrauchter Unschuld in die Spalten der gegnerischen Presse zu giessen, auf diese Weise für die klägliche Beichte gesammelter Naivitäten noch einen guten Preis zu erzielen. Schon immer sind Verbrecher Polizisten, Stalinisten Liberale geworden, und Maoisten dinieren bei Giscard. Es gibt sogar falsche Renegaten, die sich mit einer scheinheiligen Reue bedecken, sich einer Art Sympathie für die Roten Khmer zu erinnern meinen; aber nur, um auf diese heute um so heftiger einzuschlagen. Hier wird ein Irrtum durch den nächsten ersetzt.
Faurisson nun ist meines Erachtens ein Mann der Rechten. Was er als politische Bedeutung seiner Thesen betrachtet, interessiert mich nicht besonders. Was seine Motive angeht, so habe ich kein Interesse, sie zu besprechen. Die Thesen selbst aber beziehen sich auf Tatsachen, auf die Wirklichkeit der jüngeren Vergangenheit. Dass ein Mensch von Talent und Qualifikation nicht einfach irgendetwas zu irgendeinem Thema schreibt, ist klar. Es genügt, sich mit einer Frage intensiver befasst zu haben, oder eine bestimmte Situation aus eigenem Erleben zu kennen, um zu bemerken, dass die Spalten unserer Zeitungen und die Regale der Bibliotheken mit allen möglichen Machwerken gefüllt sind, die sich auf den ersten Blick von Arbeiten, die unser Interesse verdienen, nicht unterscheiden. Besonders die schreckliche Tragödie der Deportationen ist zum Gegenstand von Fabulierungskünsten geworden, die nur die einst davon betroffenen sofort als solche erkennen können. Für uns ist es schwerer.
Zu behaupten, die Gaskammern habe es niemals gegeben, lässt einen zunächst an einen Zug unserer Hamburger-Kultur denken, die nur noch eine Moral kennt, nur noch eines zum Ziel hat: Aufmerksamkeit zu erregen, womit und auf wessen Kosten auch immer. Zudem unser skandalumwitterter Protagonist im Kielwasser einer anderen Affäre aufgetaucht ist: der um das Interview mit Darquier de Pellepoix, einem echten Antisemiten, Fossil aus Vichy-Zeiten. Die Gelegenheit, unseren lästigen Notar hier kostengünstig in dessen Nähe und somit zur Entsorgung zu bringen, haben sich unsere Zeitschriften nicht entgehen lassen.
Vor diesem kleinen gegnerischen Häuflein, dessen Realitätssinn sich offenbar verwirrt hatte, baute sich eine beeindruckende nationale sbereinstimmung auf. Minister, Parlamentarier, Publizisten aller Richtungen argwöhnten, die Jugend wüsste zuwenig über die Vergangenheit, wollte gar von dieser nichts wissen. In aller Eile wurde die Ausstrahlung des US-Schinkens "Holocaust" beschlossen. Le Monde schoss aus schwerem Geschütz: mit einer feierlichen Erklärung, unterzeichnet von vierunddreissig der bekanntesten Historiker./2/ Diese folgt der Darstellung der hitler'schen Vernichtungspolitik, so wie sie normalerweise gegeben wird; der letzte Absatz lautet:
"Ein letztes Wort zum Schluss. Jeder ist frei, ein Phänomen wie den hitler'schen Genozid entsprechend seiner eigenen Philosophie zu interpretieren. Jeder ist frei, diesem andere mörderische Unternehmen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gegenüber-zustellen oder nicht gegenüberzustellen; jeder ist durchaus frei, sich vorzustellen oder davon zu träumen, dass diese schrecklichen Dinge nicht stattgefunden haben. Unglücklicherweise haben sie stattgefunden, und niemand kann diese Tatsache leugnen, ohne die Wahrheit zu beleidigen. Es geht nicht um die Frage, wie ein solcher Massenmord technisch möglich war. Er war technisch möglich, denn er hat stattgefunden. Von diesem Punkt müssen alle Forschungen zu diesem Gegenstand ausgehen. An uns ist es, diese Wahrheit schlicht in Erinnerung zu rufen: zur Frage der Existenz der Gaskammern gibt es keine Diskussion und kann es keine geben"
: Da läuteten bei mir die Glocken. Hic jacet lepus: die gelernten Geschichtsschreiber meinen, man solle sich nicht fragen, wie ein Ereignis sich ereignen konnte, weil der Historiker, überzeugt von dessen Existenz, nicht wünscht, dass es in Frage gestellt werde: dies ist eine nicht zu tolerierende Beschränkung, die keiner der beteiligten Historiker für sein eigenes Forschungsgebiet akzeptieren würde. Von hieraus weiterdenkend, packt mich geradezu der Schwindel: über welches historische Ereignis, welcher Art auch immer (sei es wirtschaftlicher, aber auch militärischer, kultureller, sozialer, psychologischer Natur, etc.) könnte ich mir ein Urteil bilden, ohne mich das eine oder andere Mal nach der technischen Art des Vorgangs zu fragen, nach dem Wie des Warum. Ich verstehe gut, warum hervorragende Historiker diesen Text unterzeichnet haben: sie haben es eher aus politischer oder intellektueller Solidarität getan denn aus wirklicher Kompetenz, denn sie arbeiten im grossen und ganzen auf anderen Gebieten. Sie haben im Vertrauen unterschrieben. Ich frage mich nicht, warum andere, ebenso hervorragende Historiker nicht unterschrieben, und auch nicht, warum die eigentlichen Spezialisten sich mehrheitlich enthielten. Was frappierend ist: dass Geschichtsschreiber - aus politischen Gründen, um die Diskussion über die Existenz der Gaskammern zu unterbinden - einen Text formuliert haben, der ausdrücklich die Forschung auf jenes Gebiet beschränkt, welches die vorhergehende Generation bereits bearbeitet hat. Für mich, der sich mit dem Thema ein klein wenig beschäftigt hat, ist das Diktat unzulässig.
Man hält mir entgegen: die Absicht dieses Textes sei es keineswegs, irgendetwas zu verbieten; die Formulierung sei ohne Zweifel etwas ungeschickt, sogar zweideutig: ich hätte ihn auf die unnachsichtigste Art gelesen. Der Text wolle ganz einfach nur sagen, dass die Tatsachen - die Vernichtungspolitik, der massive Einsatz von Gaskammern - bekannt, und eine Vielzahl überzeugender Beweise der Öffentlichkeit zugänglich seien, so dass es absurd wäre, das Offensichtliche leugnen zu wollen. Und man erinnert an die Schriften, die etwa die Existenz von Jesus, Jeanne d'Arc, Napoléon etc. in Zweifel zogen. Ich finde die Vergleiche amüsant, nicht mehr. Alles in allem sagt man mir weiter, ich solle mir über einen Versuch, in der Diskussion über die Gaskammern zu vermitteln, nicht den Kopf zerbrechen: "Es kann darüber keine Diskussion geben". Darin liegt kein geringer Widerspruch. Schriebe jemand, ein General de Gaulle habe niemals essistiert, würde le Monde kaum mehrere Seiten zur Verfügung stellen, ihn zurückzuweisen. Sagte man mir weiter, dass eine Diskussion unter Historikern auch Grenzen kenne, ich wäre nichts als einverstanden. Sicherlich gibt es Thesen, die es nicht verdienen, ausführlich debattiert zu werden. Noch immer erhält die Akademie der Wissenschaften die Quadratur des Kreises betreffende Ausarbeitungen, indes die Akademie aus guten Gründen entschieden hat, derartiges nicht weiter zu verhandeln.
Aber dann muss das, um was es geht, in den Grundzügen auch jedermann klar, muss der Gegenstand nach menschlichem Ermessen erschöpfend erforscht, die Diskussionen um die Anerkennung des Gegenstandes selbst, die Tatsachenfeststellung zu Ende geführt sein. Dann kann das Spiel der Interpretationen sich entfalten. Aber ist das hier eine Diskussion? Wo bleibt die Prüfung der Argumente, deren Bewertung, deren Ablehnung bzw. Akzeptanz unter Berufung auf entsprechende Gründe, etwa durch Analyse der Vereinbarkeit mit dem Kontext.
Nein, was wir in le Monde erlebt haben, das war keine Debatte im eigentlichen Sinn des Wortes (bis auf - wenigstens teilweise - zwei Beiträge von G. Wellers). Die Historiker zeigen mit dieser Erklärung Flagge: dies ist die Version der Ereignisse, wie wir sie unterschreiben; der Gegenstand der Diskussion wird nicht berührt, denn er ist entsprechend unserer Interpretation ausgeschlossen, es kann ihn nicht geben. Man entledigt sich der Schwierigkeit, Faurisson etwas entgegenzusetzen (und darauf wartet ein Teil der Leser), mit Hilfe eines Tricks: ihm zu entgegnen sei unm"glich, einfach weil die Stätte zur Entgegnung fehle (was andere Leser wiederum begrüssen). Es überrascht nicht, dass die Schlussfolgerung dieser Erklärung ungeschickt und zweideutig wirkt. Dies zu vermeiden, hätte sie sich zwischen zwei gleichermassen esstremen Positionen entscheiden, hätte sie entweder sagen müssen: "Das ist alles idiotisch, denn es stimmt nicht mit unserem Denken überein", oder: "Das verletzt uns, das trifft unsere innersten Gefühle, das rührt an Unaussprechliches, wir können eine solche Diskussion, die unser Heiligstes beschimpft und beleidigt, nicht ertragen".
Auf diese erste unausgesprochen im Text enthaltene These werde ich noch zurückkommen, und mich mit ihr auseinandersetzen. Was die zweite betrifft, so wird man mir nicht den Vorwurf machen können, es wäre mir nicht klar, welche Gefühle hier berührt werden; diese verstehe ich sehr wohl. Im übrigen fällt mir auf, dass die Welle der Emotionen bei denen am höchsten geht, die die Zwangsverschickungen nicht selbst erlebt haben. Die Deportierten, soweit ich sie getroffen habe, waren sich bewusst, das Geschehen nur bruchstückhaft erlebt zu haben; sie finden sich in den entsprechenden Berichten nicht immer wieder. Ich will auf diese zweite der Erklärung innewohnende These eingehen, weil sich deren Autoren damit nun in der schwierigen Lage befinden, ihre Verweigerung des Gesprächs - jedenfalls insoweit dieses die Pfade der Orthdoxie verlässt - erklären zu müssen. Sie hätten es vorziehen können zu schweigen, die ganze Angelegenheit mit Verachtung zu behandeln; gewiss wäre auch das ein Umgang mit der Materie, den ich verstehen und bis zu einem gewissen Grade auch gutheissen könnte. Warum sich auch wegen aller möglichen Dinge, die im Laufe der Zeit an einen herangetragen werden, unaufhörlich den Kopf zerbrechen? Warum sich nicht in seine Sicherheit zurückziehen und schmerzhafte oder von vornherein fruchtlose Diskussionen höflichst verweigern? Wer allerdings beschliesst, sich einzumischen, wer es nicht lassen kann, andere überzeugen zu wollen, der muss zur Begründung seiner Positionen bereit sein, der muss zeigen, was er in der Tüte hat; der muss die Nadelstiche der Kritik aushalten.
Seine Haltung in dieser Sache zusammenzufassend, hat mir einer der Unterzeichner der Erklärung gesagt: "Diejenigen, die auf das Allerheiligste der Juden zielen, sind Antisemiten"; eine Anspielung auf das, was man heute mit "Holocaust" - einem der Religion entnommenen Begriff - bezeichnet/3/. Keine Frage, dass die zitierte These in diesem Zusammenhang zurückzuweisen ist. Gewiss mag ein jeder für sich den Platz des Heiligen bestimmen. Andere aber dazu zwingen, die eigenen Glaubensartikel zu übernehmen: nein! Das Heilige ist nichts als eine Kategorie des Geistigen, deren historische Entwicklung - neben anderen - sehr wohl zu verfolgen ist. Allen Formen des Heiligen, die all die verschiedenen Glaubensformen der Menschheit hervorgebracht haben die Ehre erweisen zu wollen, ist unmöglich. Es wäre auch nicht klug, es überhaupt zu versuchen. Mir genügt es, den konkreten Einzelnen in Fleisch und Blut, seine materielle und moralische Freiheit zu respektieren. Es ist vielleicht ganz nützlich, zu einer Zeit, da der Trend auf eine Rückkehr der Religiosität deutet, da die Sprüche eines Ayatollah mit dem Geklöppel des nächstbesten judeo-christlichen Jünglings aufs Angenehmste verbunden werden, wieder einmal darauf zu verweisen, dass Gläubigkeit allein noch keinen Respekt beanspruchen kann. Jeder muss sehen, wie er mit dem eigenen Glauben und dem der Anderen zurechtkommt. Weder Gott noch Meister! Darauf zumindest darf man in einer säkularen Gesellschaft bestehen. Die Verehrer von Götzenbildern sind frei, die Verächter derselben nicht zu beach-ten. Man wird mir vielleicht entgegenhalten, der Schritt, vom Mangel an Respekt für die Heiligtümer der Anderen bis hin zum Versuch der Unterdrückung eines Glaubens, sei klein und schnell getan. In Wirklichkeit werden Götzenbilder nur zerschlagen, um sie durch neue Fetische zu ersetzen. Und die Revolutionäre haben es immer verstanden, den Bereich des Heiligen, den sie zuvor zu zerst"ren und seines Inhalts zu berauben bestrebt waren, zu ihren Gunsten wieder zu erfüllen und zu besetzen. Der Mensch glaubt gerne; und ich vielleicht auch, indem ich meine, dass es nicht so sein sollte.
Es gibt, die Heiligung der mit dem Nationalsozialismus verbundenen Vorgänge zu beenden, einen weiteren Grund von vielleicht beschränkter, aber unabweisbarer Bedeutung: die verflossene Zeit. Für diejenigen, die heute das Mannesalter erreichen, ist der Algerienkrieg ebenso weit entfernt, wie der Krieg von 1914; - und im übrigen sind jeweils am 11. November vor unseren düsteren Heldendenkmälern die Jungen zu sehen, vor Begierde zitternd, es den alten Kämpfern nachzutun. Selbst die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges erscheinen heute in mancher Hinsicht weiter zurückliegend als die Sintflut. Die Art, die Dinge aufzufassen, hat sich gewandelt, und Versuche, die Nachkriegsdiskussionen wiederzubeleben, scheitern. Die Welle der Rückbesinnung bringt vor allem eine Welle der Neubesinnung. Wie es aussieht - es gibt dafür eine Reihe von Indizien -, war die Wirkung der Ausstrahlung der Fernsehserie "Holocaust" zwiespältig./4/
In der Zeitung lese ich einen Aufsatz, der sich mit einem in Deutschland erschienen Buch über Hitler beschäftigt: "Die nach dem Krieg geborenen jungen Deutschen haben hinsichtlich der Politik der Nazis gemischte Gefühle. Unverständnis und Bestürzung angesichts der von den Nazis begangenen Verbrechen, die mit der Wiederausstrahlung der Serie Holocaust erneut auf die Tagesordnung gesetzt wurden, mischen sich mit zunehmender Ungeduld, ja offen gezeigtem Ärger über ihre noch immer mit Schuldgefühlen beladenen, mit hängenden Köpfen herumschleichenden Älteren. Eine Schuld, die sie weder annehmen noch zulassen wollen, an deren Stelle eine kühle, distanzierte, von Komplexen freie Haltung der Wissbegierde gegenüber einem Abschnitt der Geschichte sich entwickelt, von dem sie oft genug nur ungenaue Kenntnis haben, mit dem sich zu beschäftigen sie jedoch nicht ausweichen können: eine Neugier auf die Geschichte."
"Die Verdammung allein genügt nicht: von einem kleinen Häuflein Unbelehrbarer abgesehen, ist die Sache klar. Gebraucht aber werden Informationen und Analysen, damit verstanden wird, was passiert ist, und vor allem, wie es dazu kommen konnte."
Diese neue Art der Hinterfragung durch unsere jungen Nachbarn bestätigt keineswegs die Befürchtungen im Hinblick auf eine unterschwellige Bewegung der Rehabilitation:
"Die Verdammung des Hitlerismus insgesamt kommt durch eine solch entspannte und nonkonforme Haltung nicht zu Schaden, im Gegenteil: sie gerät dadurch nur noch überzeugender. Sie ist damit nicht nur das Resultat einer Behauptung, sondern einer Analyse, einer Bewertung, - die über widersprüchliche Aspekte, über schroffe Brüche nicht hinweggeht, die das offenbar Unzusammenhängende in Hitlers Leben und vor allem in seinem öffentlichen Wirken nicht ausschliesst; und für verschiedenes, in vieler Hinsicht rätselhaft bleibendes, erhellende Interpretationen liefert."/5/
Ich lasse das "rätselhaft bleibende" für einen Moment beiseite und komme auf den Titel der Besprechung zurück: "Hitler ernst nehmen." Dieser Aufsatz, der sich ernsthaft mit den historischen Gegebenheiten zu befassen scheint, stammt gewiss nicht aus der Schule der Revisionisten, zu der Faurisson sich zählt. Beide Arbeiten aber sind durch ein gewisses Gefühl der Distanz, kennzeichnend für diese Periode der Geschichtsschreibung, verwandt. Und genau das ist es, was der Satz, "Die Geschichte wird das Urteil sprechen!", bedeutet. Und eben weil sie dunkel diese Veränderung der Verfassung dieser Vergangenheit spüren - eines Statutes, das sie sich geschaffen haben -, lehnen sich so viele Intellektuelle und Politiker gegen eine Entwicklung, die sie zu verschlingen droht, auf. Die Gewalt der Aktion, der eigenen, die der Mitstreiter, der sberlebenden und der Verschwundenen, klingt noch lange, wenn der Staub die Spuren bereits bedeckt hat, im Bewusstsein nach; indes nehmen diejenigen, die in die Zukunft mitgerissen wurden, davon nichts wahr. Auch ich habe es erfahren; nicht ohne ein Gefühl des Schwindels sehe ich, wieviel Zeit, seit ich selbst an den Ereignissen unmittelbar beteiligt war, verflossen ist, und wie die Erinnerung die alles verformt und schrumpfen lässt.
Diese Schrumpfung birgt zugleich die Antwort auf einen weiteren Einwand, der unter Hinweis auf das Spezifische des jüdischen Schicksals, das sich nicht zuletzt durch die Nazizeit erneut eingeprägt hat, erhoben wird: Was für die Heiligtümer der anderen vielleicht gelten möge, habe bezüglich der Juden keine Gültigkeit, denn hier handele es sich um ein einzigartiges Phänomen, und der Rest der Menschheit schulde dem jüdischen Volk Rechenschaft. Es muss aber doch auch gesagt werden, dass das Schicksal eines jeden einzelnen Menschen und jeder menschlichen Gemeinschaft einzigartig, dass die Besonderheit der Einen den jeweils Anderen nahezu verschlossen ist. Für mich, der ich kein anderes Vaterland als die Inselgruppe meiner Freundschaften und Kontakte kenne, welches ich mir aus dem, was die verschiedenen Länder und Erdteile botenä, geschaffen habe, ist ein Mensch soviel wert wie der andere. Das zwei Menschen gemeinsame aber, das sie einander vergleichbar macht, ist wenig genug und von geringer Bedeutung. Der Reichtum teilweise miteinander verknüpfter, teilweise unabhängig nebeneinander essistierender Einzigartigkeiten, er ist es, der die Bahn, das Gewebe all unseres Wollens und Strebens bildet. Ich kann, nachdem ich diese Erfahrung gemacht habe, nicht erkennen, warum es ein besonderes Glück oder eine besondere Last, ein besonderes Unglück bedeuten soll, ein Jude, oder ein Zulu, ein Melanesier oder Mnong zu sein, - bei aller Verschiedenheit, die diese mehr oder weniger selbstgewählten und angenommenen Gruppenzugehôrigkeiten bedeuten. Ich kann mit den Abstraktionen und Verallgemeinerungen, die wie Kanonenkugeln hin- und hergereicht werden, nichts anfangen. Mit welche Recht wird immer noch gesagt: "Du gehörst zu Denen, ich bin einer von Jenen..."; was sollen diese alten Gespenstern?
Gruppe zu singularisieren, ihr eine von allen anderen unterschiedene Rolle zuzuweisen. Dass eine Ideologie, die sich auf die Vorstellung des Erwähltseins gründet, von vornherein eine Prädisposition schafft, auf unvergleichlicher Besonderheit zu bestehen, ist offensichtlich. Jede menschliche Gemeinschaft aber basiert auf einer ihr eigenen Theophanie, erhält sich im Namen einer in keinerlei Beziehung zu anderen stehenden Innerlichkeit. Man kann sich einer bestimmten Gruppe anschliessen, oder auch nicht.
Niemand wird abstreiten, dass, sobald von oder über Juden geredet wird, über den Zionismus, über Israel, eine Art Gehemmtsein sich breitmacht, wenn nicht gar bewusste Zensur; es sei denn, das Gespräch darüber ist auf die eine oder andere Weise ausdrücklich autorisiert. Um etwas zu verstehenä heisst esä muss man wissen, wovon geredet wird. In Ermangelung einer entsprechenden Sanktion, eines Zeichens der Legitimation ist die Diskussion jeder Verdächtigung ausgesetzt, findet die Debatte einzig auf jener schmutzigen Treppe statt, auf der die Leichen der Hingerichteten in den Tiber geschleift wurden. So kann es dann geschehen, dass Juden und Nichtjuden sich in der Auffassung vereinen, Äusserungen eines Juden, der beispielsweise den Zionismus oder die Politik verschiedener jüdischer Institutionen kritisiert, im Munde eines Heiden für intolerabel zu halten. Das Wort "Jude" selbst wurde lange Zeit in der Sprache der Linken vermieden. Sich die Berechtigung zu verschaffen, sich zu jüdischen Angelegenheiten - in welchem Zusammenhang und unter welchem Gesichtspunkt auch immer - zu äussern, muss zunächst das Schuldigsein beschworen werden. D.h., die Schuld muss von denen, die schuldig sind (die Nazis, deren Parteigänger, die Antisemiten) auf jene übertragen werden, die unschuldig sind, diese Schuld aber aufnehmen sollen, da sie Teil einer Gemeinschaft sind, die die genannten Schuldigen hervorgebracht habe. Der umfassende, weltweite Bezugspunkt, das ist Auschwitz. Auschwitz heisst das Passwort, um durch den Zoll zu kommen. Öffnen Sie eine Zeitschrift an einem beliebigen Tag; Sie finden Auschwitz stets irgendwo erwähnt, in welchem Zusammenhang auch immer. Mit "Auschwitz" ist alles gesagt.
Selbstverständlich ist damit noch gar nichts gesagt. Was aber würde geschehen, wenn ich aus der mir eigenen Verweigerungshaltung der schlichten Konvention gegenüber mich bemühte, die Wirklichkeit hinter diesem Jammertal auszumachenä wenn ich die Bauweise dessen, was historisch betrachtet zunächst als ein ungeheures industrielles und politisches Unternehmen begann, zu verstehen suchte? Wenn ich nun hinter dem Symbol Dinge entdeckte, denen gegenüber das Instrumentarium des verstandesmässigen Begreifens, wie es auch bei anderen Gelegenheiten eingesetzt wird, erfolgreich anzuwenden wäre? Wäre ich dann, das kalte Monster, das vor dem unerträglichen Schauspiel des Schreckens nicht aufhören kann zu räsonnieren?
Ich weiss, es gibt Dinge, für die Worte fehlen. Ich habe einst in Danang, in Vietnam, die tapferen G.I.s Leichen von zweihundert Dorfbewohnern, die in der Nacht von Napalmbomben verbrannt worden waren, in Reihe legen gesehen. Ich stand in der Menge der Vietnamesen, die sprach- und ausdruckslos zusahen. Die Amerikaner witzelten und machten Photos für Zuhause. Was soll man dazu sagen? Wie darüber berichten? Mögen diese Schreckensbilder im Nebel der Leiden der Vergangenheit verschwinden. Möge die Sorge, die Frage nach dem Wie und Warum, denen vorbehalten bleiben, die sich der mühseligen und schmerzhaften Arbeit des Verstandes zu unterziehen bereit sind. Die anderen werden nicht die Kraft aufbringen, das Gefühl, welches die ruhige sberlegung hindert, vom gelegentlich kaltblütig analysierendem Verstand fernzuhalten, was ich gut verstehe; aber dann mögen sie ruhen und schweigen. Denn es handelt sich in der Tat um eine "Banalisierung" - um dieses zur Verteufelung benutzte Wort zu gebrauchen -ä wenn banalisieren bedeutetä allgemein geltende Regeln des Urteilsä der Erkenntnisä ohne Rücksicht auf den Gegenstand der Untersuchung anzuwenden. Der Historiker wird den Zeugen immer schockieren, denn er banalisiert stets das immer einzigartige Erlebnis desjenigen, der durch das Geschehen ging.
Wenn es wirklich darum geht, der jungen Generation bewusst zu machen, was passiert ist, damit es "sich niemals wiederholt", so gilt es, die Wahrheit so unmittelbar wie möglich zu übermitteln, das Geschehen der Deportation aller Mythen, die diese umgeben, zu entkleiden, und so klar wie möglich auf all die Fragen - die nicht ausbleiben werden - zu antworten. Genau darin besteht der den Opfern geschuldete Respekt. Alle Entrüstung, die nicht die Wahrheitssuche im Auge hat (einschliesslich aller möglichen Zweifel), wäre Ausdruck einer eher auf die Gegenwart gemünzten Politik, die die Gegenwart statt der Vergangenheit meint. Wer aber das Leid der Anderen für seine Zwecke instrumentalisiert und missbraucht, sollte auch entsprechend deutlich benannt werden. Zur Zeit sieht es so aus, als ob dieser nolens volens polemische Stil der Politik sich durchsetzen sollte. Ich bitte sehr - ein wenig Übersicht in die Angelegenheit zu bringen -, den politischen Aspekt für einen Moment beiseitezulassen, so dass die Frage gestellt werden kann, ob denn der Komplex der Gaskammern wirklich immer nur als Infragestellung von historischen Tatsachen behandelt werden muss.
Anmerkungen
1. "volontairement faussé la présentation de l'Histoire"; Text der Anzeige durch die LICA.
2. "La politique hitlérienne d'extermination: une déclaration d'historiens", Le Monde, 21. 2. 1979.
3. "Holocaust" aber bedeutet "Brandopfer", die zu biblischen Zeiten von den Juden ihrem Gott dargebrachten Feueropfer.
4. Siehe dazu die Aufsätze von Gilbert Comte in le Monde vom 29. und 30. Mai 1979.
5. Besprechung von Erich Friedberg zum dem Buch von Sebastian Haffner "Anmerkungen zu Hitler", le Monde vom 7. 10. 1979.
Erster Teil, Kapitel 1, "Einführung" von Historische Warheit oder Politische Wahrheit ? Die Macht der Medien : Der Fall Faurisson, Berlin, 1994, Verlag der Freunde, Postfach 350264, 10211 Berlin, S. 5-21. Übertragung aus Französisch von Andreas Wolkenpfosten. ISBN 3-9803896-0-X. Es ist besser das Buch von den Verlag zu kaufen.
Originalausgabe : Serge Thion, Vérité historique ou vérité politique, Paris, La Vieille Taupe, 1980.