Der Prozess gegen die Herausgeber von Sleipnir, bzw. die Gesellschafter des Verlages der Freunde, begann am 19. Juli 1996 mit Antragen der Verteidigung, die Anklageschrift in der vorliegenden Form nicht zur Verhandlung zuzulassen. Die Verteidigung ruegte, dass aus der Anklageschrift, die in ihrem Hauptteil aus offenbar mehr oder weniger willkuerlich angefertigten Kopien einzelner Textteile besteht -- Texte, die wir zum Grossteil redaktionell nicht zu vertreten haben --, nicht hervorgehe, was nun im einzelnen und aus welchen Grunden angeklagt werde. Und fragte in diesem Zusammenhang, ob eine sich auf Michel Jackson beziehende Bemerkung -- die Bestandteil der Anklageschrift ist -- etwa Volksverhetzung sei. Auch wies man darauf hin, dass Teile der Anklageschrift in Englisch gehalten -- Gerichtssprache ist noch immer deutsch -- bzw. gaenzlich unlesbar seien, und beantragte die Zurueckweisung dieser Textsammlung. Antrag abgelehnt; Begruendung, bzw. Stellungnahme des Staatsanwaltes u.a.: die Verteidigung haette sich lesbare Kopien der unlesbaren Stellen besorgen koennen. Dazu der Verteidiger in einem Folgeantrag: Es ist nicht Aufgabe der Verteidigung, die Mangel einer Anklageschrift vorauseilend nachzubessern. Die Verteidigung ruegte den kammerlichen Wildwuchs und stellte fest, die Packung erinnere eher an einen Warenhauskatalog -- "Was darf's denn sein?" -- denn an eine Eroeffnung einer Hauptverhandlung. Antrag abgelehnt; woraus wir schlossen, eine zumindest phantasiebegabte Richterin vor uns zu haben, die moglicherweise meint, auf esoterischem Wege erfahren zu koennen, wovon der Staatsanwalt spricht, worin die Straftat bestuende.
Eine geradezu ausserirdische Phantasie, die fuer das Hier und Heute sich als wenig geeignet erwies und beispielsweise nicht reichte, sich vorstellen zu koennen, dass wir Angeklagten zur Verhandlung nicht ganz unkomplizierter Themen vielleicht Unterlagen mitzubringen und diese europaeischer Manier folgend auf einem Tisch zu plazieren wuenschen. Ensprechende, jeweils detailliert begrundete Antrage wurden abgelehnt. Zudem scheint das Gericht entschlossen, zu einem ungewoehnlichen taktischen Mittel zu greifen, um die Oeffentlichkeit zu hindern, der Verhandlung zu folgen: Am zweiten Prozesstag wurde u.a. der inkriminierte Satz "Adornos Philosophieren ist der Versuch, (...) zu nehmen" (1) in einer Lautstaerke verlesen, die in zwei Meter Entfernung mit Muehe, von den anwesenden Zuhoerern aber nicht aufgenommen werden konnte. Antrage der Verteidiger, die darauf hinwiesen, dass die gebotene Oeffentlichkeit der Verhandlung auch die akustische Wahrnehmbarkeit voraussetzt, und um den Anschluss eines Mikrophons baten, stiessen wiederum auf Ablehnung. Wurde bezueglich des Umfangs der Beschlagnahme bereits das geltende Presserecht mit Fussen getreten, ist man nun offenbar gewillt, wesentliche Bestandteile des Prozessrechts zu liquidieren. Zwischenruf aus dem Zuschauerraum: "Wenn wir hier nichts verstehen, dann koennen Sie die Bundesliga--Ergebnisse verlesen ! "
Wir betrachten unhoerbar vorgetragene Passagen als nicht in den Prozess eingefuehrt, denn Sleipnir ist eine Publikumszeitschrift, und die Oeffentlichkeit hat ein Recht zu hoeren, was die Staatsanwaltschaft an den Aufsaetzen aus dem Bereich der Kultur, der Geschichte und der Politik beanstandet.
Zur systematischen Verletzung des Presserechts das folgende: Im Berliner Pressegesetz steht in § 13 (zum Umfang einer eventuellen Beschlagnahme): "1) Die Anordnung der Beschlagnahme erfaSt nur die Stucke eines Druckwerks, die sich im Besitz des Verfassers, Verlegers, Herausgebers, Redakteurs, Handlers oder anderer bei der Herstellung, Veroeffentlichung oder Verbreitung mitwirkender Personen befinden, sowie die offentlich ausgelegten oder offentlich angebotenen oder sonst zur Verbreitung oder Vervielfaltigung bestimmten Druckstuecke; die Beschlagnahme kann in der Anordnung noch weiter beschraenkt werden. Die Beschlagnahme kann auf Druckformen, Platten und Matrizen oder entsprechende, den gedanklichen Inhalt der Veroeffentlichung tragende Vervielfaeltigungsmittel ausgedehnt werden."
Das Berliner Pressegesetz wurde veroeffentlicht, ist also einsehbar, und weder die Staatsanwaltschaft noch die politische Polizei kann sich auf Unkenntnis berufen, insbesondere da sie, wie der Hinweis auf der Anklageschrift beweist, von den ebendort bestimmten Verjaehrungsfristen Kenntnis hat und ihr damit auch der Umstand, dass es sich bei Sleipnir um ein Presseorgan handelt, nicht entgangen ist. Wie aber sieht die Praxis aus? Wo das Gesetz von einer Ausdehnung spricht -- also ueber die eigentlichen Presseerzeugnisse hinaus eine Beschlagnahme von materiellen, zur Herstellung unmittelbar benutzten Vorrichtungen wie Druckformen zulaesst -- legen unsere pistolentragenden Besucher erst richtig los: Drei Computer, samtliche Buchungs-- und Abrechnungsunterlagen, sei es auf Papier oder auf Diskette, das Kopiergeraet, die gesamte Korrespondenz (am 15. November 1995) und das gesamte literarische Werk -- Gedichte, Theaterstueck, Drehbucher (ebenfalls bereits am 15. November) -- wurden mitgenommen und bis heute nicht zuruckgegeben. Eine Beschwerde vom 15. November blieb bis heute unbeantwortet.
Dem entspricht der Respekt, der in Berlin dem gebotenen und garantierten Schutz der Informanten entgegengebracht wird. Der Gesetzestext (§ 1 S, Abs. 2 und 3) sagt unmissverstandlich: "2) Die Beschlagnahme von Schriftstuecken und Unterlagen, die sich im Gewahrsam der nach Absatz 1 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen oder der Redaktion, des Verlages, der Druckerei, der Rundfunkanstalt, der sie angehoeren, befinden, ist nicht zulaessig, wenn sie zu dem Zweck erfolgt, l. die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewaehrsmannes von Beitragen oder Unterlagen zu ermitteln oder 2. Tatsachen zu ermitteln, die den zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen anvertraut sind. 3) Fuer Durchsuchungen gilt Absatz 2 entsprechend." Ein schoenes Gesetz, das in Berlin offenbar nicht mehr Wert hat als ein Fetzen Papier. Denn statt von der Wegnahme der entsprechenden Unterlagen Abstand zu nehmen, beschlagnahmte man am 15. November 1995 die gesamte Korrespondenz, die kompletten Adressenlisten und alle sonstigen irgendwie verfuegbaren Aufzeichnungen der Redaktion. Aehnlich -- und unseres Protestes ungeachtet -- bei der erneuten Hausdurchsuchung am 19. Juni 1996. Dass ich die anwesende Staatsanwaeltin H. sowohl am 15. November 1995 auf die geltende Rechtslage hinwies, ihr am 19. Juni 1996 gar aus dem Kommentar zur Strafprozessordnung (Dreher/Troendle §74, Rn.7) vorlas, entlockte dieser jeweils nur ein Lacheln. Brachen und brechen diese Beamten das gueltige Pressegesetz aus eigenem Antrieb, oder werden sie von hoherer Stelle dazu ermuntert? Zu fragen ist auch, wie Richter Buckow den am 15. November 1995 morgens um 6.00 Uhr zwecks "Auffinden von Beweismitteln zu Verdacht der Volksverhetzung" ausgestellten und sogleich umgesetzten Hausdurchsuchungsbefehl rechtfertigen will, befanden sich die etwa zu suchenden Beweise -- da in Sleipnir veroeffentlicht zu diesem Zeitpunkt doch bereits im Besitz der Staatsanwaltschaft, die Sleipnir wie jedermann kaeuflich erwerben konnte. Reisst man, um in Zeitschriften zu lesen, eine Familie morgens um 6.00 Uhr aus dem Schlaf und fuellt das Kinderzimmer mit Beamten? Was waere die richtige Bezeichnung fuer diese Praetendenten einer freiheitlich demokratischen Grundordnung?
Die Laessigkeit, mit der in Berlin vorgegangen wird, ist nicht nur geeignet, innenpolitischen Schaden zu produzieren. Der Verfassungsschutzbericht 1995 dieses Landes nennt unseren Autor Serge Thion im Kapitel "Rechtsextremismus". Die Berliner Staatsanwaltschaft wiederum hat es in ihrer Anklageschrift gegen den Verlag der Freunde und die Redaktion von Sleipnir fuer angebracht gehalten, Serge Thion u.a. als Autoren des Filmes "Jud Suess" -- den wir ausschliesslich zu wissenschaftlichen und aehnlichen besonderen Zwecken zugaenglich machten -- einzusetzen. Thion, der 1942 geboren wurde, musste den Film dann im zarten Alter gedreht haben... Die Episode ist charakteristisch fuer die Sorgfalt und die Intelligenz, mit der diese Klageschrift erstellt wurde . Serge Thion , mit dessen Buch "Historische oder Politische Wahrheit? Die Macht der Medien: Der Fall Faurisson" im Jahre 1994 unser Verlag erstmals an die Oeffentlichkeit trat, lebt und arbeitet seit Jahrzehnten in einem linksliberalen, libertaren Umfeld. Er war der erste, der 1964, als Nelson Mandela in Rivonia zu lebenslanger Haft verurteilt wurde -- und ansonsten nicht weiter bekannt war -- dessen Stellungnahme in diesem Prozess ins Franzoesische uebertrug und im Mai 1964 in Nr. 15/16 eines kleinen Nachrichtenblattes namens Fiches d'informations -- Études anticolonialistes veroeffentlichte. Thion grundete seinerzeit ein Anti--Apartheid--Komitee, an dessen Arbeit sich eine Reihe auch in Deutschland bekannter Publizisten beteiligten, darunter Pierre Vidal--Naquet, Claude Lanzmann, Jean--Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Paul Thibaud und Louis Aragon. Nach siebenundzwanzig Jahren Haft sieht sich Nelson Mandela auch im Westen anerkannt, dessen Massenmedien gelegentliche Marxismen in Mandelas Rede gnadig uberhoren. Und Serge Thion darf Mandelas Londoner Danksagung vom Juli dieses Jahres auch auf sich beziehen: "Unsere Befreiung ist euer Lohn!" Es ist dieser Geist des Kampfes gegen die Unterdrueckung, wo und in welcher Form auch immer sie auftritt, der Serge Thion seit Jahrzehnten die Feder fuehrt. Wir verweisen an dieser Stelle stellvertretend auf sein hervorragendes Buch "Watching Cambodia", erschienen 1993. Eben dieser Einsatz fuer das Menschliche und den einzelnen Menschen war es, der Serge Thion fuer das Recht der Revisionisten streiten, ihn auf die Kampagnen gegen den ehemaligen Buchenwaldhaeftling Paul Rassinier aufmerksam werden liess -- auf eine Kampagne, die ehemalige Haeftlinge, inzwischen zu Macht und Einfluss gekommen, gegen ihren einstigen Mitgefangenen fuehrten, der sie der Uebertreibung und der gewissenlosen eilfertigen Vermarktung des Schreckens zieh. Es ist dieser Geist des Respektes, der Serge Thion wahrnehmen liess, dass ein Professor der Literatur, weil er sich erlaubte, verschiedene Fragen zu stellen, von einer johlenden Meute aus dem Seminarraum gejagt, zwangspensioniert und spaeter in einer Art und Weise von angereisten Schlagern ueberfallen wurde, die ihn nur durch Zufall ueberleben liess. Thion hat sich bei dieser Gelegenheit grundsaetzlich zu dem Problem des Umgangs mit der Geschichte wie mit unserer Gegenwart geaeussert. Wir geben an dieser Stelle einige Passagen aus dem beschlagnahmten Buch:
"Mit aller Kraft zurueckzuweisen aber ist das Verfahren, ein Argument -- welches auch immer--, weil vom politischen Gegner vorgebracht, automatisch fuer falsch, fuer null und nichtig zu erklaeren. Ich kenne Leute auf der Rechten, die gelegentlich sehr Sinnvolles auessern, und Linke, die Dummheiten zu reden in der Lage sind, dass einem das Blut in den Adern stockt. Keines dieser beiden Phaenomene, die jedermann bekannt sein duerften, hat damit fuer sich allein genommen noch je irgendeine politische Ansicht insgesamt veraendert. Aber man kann immer etwas lernen, die eigene Position ueberprufen und im einzelnen durchaus korrigieren. Es reicht also nicht, fuer unsere Feinde -- deren Freiheit ebenso wichtig wie die eigene und von dieser nicht zu trennen ist-- Redefreiheit zu fordern, selbst wenn sie Feinde eben dieser Freiheit sind: Es gilt auch auf dem Recht zu bestehen, diese verstehen zu durfen, deren Rede interpretieren zu duerfen, ohne sich unsinnigerweise zu Komplizen stempeln zu lassen. (...) Es haeufen sich Buecher und Aufsaetze, auf die man keine andere Antwort hat, als: 'Eine solche Frage stellt sich nicht!' In Deutschland sind derartige Buecher verboten, werden ihre Autoren bestraft. Ein sehr kurzsichtiges Verfahren, bei dem nichts Gutes herauskommen kann. Gleichwohl eine Taktik, die ein Teil der Linken fuer geboten halt. Ich haette andere Vorschlage zu machen, und zwar folgende:
1. Einstellung aller Schritte gerichtlicher Verfolgung gegenueber Faurisson (und anderen). Richter sind nicht in der Lage, in diesen Fragen Entscheidungen zu faellen. Auch empfinde ich es nicht gerade als ehrenhaft, ueber einen einzelnen Mann mit der Begruendung, er aeussere abstossende Meinungen, herzufallen. Sich hinter Gesetzen zu verstecken, ist nicht nur billig, es ist vor allem auch dumm. Ich denke an die Gesetze, die die Volksfront mit dem Ziel gemacht hat, die Propaganda der Faschisten niederzuhalten, die zur Zeit des Algerienkrieges dann von der Rechten verwendet worden sind; noch heute werden mit deren Hilfe Buecher unterdrueckt, die 'befreundete' afrikanische Diktaturen aus der Nahe schildern (man vergleiche die Affaeren Alata, Mongo Beti etc.).
2. Eroeffnung einer Diskussion zu den technischen Aspekten der Geschichte. Ohne jeden Zweifel gilt es, die Argumente Faurissons und anderer Revisionisten zu ueberpruefen, ohne jede Angst, in der 'Flut der Einzelheiten unterzugehen'. Die Einzelheiten sind es, die zahlen ! Es waere sehr zu begruessen, wuerde eine Gruppe von Historikern sich dieser Aufgabe unterziehen. Ort und Art der Diskussion muessten diejenigen unter sich ausmachen, die sich ihr zu stellen bereit sind.
3. Erweiterung der Quellenbasis. Es sind Techniker als Berater und Gutachter hinzuzuziehen. Auch wurden eine Reihe von Archiven noch nicht ausgewertet; insbesondere aber muss der Bestand der in Frankreich, in den USA, vor allem aber in der Sowjetunion sich befindenden deutschen Archive erfasst werden. Gewiss waere es nuetzlich, die Verantwortlichen in der Regierung zu entsprechenden Schritten gegenueber den Sowjets zu veranlassen, auf dass diese, im Gegenzug zur Erfuellung ihrer verschiedenen Begehrlichkeiten, den Zugang zu ihren Archiven oeffnen.
4. Die Ergebnisse dieser Forschungen sollten weiten Kreisen der Bevolkerung zugaenglich gemacht werden, gleichwohl ohne ihnen den Charakter offizioeser Verlautbarungen zu verleihen. Es ist wichtig, diese Angelegenheiten unter Leuten von Ehre und auf ehrenhafte Weise zu verhandeln; was bedeutet, dass die Polit-Lobby, seien es die Parteien, die Gewerkschaften, die Kirchen fernzuhalten ist."
Die Verteidiger des Status quo reagieren, nachdem immer groessere Teile der Oeffentlichkeit die Inkonsequenz massgebender Kreise, deren Heuchelei, die Aufgabe bisher geheiligter Prinzipien bemerken, mit sogenannten "Aufrufen zur Wachsamkeit", die in der Praxis nichts anderes bedeuten als Gespraechsverbote. Zu Gespraechsverboten Zuflucht zu nehmen, dem Andersdenkenden die Ausdrucksmoeglichkeit zu verweigern, "kein Forum" zu geben usw., dokumentiert eine offenbar selbst empfundene geistige Unfaehigkeit ebenso wie Gefuehlsarmut und mangelnden Realitaetssinn.
Inzwischen, nachdem wir auf die Gespraechsverweigerung u.a. mit der Zeitschrift Sleipnir geantwortet haben, die von der ersten Ausgabe an das Unvereinbare vereinte und Redeverbote systematisch brach, greift man zu blanker Gewalt und verhangt Geld-- und Haftstrafen. Auch Serge Thion, der Kaempfer fuer die Menschenwurde, muesste bei einer Einreise nach Deutschland eventuell mit einer Verhaftung rechnen: Seine Besprechung des im Piper Verlag erschienenen Buches "Die Krematorien von Auschwitz. Die Technik des Massenmordes" von Jean--Claude Pressac -- ein Buch, das nicht zuletzt mit Hilfe einer Foerderung durch die KlarsfeldFoundation moeglich wurde -- ist inzwischen Teil der Anklage "wegen Volksverhetzung" gegen den Verlag der Freunde.
Wer Serge Thion ist, kann jedermann wissen -- wer aber fuehrt die Hand der Berliner Staatsanwaltschaft, wer oder was ist der Verfassungsschutz? Wenn die Mitteilung Peter Kirscheys nicht dessen eigener Phantasie entsprungen ist, der dort bezueglich unseres Prozesses schrieb, der Verfassungsschutz habe "nach eigenen Angaben so viel Beweismaterial zusammengetragen, dass es den scheinbar harmlosen Verfechtern der Presse-- und Wissenschaftsfreiheit an den Kragen gehen durfte" (2), so waere damit zunachst einmal der Beweis erbracht, dass in Berlin politische Verfahren von einem Geheimdienst gefuehrt werden und nicht von einem unabhaengigen Gericht bzw. der diesem zuarbeitenden Staatsanwaltschaft. Dieser Berliner Verfassungsschutz nun wiederum wird von keinem anderen gefuehrt als von jenem Herrn Vermander, der einst im Auftrag des der Verbindung zur organisierten Kriminlitaet verdachtigten baden-- wurttembergischen Innenminister Birzele (3) taetig ward und bei der Verfolgung des Doktoranden der Max--Planck--Gesellschaft, Germar Rudolf, eine Rolle gespielt haben durfte. (4) Dass Herr Vermander in Berlin praktischerweise neben politischer Einflussnahme auch gleich noch Immobilieninteressen wahrnehmen soll, erinnert an Verhaeltnisse einer Stadt am Main mit der dort charakteristischen Verflechtung von Grossbanken und Immobilienspekulation, von Prostitution, Rauschgifthandel und Theaterblockaden. Der Nachfolger Vermanders in Stuttgart versprach, den unter seinem Vorgaenger undurchsichtigen -- und u. a. wegen exzessiven Abhorens in die Kritik geratenen -- Nachrichtendienst offener zu gestalten; dieser habe sich "in einer Grauzone" (5) befunden. Wozu aber brauchen wir diese Grauzone in Berlin? Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten dagegen gehort ins Programm Berliner Erwachsenenbildung .
Haben wir bislang auf die klarende Wirkung fortgesetzten Lesens im Laufe der Zeit gehofft, so muessen wir feststellen, dass diese Zeit unter den Herbst-- und Fruehjahrsstuermen der Staatsanwaltschaften zu verrinnen beginnt: Den politischen Jagdverbaenden ist ohne Zweifel ein Schlag gegen jenes Etwas gelungen, das Sleipnir lieb war: eine gewisse Zugellosigkeit, Unabgeschlossenheit, Unvollkommenheit, Unbestalltheit. Wir haben Autoren unterschiedlichster Richtungen eingeladen, ihre Gedanken in Sleipnir zu verarbeiten; u.a. Herrn Dr. Richard H., der sich in der Literaturwerkstatt Pankow einst Tagungsstaette des DDR--Schriftstellerverbandes als antifaschistischer Vordenker empfohlen hatte und von der Materie jedenfalls mehr versteht als manch anderer auf diesem Gottesacker. Dass H. zu jener Zeit, da wir uns bei seinem Verlag um die Rechte zum Nachdruck bemuhten, und diese auch erhielten, uns offenbar bereits "wegen Volksverhetzung" indizierte, konnten wir nicht ahnen.
H. befasst sich, wie der Titel seine Buches "Endzeit-Propheten oder die Offensive der Antiwester. Fundamentalismus, Antiamerikanismus und Neue Rechte" ausweist, mit einer hochinteressanten Materie. Wir haetten noch viel Widerspruch von seiner Seite erhofft und erwartet. Schade also! Denn H.s Recht, zu jeder von Menschen erdachten und geschaffenen Staats-- und Gesellschaftsform einen anderen, bzw. einen Gegenentwurf zu erdenken, haetten wir ihm nicht bestritten. Wenn die Antifaschisten heute als BRDler ihre tatsaechlichen oder vermeintlichen Gegner mit zutreffenden oder auch nur behaupteten Vorwurfen in den Knast bringen lassen, so beschaedigen sie vor allem sich selbst. Und setzen sich dem Verdacht aus, stumperhaft und denkfaul an die Ausarbeitung einer tragfaehigen Argumentation nicht gehen zu wollen. Dass Michel Friedman unserer Einladung, auf den Offenen Brief Guenter Deckerts zu antworten, nicht gefolgt ist, bedauern wir. Sleipnir steht, solange es die Zeitschrift gibt, fuer ihn offen.
Indes wir also gerade nicht die Legitimitat des antifaschistischen Massenmordes erklaeren wollen -- auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen im republikanischen Spanien nicht, um nicht stets auf die DDR bzw. Sowjetrussland zu sprechen zu kommen. Das weithin sichtbarste und inzwischen analysierte und aufbereitete Beispiel, wie hinter einem antifaschistischen -- hier: antitotalitaeren -- Rauchvorhang in juengster Zeit der Massenmord geplant und durchgefuehrt wurde, ist der sogenannte Golfkrieg. Das Verdienst, Bilder von der Liquidierung Zehntausender sich wie angekundigt aus Kuweit zuruckziehender irakischer Soldaten veroeffentlicht zu haben, gebuehrt der Zeit. Der antifaschistische Massenmord hat in der Tradition Hitchcocks und Ilja Ehrenburgs eine noch immer ueberlegene Kriegspropaganda entwickelt: die mediale Macht der Luge -- obwohl dem kritischen Leser in wichtigen Teilen erwiesen -- triumphiert unangefochten. Der aktuelle Frontverlauf des Verhaeltnisses von Macht und Moral in der Bundesrepublik laesst sich an Hand der Stellungnahmen zum Krieg gegen den Irak beispielhaft verfolgen. Auch ist zu hoeren, dass Ruanda, bevor es explodierte, ein Vorzeigeobjekt der Entwicklungshilfe u. a. des Landes Nordrhein--Westfalen gewesen sei. Haben unsere kritischen Magazine jemals die Frage nach der Verantwortung Duesseldorfs gestellt? Massiv gelogen wird auch im Fall Sudslawiens: Es handelt sich bei Kroaten, Serben und Bosniern eben nicht um Angehoerige verschiedener Voelker; auch wenn die Bosniaken jetzt versuchen, die Luege zu zementieren, aus kulturell bedingten sprachlichen Differenzen kuenstlich eine eigene Sprache zu schaffen. In Bosnien tobt nicht der Krieg des 19. Jahrhunderts, der Krieg der Voelker, sondern der Krieg der Kulturen. In Sudslawien findet -- wie zuvor bereits im Libanon und schwebend in Israel -- der Krieg der Zukunft statt: der Krieg des Multikulturalismus.
Wir haben immer die Auffassung vertreten -- und auch der Staatsanwalt konnte das wissen --, dass eine freiheitliche demokratische Grundordnung und die Praxis der Inhaftierung tatsaechlicher oder auch nur vermeintlicher politischer Gegner sich ausschliessen. Dem Recht eines jeden auf freie Aeusserung seines politischen Willens ist stattzugeben. Gesetze, die das Recht auf eine freie Meinungsaeusserung in politischer Hinsicht einschraenken, sind rechtlich unwirksam. Verurteilungen auf Grund von Gesetzen, die mit den Prinzipien der Menschlichkeit nicht in Einklang stehen, konstituieren Verbrechen.
Wir hatten und haben den Eindruck, dass das Wissen um die Bedeutung der Menschenrechte zunehmend schwindet, dass politisch motivierte Nuetzlichkeitsberechnungen an dessen Stelle getreten sind. Wir erhalten von einer zunehmenden Zahl von politisch begruendeten Hausdurchsuchungen, Prozessen und Inhaftierungen Nachricht. Die Frage "Wem nutzt es?" anstelle rechtlicher Erwaegungen zum Massstab zu machen, ist gefaehrlich. Anatoli Iwanow hat in seinem Buch "Logik des Alptraums" u.a. aufgezeigt, wie eine solche Maschine politischer Verdaechtigung und politischer Prozesse, an deren Ende die Vernichtung von Menschenleben steht, in Gang kommt. Und er hat auch gezeigt, dass die Opfer der Respektlosigkeit in einem hohen Mass eben auch jene waren, die diese Uebergriffe einfuehrten und sanktionierten. Das Kapitel "Zukuenftige Opfer" sei insbesondere den Angehoerigen der politischen Polizei, den politischen Abteilungen der Staatsanwaltschaften, den aus politischen Gruenden verurteilenden Richtern zur Lektuere empfohlen.
Warum haben Sie dann -- wenn Sie gegen den Kommunismus sind -- die Aufsaetze von Kommunisten gedruckt, werden Sie fragen? Weil Kommunisten Menschen sind, weil wir den Eindruck hatten, dass sie in den Medien der BRD in ungenuegendem Masse zu Wort kommen, weil es fuer ein funktionierendes Gemeinwesen von Bedeutung ist, dass alle politischen Richtungen sich ausdrucken und am Willensbildungsprozess teilnehmen koennen. Ja, man kann sich mit Kommunisten, wenn man diese naher kennenlernt, sogar befreunden -- ohne die Millionen Opfer, die im Namen dieser Ideologie nicht zuletzt dem deutschen Volk auferlegt wurden, zu vergessen.
Was fuer die oppositionelle Linke gilt, gilt selbstverstaendlich auch fuer die oppositionelle Rechte. Und wir stehen vor dem Phaenomen, dass der Staat, der von den aufmuepfigen 68ern ein faschistischer gescholten wurde -- was aus vielerlei Gruenden falsch war --, heute keine Propagandadelikte, also fuer strafbar gehaltene politische Meinungsaeusserungen, auf der Linken mehr kennt; dafuer fuellt sich der Kescher auf der Rechten. Es ist fuer uns schmerzlich zu sehen, wie wiederum im Namen ehrenwerter Ziele -- noch hat sich die BRD vom Gedanken einer freiheitlich--demokratischen Grundordnung nicht offiziell verabschiedet, wenn die politische Praxis dieser auch zunehmend zuwiderlaeuft -- Recht gebrochen und politisch missliebige Personen ins Gefaengnis geschickt werden. Politische Inhaftierung im Namen der Freiheit und der Menschenrechte aber ist undenkbar, ist eine Pervertierung, ist ein zynischer und hinterhaeltiger Angriff auf eben diese Werte. Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel: Bisher fuer grundlegend gehaltene Vorstellungen werden demontiert. Was aber tritt an deren Stelle? Will man ernsthafterweise diverse Erbsuendekonstrukte und daraus resultierende unberechenbar fliessende Schuldgefuehle zur Grundlage einer Sozialordnung machen?
Die Demontage bislang in Europa geltender Werte bedeutet u.a. einen Abschied von den Ideen der Aufklaerung. Ohne diese ueber Gebuehr idealisieren zu wollen deren Dialektik wurde in der Literatur eindrucksvoll kommentiert --, hat sie der Neuzeit charakteristische Ideen geliefert, steht sie fuer den Anspruch, mittels der menschlichen Verstandeskraefte das eigene Schicksal gestalten zu wollen. Sie steht damit auch fuer die Wertschaetzung des Argumentes in der Auseinandersetzung und bezieht deutlich gegen das Gewaltprinzip Stellung. Dass ernsthaft und von hoechster Stelle auf eine Abschaffung dieses Gedankengutes -- welches mit der Vorstellung von den unausloeschlichen Menschenrechten engstens verbunden ist -- gezielt wurde, verdeutlichte die zu Unrecht "Historikerstreit" genannte Kampagne. Denn was wurde Ernst Nolte, der im Zentrum der Angriffe stand, eigentlich vorgeworfen? Ihm wurde vorgeworfen, unzulaessigerweise etwas verglichen zu haben. Vergleichen aber, so steht es mit und seit Descartes, vergleichen heisst denken. Der sogenannte Historikerstreit markiert den Beginn einer Bewegung geistiger Inquisition, die sich mit dem Volksverhetzungsparagraphen bzw. dessen Verscharfungen von 1994 ins Koerperliche wendet. Die BRD ist mit den Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen und politischen Prozessen (5) gegen Verleger und Publizisten ueber die Anfaenge eines totalitaeren Regimes bereits weit hinaus, sie steht vor einem unumkehrbaren Absturz.
Es ist besonders traurig zu erleben, dass diese, die elementaersten Prinzipien einer freiheitlichen Verfassung verletzenden Praktiken mit dem Tod und dem Leid von Menschen begruendet werden, die in der Vergangenheit Opfer von Krieg und Gewalt wurden. Diese Opfer verdienen den Einsatz fuer Demokratie und Menschenrechte, nicht aber deren Bruch.
ANMERKUNGEN
1 Reinhold Oberlercher: "Adorno, das Judentum und die Deutschen", in Sleipnir 2/1995
2 siehe dazu "Braune Bruhe der feineren Art", Neues Deutschland vom 13. 8.96
3 "Ein Politiker in den Faengen der Mafia?", FrankfurterAllgemeine Zeitung, 25. 11. 1993; siehe zu diesem Thema auch "Opposition oder Kollaboration?", Sleipnir 3/196, S. 47
4 Inzwischen wird aus dem Umstand, dass ich die ehemalige Vermieterin Germar Rudolfs anrief und diese fuer unsere Zeitschrift um ein Interview bat, dessen Thema die kurzfristige Kundigung der Rudolfschen Wohnung mit einer politischen Begrundung gewesen ware, eine Notigung konstruiert; erster Verhandlungstag: 18.10.1996, 13.15 Uhr vor dem Amtsgericht Boeblingen.
5 "Verfassungsschutz offener gestalten", in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 10 1995
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Aus Sleipnir, 2, 4, Juli-August 1996, p. 1-5.