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Sündenböcke

Großangriffe des Zionismus auf Papst Pius XII. und auf die
deutschen Regierungen

 

J. G. Burg

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VI.

ISRAEL UND ARABIEN

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Die große Kraftprobe - bisher

Das Heimweh nach dem Lande der Väter und der Wunsch einer Rückkehr dorthin ist im jüdischen Volke durch alle Jahrhunderte lebendig geblieben. Seine Erfüllung war ums Jahr 1800, als die Juden in großen Teilen Europas die bürgerliche Gleichberechtigung erlangten und damit auch die Freizügigkeit gewannen, in greifbare Nähe gerückt worden, und schon bald danach übersiedelten kleine jüdische Gruppen nach Jerusalem. Es waren zumeist alte Juden orthodoxen Glaubens, die im Ölbaumschatten des Berges Zion nicht so sehr zu leben als zu sterben wünschten, weil sie hier dem Paradies am nächsten waren. Ihre Nachkommen leben heute in der Sekte der Neturei-Karta weiter.

Rußland sorgte dafür, daß um die letzte Jahrhundertwende die Sterbesehnsucht jener Alten durch das Lebensverlangen einer jüngeren Generation abgelöst wurde: schon die Ermordung Alexanders II. im Jahr 1881, die von Anarchisten vollbracht, dem Judentum aber aufgebürdet wurde, hatte zahlreiche Juden nach Palästina getrieben, und der grauenvolle Kischinewer Pogrom von 1903, dazu Rußlands gegen Japan verlorener Krieg, der zu den grimmigsten Judenverfolgungen führte, bewirkten eine Massen-Auswanderung unseres Volkes aus dem Zarenreich: die Hauptmasse wandte sich in die USA; doch zog es auch große Scharen ins Gelobte Land, wo sich allmählich etwa 5000 Juden zusammenfanden.

Im Jahr 1896 war Theodor Herzls grundlegendes Werk "Der Judenstaat" erschienen, und ein Jahr später war der erste "Zionistische Kongreß" in Basel abgehalten worden; da die Münchner jüdische Obrigkeit, die geistliche wie die weltliche, es abgelehnt hatte, die Zusammenkunft in München stattfinden zu lassen, war damit die Idee des Zionismus neu belebt, und zahlreiche jüdische Idealisten schauten begeistert nach dem Berge Zion aus. Wenn auch Herzl selber, nach einer Rundfahrt durch Palästina, sich enttäuscht von dem allzu kargen "Lande der Väter" abgewandt hatte, so blieb dieses doch der Traum der jungen Generation, und leidenschaftliche Aktivisten wie David Ben Gurion, der seit 1906 am Jordan wirkte, verhalfen der großen Idee zur Verwirklichung: hatte man um 1900 kaum mehr als 5000 Juden in Palästina gezählt, so wuchs ihre Zahl während des nächsten Jahrzehnts erheblich an - nicht zuletzt dank der finanziellen Unterstützung durch geldstarke Gönner wie den Baron Rothschild, den früher genannten Baron Hirsch und andere, die schon den "todessehn-

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süchtigen" Alten geholfen hatten. Es gab freilich auch Gegner der zionistischen Idee, namentlich in den jüdischen Gemeinden zu London, Paris. Wien und München, doch der Glaube der Jungen im Heiligen Land war unerschütterlich. Im Jahr 1909 wurde die Stadt Tel Aviv - zunächst in Form einiger Baracken - gegründet, und die ersten Kibbuzim entstanden am Jordan.

Nach 1910 kam die Einwanderung ins Stocken; die Osmanische Pforte machte Schwierigkeiten, und die Gelder aus New York flossen spärlicher. Eine Wandlung brachte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs: der Nahe Osten wurde zu einem der Brennpunkte des heißen Völkerringens. Die Erwartung der Alliierten, daß die Türkei, der vielbesprochene, "kranke Mann am Bosporus", bald zusammenbrechen werde, erfüllte sich nicht: im Gegenteil: die Türkei, unterstützt durch ein deutsches Hilfskorps, leistete den englischen Angriffen erbitterten Widerstand. Churchills Gallipoli-Abenteuer brach unter schwersten Blutopfern zusammen, und mit ihm die britische Hoffnung auf die Forcierung der Dardanellen, und im April 1916 mußte der General Townsend in Kut el Amara, der südlich von Bagdad am Tigris gelegenen Festung, sich den deutsch-türkischen Belagerern ergeben und mit seiner Armee in die Gefangenschaft gehen. Damit war Mesopotamien, das Zugangsland zu den südpersischen Ölfeldern, den Engländern bis auf weiteres verloren.

Damals waren die Palästina-Zionisten erstmals als ein - wenn auch sehr kleiner - weltpolitischer Faktor in Erscheinung getreten. Sie waren letzthin auf einige zehntausend Köpfe angewachsen, und da sie sich von der Pforte keinerlei Förderung ihrer Staatsgründungspläne erhoffen konnten, hatten sie sich der britischen Armee als freiwillige Helfer angeboten und aus ihren Reihen größere Späh- und Sabotagetrupps aufgestellt, die im türkischen Hinterland operierten. Unter ihnen zeichnete sich besonders der Partisanenführer Aaronsohn aus, der mit seinen Agenten und Freischärlern den Türken in Syrien empfindliche Verluste beifügte und den Verkehr lähmte. Man sagt, sein draufgängerischer Einsatz habe gewichtig zur Abfassung der späteren Balfour-Declaration beigetragen.

Vorerst freilich dachte England noch nicht daran, diese jüdischen Handlangerdienste zu belohnen; es hatte größere Ziele im Auge: die Niederwerfung Deutschlands und damit seine Ausschaltung aus dem Nahen Osten, gleichzeitig aber auch die Fernhaltung Rußlands von den Dardanellen. Da es diese Ziele im Alleingang nicht erreichen konnte, suchte es Frankreich für sie zu gewinnen; Sir Mark Sykes setzte sich mit dem französischen Nah-Ost-Fachmann Charles Picot zusammen, und drei Wochen nach der britischen Katastrophe von Kut

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el Amara besiegelten die Beiden ein Abkommen, in welchem sie einen Großteil des Osmanischen Reiches unter sich aufteilten, ohne ihn schon zu besitzen: Frankreich sollte Kilikien, Syrien mit dem Hafen Alexandrette und den Libanon erhalten, England aber das südliche Mesopotamien sowie das Küstenland von Palästina mit den Häfen Haifa und Hakko (Akka). - Das war die erste Verschenkung des türkischen Palästinas, die England vornahm: es verschenkte den nördlichen Teil des Landes an die Franzosen, und den südlichen Teil an sich selber.

Während dieser Schacher um fremde Gebiete auf den Landkarten abgezirkelt wurde, kämpfte im weiten arabischen Raum der englische Oberst E. T. Lawrence als britischer Parteigänger mit beduinischen Freischaren gegen die Türken und die Deutschen - mit der Aufgabe, Arabien von der Osmanischen Pforte abzureißen. Zu diesem Zweck verhandelte er auch in Londons Auftrag mit dem Oberhaupt der islamischen Haschemiten-Sekte, Husein Ibn Ali, dem damaligen Emir von Mekka: dieser solle sich offen gegen die Pforte erklären und am Krieg gegen die Mittelmächte teilnehmen, wofür England ihn zum König machen werde. Zur Bekräftigung gab der in Kairo residierende Hochkommissar MacMahon namens der britischen Krone dem Emir eine Garantie-Erklärung, und im Vertrauen auf dieses Dokument ließ sich Husein am 2. November 1916 in Mekka zum "König von Arabien" ausrufen, obwohl man in London ihn nur als "König des Hedschas" gelten ließ, aber vor dem stark erweiterten Titel ein Auge zudrückte, nachdem Husein alle Araber zum "Heiligen Krieg" gegen das türkische Joch aufgerufen hatte. - Das war die zweite Verschenkung des Landes Palästina, die England vornahm: es verschenkte das ganze Gebiet an einen haschemitischen Stammesfürsten, der sich an den heiligen Stätten von Mekka und Medina nicht genügen lassen wollte.

Obwohl man nun in London die arabische Schützenhilfe, die der neue König im Zusammenwirken mit dem Obersten Lawrence den englischen Kriegszielen gewährte, gern annahm, versprach man sich doch nicht allzu viel von ihr und vom schwankenden Nimbus des phantasiereichen britischen Obersten; man besann sich jetzt auch auf den jüdisch-zionistischen Stützpunkt in Palästina und auf Aaronsohns nützliche Agentendienste, die zweifellos noch nützlicher werden konnten, wenn man das geldstarke Weltjudentum in London und New York für die Förderung, Stärkung und Selbständigmachung der etwa 30 000 jüdischen Siedler im Gelobten Land zu interessieren vermochte und damit einen weiteren Pfahl ins Fleisch des kranken Mannes am Bosporus trieb. In diesem Sinne schrieb am 2. November 1917 -

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genau ein Jahr nach dem Tage, an welchem Husein in Mekka sich Arabiens Königskrone aufs Haupt gesetzt hatte - der damalige britische Außenminister Arthur Balfour einen amtlichen Brief an Lord Walter Rothschild, folgenden Inhalts:

"Lieber Lord Rothschild, die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird bemüht sein, die Durchführung dieses Vorhabens nach Kräften zu erleichtern, unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der in Palästina bestehenden nichtjüdischen Gemeinden oder die Rechte und den politischen Status der Juden in irgendeinem anderen Land beeinträchtigen könnte." - Das war die dritte Verschenkung des türkischen Landes Palästina, die England vornahm: mit diesem Schreiben, der sog. Balfour-Declaration, verschenkte es das Gelobte Land an die Zionisten.

Balfours jüdische Berater waren sehr geschickt vorgegangen, als sie den britischen Außenminister bewogen, sein Schreiben nicht an irgendwelche befreundeten Staatschefs zu richten, oder an einen zionistischen Führer, sondern an eine überaus einflußreiche jüdische Privatperson, die in ihrer Eigenschaft als führendes Mitglied der internationalen Hochfinanz alle wichtigen Hebel spielen lassen konnte und es auch tat: Lord Rothschild griff den Gedanken eifrigst auf; er warb für seine Verwirklichung nicht nur bei der geldstarken europäischen Judenschaft, sondern aufs Nachdrücklichste auch in den mächtigen Bankierskreisen der USA, die sich nunmehr der großen Planung annahmen: das Weltjudentum hatte erkannt, daß England sich als Schutzmacht der Juden proklamierte, und es stellte sich jetzt eindeutig auf die Seite Großbritanniens und seiner Kriegsziele.

Etwa achtzig Jahre vor der Balfour-Erklärung versuchten schon britische Politiker die Zionkarte für sich auszuspielen. Der britische Oberst Churchill, der in Damaskus als Konsul und Stabsoffizier der austro-englisch-türkischen Expedition in Syrien tätig war, trat für die Idee "Restoration of the Jews" ein. Diesbezüglich setzte er sich in Verbindung mit der anerkannten britisch-jüdischen Persönlichkeit Sir Moses Montefiore; zugleich bat er auch diesen, er möge für die Idee mit seinen Glaubensgenossen in Preußen in Kontakt treten.

Das war etwas Neues und änderte plötzlich die Blickrichtung der Goldenen Internationale. Bisher hatte das Weltjudentum, alles in allem, mit der Politik der Mittelmächte sympathisiert, besonders mit dem Deutschen Reich und der Donau-Monarchie: diese Sympathie war bereits in den Tagen des Berliner Kongresses von 1878 entstanden, als Fürst Bismarck, der "ehrliche Makler", dafür sorgte, daß die

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verworrenen Verhältnisse auf dem Balkan geordnet wurden: er setzte damals auch durch, daß die balkanischen Juden, vor allem in Rumänien, die Staatsbürgerschaft erhielten, nachdem sie bis dahin als "Staatenlose" geführt worden waren, und diesen Liebesdienst hatte das Judentum dem großen deutschen Kanzler nicht vergessen. Sein wohlwollender Geist hatte weitergewirkt bis ins 20. Jahrhundert hinein: in Deutschland wie auch in Österreich hatten die Juden frei zu leben vermocht; ein Großteil von ihnen hatte sich weitgehend assimiliert und fühlte sich auf seinem politischen Standpunkt bestärkt, als die Mittelmächte 1914 den Kampf gegen Rußland aufnahmen - gegen das Land der grausamen Judenverfolgungen und blutigen Pogrome.

Nicht genug damit: der greise Fürst Bernhard von Bülow, damals schon nicht mehr Reichskanzler, hatte bei Kaiser Wilhelm II. bereits im Zweiten Kriegsjahr angeregt, Deutschland möge die Türkei dazu bestimmen, den Juden das Land Palästina als nationale Heimstätte zu überlassen; es seien zionistische Bestrebungen im Gange, dieses Zugeständnis von englischer Seite zu erlangen, was zur Folge haben müsse, daß die englisch-amerikanische Judenschaft sich auf die Seite der Alliierten schlage und den Mittelmächten in den kämpfenden Rücken falle! - Ein überaus vernünftiger, weit vorausschauender Plan, mit dem sich Kaiser Wilhelm einverstanden erklärt haben soll. Genauere, müßte in den Akten des reichsdeutschen AA zu finden sein . . .

(Mit dem Thema Herzl-Zionismus-Wilhelm II. und von Bülow setzt sich der Jerusalemer Geschichtsforscher Dr. A. Bein auseinander. In der "Zeitschrift für Geschichte der Juden" Tel Aviv, April 1965, glaubt Dr. Bein zu beweisen, daß Herzl mit Wilhelm II. eine Unterredung hatte. Von Bülow aber schreibt in seinen 1930 veröffentlichten Erinnerungen: "Am 29. Oktober (1898) ritten wir in Jerusalem ein . . . Er (Herzl) war Wilhelm . . . vorgestellt worden . . . Wilhelm II. . . . weigerte sich, ihre (zionistischen) Vertreter in Zion zu empfangen." Dr. Bein wirft sogar von Bülow Antizionismus und Wilhelm II. Wortbruch vor. Was aber nicht bewiesen wird. Es scheint, daß solche Arabesken zur Neugestaltung der Geschichte des Zionismus notwendig sind.)

Jedenfalls: während Deutschland noch zögerte, sickerte Einiges von dieser Planung in Konstantinopel durch und gelangte ins Ohr des britischen Secret Service. In London erkannte man "periculum in mora", und diese Erkenntnis beschleunigte die Abfassung der Balfour-Declaration, die, wie gesagt, die Sympathien des Weltjudentums ins britische Kriegslager lenkte.

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Nicht als ob alle jüdischen Kreise von ihr begeistert gewesen wären; sie erweckte auch Widerspruch, ja Proteste seitens maßgebender Juden, so den des antizionistischen Staatssekretärs für Indien, Edwin Samuel Montagu, der die Befürchtung äußerte, durch die Erklärung könnten die in England lebenden Juden zu Ausländern gemacht und in ihrer Existenz gefährdet werden.

Die Zionisten dagegen sahen sich jetzt im Geiste bereits als unumschränkte Herren des Gelobten Landes, und Professor Chaim Weizmann tat damals den, wie schon berichtet, - recht voreiligen - Ausspruch: "Durch die jüdische Einwanderung wird Palästina so jüdisch werden, wie England heute englisch ist!" - Und was mag der andere, der sicherlich schärfere Denker von beiden, David Ben Gurion, sich gedacht haben, als er in Balfours Brief den Satz las: ". . . daß nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der in Palästina bestehenden nichtjüdischen Gemeinden . . . beeinträchtigen könnte" -? Wahrscheinlich hat er sich gedacht.: wie wir später einmal mit diesen Rechten der Anderen im Lande umspringen werden, das bleibt dann unsere Sache. Aber das braucht man ja den Gojim nicht gleich auf die Nase zu binden -!

Im Herbst 1917 war die Vorstellung, der Zionismus könne eines Tages das Gelobte Land beherrschen, ein mehr als verwegener Wunschtraum hitziger Schwärmer; denn ganz Palästina war in der Hand der arabischen Bevölkerung, die seit vielen Hunderten von Jahren alle fruchtbaren Landschaften und Küstenstriche besiedelte und blühende Gemeinden aufgebaut hatte. Die Zahl der eingewanderten Juden mag damals 30 bis 40 000 Köpfe betragen haben; aus der biblischen Zeit waren keinerlei Nachkommen der einstigen Kinder Israel im Lande zurückgeblieben. Aber die späten Ururenkel jener versunkenen zwölf Stämme, die jetzt ins Land ihrer Vorväter einströmten, brachten eine wilde Energie wie auch einen fanatischen Glauben an ihre zionistische Sendung mit, und als sie dann zwischen dem Karmel und dem Toten Meer, zwischen Jaffa und dem Jordan im Zuge ihrer Besitzerrgeifung [sic] auf den wilden Haß und den fanatischen Widerstand der eingesessenen arabischen Stämme prallten, die sich als die Urbevölkerung empfanden, da mußte es eines Tages zu den blutigsten Kämpfen kommen - wie überall dort, wo feindliche Völker sich gegenseitig als Räuber bezeichnen und verfluchen. Wenn nun solche Völker gar noch rassisch nahe verwandt sind als Zweige am gemeinsamen alt-semitischen Völkerbaum, dann nimmt der Kampf zwischen ihnen jene besonders grausame Formen an, die allen Bürgerkriegen eigentümlich sind.

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Als ich in der Nachkriegszeit (1949/50) mit meiner Familie für etwa ein Jahr in Israel lebte, fand ich dort - zwar nicht die befriedigende Arbeit, die mein Heimatverlangen sich ersehnt hatte, dafür aber hinreichend Gelegenheit und Muße, die Geschichte des damals noch blutjungen Staates zu erkunden und seine Gegenwart mit eigenen Augen zu schauen. Das Ergebnis beider Betrachtungen wirkte niederschmetternd auf mich; namentlich die politischen Zustände im Lande und hinter seinen Grenzen erfüllten mich mit tiefer Bekümmernis: ich hatte mir das alles viel positiver, viel heller, viel zukunftsreicher vorgestellt - völkisch-gläubiger Träumer, der unser-einer offenbar ist und bleibt, bis die rauhe Wirklichkeit ihn wieder einmal ernüchtert! - Später, als ich längst wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, habe ich meine am Jordan gewonnenen politischen Erkenntnisse in einen Reisebericht zusammengefaßt, der sich in meinem Buch "Schuld und Schicksal" findet, und der auch einen Satz enthält, den ich hier wiederholen möchte:

"Wenn man streng sachlich und objektiv zurückblickt auf all das Blut, das die Zionisten und ebenso die Araber in der späteren Entwicklung in Palästina vergossen haben, dann muß man erkennen, daß die größte Schuld an allem, was schließlich in Palästina geschah, nicht die Zionisten trifft, auch nicht die Araber, sondern jene englische Politik, die im Interesse ihres Kriegsziels das Land dreimal verschenkte und letzten Endes jenen Zündstoff schuf, an dem später Zehntausende von Menschen zugrunde gingen und viele Hunderttausende in Not und Unglück gestürzt wurden."

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Zwischen dem Erlaß der Balfour-Declaration und dem Ende des Ersten Weltkriegs liegt ziemlich genau ein Jahr, und während dieses Jahres konnten zahlreiche Juden, von jener Erklärung beflügelt, ins Land ihrer Väter einwandern, da das Osmanische Reich damals bereits ganz in die Verteidigung gedrängt worden war und den Zustrom der Erwartungsfreudigen kaum noch zu unterbinden vermochte. - Im sogenannten Friedensschluß von Sèvres, den die Alliierten im August 1920 der Türkei aufzwangen, wurde diese auf das kleinasiatische Anatolien beschränkt, während Frankreich sich in Syrien und am Libanon, England sich in Palästina und Mesopotamien festsetzte - beide als Mandatarmächte des Völkerbundes.

Zwar war die Balfour-Declaration ins britische Mandatsstatut über Palästina eingebaut, auch die Jewish Agency als offizielle zionistische Vertretung anerkannt worden; doch in der Praxis dachten die Eng-

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länder auch jetzt noch nicht daran, ihr den Juden gegebenes Versprechen zu erfüllen: sie waren jetzt und sie blieben die Herren im Lande, nach ihrem alten Grundsatz "You keep what you get!" - Sahen sich somit die Zionisten politisch zunächst einmal enttäuscht, so suchten sie diese Enttäuschung mit umso größerem Eifer auf wirtschaftlichem Gebiet wettzumachen. Seit der Jahreswende 1917/18 hatten sie einen beträchtlichen Einwandererstrom ins Land gelenkt, den ihre Werber vor allem aus dem revolutionär aufgewühlten Rußland, aber auch aus dem übrigen Europa in Bewegung gesetzt hatten; jetzt galt es, diesen Hoffnungsfreudigen, die binnen weniger Jahre auf mehr als 100 000 Köpfe anwuchsen, Arbeit und Brot, Heimat und Zufriedenheit zu bieten. Zu diesem Zwecke kaufte die Jewish Agency durch zahlreiche Vertrauensmänner jedes Stück Land auf, das nur irgend zu haben war - ob fruchtbar oder unfruchtbar, das spielte keine Rolle, da die Landkäufe rein politischer Natur waren. Sie wurden besonders planmäßig mit arabischen Großgrundbesitzern getätigt, die froh waren, Geld für Ödland zu erhalten, aber auch über die Hergabe von großen, ertragreichen Gütern mit sich reden ließen, obgleich sie damit ihren Kleinbauern, vor allem ihren Pächtern, das Brot und das Haus nahmen: denn sobald die Zionisten ein fruchtbares Großgelände erworben hatten, setzten sie ihre eigenen Leute in die Gutswohnungen, bauten Kibbuzim und vertrieben die arabischen Bauern in die Großstädte des Landes, wo diese Entwurzelten früher oder später im Elend der hoffnungslosen Slums verkamen.

Bisher hatte Palästinas Landwirtschaft vom Weideumtrieb und vom Getreideanbau gelebt und im Sinne des Propheten ihr patriarchalisch-karges Auskommen darin gefunden; England aber, die jetzige Gebieterin, war an Getreide vom Jordan nicht interessiert; denn Kanada lieferte den Weizen billiger und reichlicher. Also bewog Sir Herbert Samuel, Palästinas erster Hochkommissar, seine jüdischen Landsleute, sich auf Südfruchtkulturen, insbesondere Zitrusfrüchte umzustellen: England übernehme jede Menge dieser Erzeugnisse zu guten Preisen! Die aktiven Zionisten, allem Fortschritt aufgeschlossen, befolgten die Anregung rasch und fanden sich bald belohnt, während die arabischen Bauern, schwerfällig dem Alten ergeben und ohne die nötigen Kapitalien für Neues, beim Getreideanbau verblieben und ins Hintertreffen gerieten. Ihre anfängliche Entrüstung wandelte sich bald in empörte Erbitterung und wuchs sich schließlich zu gärendem Haß aus - nicht nur gegen die jüdischen Eindringlinge, sondern auch gegen die Mandatarmacht England, in der sie mit Recht die treibende Kraft hinter den fatalen Neuerungen sahen: Neuerungen, die Allah und seinem Propheten ein Greuel sein mußten!

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Also stellten die arabischen Verbände dem Hochkommissar ihre gefährdete Lage vor und verlangten von England eine totale Sperre der jüdischen Einwanderungen. In London aber wollte man sich nichts abtrotzen lassen, und nun griffen die Araber zur bewaffneten Selbsthilfe: im Jahre 1920 kam es erstmals zu blutigen Zusammenstößen zwischen den feindlichen "Brüdern". Die ersten Toten wurden begraben, nicht aber der erwachte Haß, und im Mai 1921 gab es gelegentlich eines Großfeuers in Jaffa schwere arabische Ausschreitungen, die sich zu einem blutigen Pogrom auswuchsen und sich übers ganze Land verbreiteten: der offene Kampf war entbrannt, und Sir Herbert Samuel rang die Hände.

Während sich so im Landesinneren die Lage gefährlich entflammte, ging es hinter seinen Grenzen nicht weniger dramatisch zu: der arabische Großraum kam in Bewegung! Alle arabischen Stammesfürsten zwischen dem Persischen Golf und dem Roten Meer, zwischen dem Tigris und dem Libanon hatten seinerzeit die Balfour-Declaration leidenschaftlich abgelehnt; nur einer von ihnen, der Emir Faisal, hatte sich für sie ausgesprochen, und just diesen Mann riefen die Araber im Jahr 1920 in Damaskus zum König von Syrien aus; doch wurde er schon bald danach von Frankreich, der syrischen Mandatarmacht, vertrieben und im August 1921 auf Betreiben der Engländer zum König des jungen Staates Irak gewählt, mit der Residenz in Bagdad. - Emir Faisal war der dritte Sohn des vormaligen Emirs Husein Ibn Ali, der sich im November 1916 zum "König der Araber" hatte ausrufen lassen, obwohl England ihm nur sein Königreich Hedschas garantiert hatte. Und dieser König Husein war es jetzt, der - unfreiwillig genug - von der großarabischen Kriegswoge bis vor die Tore Jerusalems gespült wurde und im transjordanischen Emirat seines Sohnes Abdallah jetzt Zuflucht suchte - zum ingrimmigsten Unbehagen der Zionisten.

Wie war es dahin gekommen? Welche Kriegswoge hatte ihn ans Ufer des Jordans geworfen? Nun, die Woge war aus dem Herzen der großen Halbinsel aufgebrochen, aus dem Hochland von Nedschd, in dessen Hauptstadt Er Riad seit zweihundert Jahren das Fürstengeschlecht der Al Saud als Oberhaupt der mächtigen, kriegerischen Wahhabiten-Sekte seine Freiheit und dominierende Herrschergewalt behauptet hatte. Unter der im 19. Jahrhundert eingetretenen Oberherrschaft der Osmanischen Pforte waren die Ibn Saud (Söhne des Saud) offiziell als türkische Walis (Statthalter) anerkannt gewesen, praktisch aber selbständig geblieben; als letzter Wali war im Jahr 1913 Abd el Asis, Ibn Saud von der Pforte bestätigt worden. Dieser verwegene, dabei politisch kluge Beduinen-Scheich erkannte

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nach dem Zusammenbruch der Osmanischen Pforte seine große Stunde: im Jahr 1921 nahm er den Titel eines Sultans von Nedschd an, und alsbald rüstete er seine kopf- und waffenstarken wahhabitischen Reiterscharen zum Großangriff auf die heiligen Stätten von Mekka und Medina, die es den verhaßten Haschemiten zu entreißen galt. Hatte doch Husein, nicht zufrieden mit dem Titel eines "Königs der Araber" gerade jetzt die Arroganz gehabt, daneben auch noch die Würde des Kalifen für sich zu beanspruchen, die von der Türkei unlängst abgeschafft worden war!

Es kam jetzt zu dem wohl großartigsten Eroberungsfeldzug der jüngsten Vergangenheit: unter der Fahne des Propheten mit dem weißen Halbmond und den drei Sternen im grünen Felde rückte der zweiundvierzigjährige Ibn Saud im Frühjahr 1924 an der Spitze seiner Kamelreiterschwärme - er focht stets an der Spitze! - aus Er Riad nach Westen ab und zog, ein neuer Mohammed, in Eilritten quer durch Mittelarabien gegen das feindliche Hedschas, das er voller Wucht überrannte: er besetzte die Heiligen Stätten; er stieß an die Küste des Roten Meeres vor, deren Haupthafen Dschidda er im Sturm nahm, und der verblendete Husein sah sich plötzlich als König ohne Land. Er suchte sein Reich zu retten, indem er zugunsten seines Sohnes Ali abdankte; doch Ibn Saud vertrieb schon wenige Monate später auch diesen ihm verhaßten Haschemiten. Er war jetzt unumschränkter Herr über ganz Mittelarabien geworden; bald darauf verglich er sich grenzvertraglich mit der englischen Mandatarmacht in Transjordanien und etwas später auch mit dem Königreich Irak. Nachdem er schließlich noch den Jemen sich unterworfen und mit dessen Imam ein Bündnis geschlossen hatte, stabilisierte er sein großes Königreich unter dem Namen Saudi-Arabien; damit war er zum mächtigsten Herrscher im großarabischen Raum aufgestiegen, und als er 1953 starb, konnte er seinem Nachfolger ein unangreifbares, durch gewaltigen Ölreichtum auch wirtschaftlich gesichertes Erbe übergeben.

Schon im Jahr 1924 hatte es sich gezeigt, daß Englands Parteinahme in Arabien durch den allzu geschäftigen Sachwalter E. T. Lawrence irregeleitet worden war: der phantasiereiche Colonel hatte seinen königlichen Schützling Husein genauso stark überschätzt, wie er dessen Todfeind, den Wahhabiten Ibn Saud, unterschätzt hatte. Der Letztere, von Lawrence nur flüchtig umworben, war dem Befreiungskampf gegen die Pforte fern geblieben, weil er nicht Seite an Seite mit dem haschemitischen "Als-ob-König" die Unabhängigkeit erstreiten wollte; er hatte sich darauf beschränkt, einen Freundschaftsvertrag mit London abzuschließen und im übrigen für den Tag X zu rüsten. England, nach 1918 kriegsmüde und truppenschwach geworden, hat-

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te dem großen Beduinengeier seinen Siegesflug über Arabien nicht verwehren können; es mußte jetzt versuchen, dem eigenen Schützling Husein wenigstens ein Asyl am Jordan zu sichern Schon 1923 hatte man sich entschlossen, das britische Mandatsgebiet Palästina zu teilen in das (jüdische) Westjordanland und das (haschemitische) Ostjordanland mit der Hauptstadt Amman, wo Huseins Sohn Abdallah seit 1921 als Emir regierte. Der britische Hochkommissar in Jerusalem wurde jetzt auch zum Hochkommissar über Transjordanien bestellt: damit begann die unheilvolle Zerstückelung Palästinas, die im Lauf der beiden nächsten Jahrzehnte wahrhaft groteske Formen annehmen sollte.

Hier ist der Platz, eine kurze Betrachtung der englischen Garantiegewährungs-Politik einzuschieben. Das Britische Empire hatte, solange es auf der Höhe seiner Weltmachtstellung thronte, fremden Staaten oftmals ihre Gebiete oder auch ihre Ansprüche garantiert, und auf diese Zusage hatte sich der begönnerte Staat so sicher verlaslen [sic] können wie auf den Wechsel von Tag und Nacht: nur selten einmal war eine britische Garantie zuschanden geworden. Im Bewußtsein dieser ihrer Vormachtstellung hatte nun die britische Krone im Jahr 1915 durch ihren Hochkommissar MacMahon solch eine feierliche Zusicherung gegeben: sie hatte dem Emir von Mekka sein Königreich garantiert; doch der unerwartete Wahhabitensturm aus dem Osten hatte später jenen König samt Krone und Garantie in einen Winkel gefegt, wobei England ohnmächtig zuschauen mußte; denn es war mittlerweile selber hilflos geworden: eine damit sichtbar absinkende Weltmacht -!

Nicht diese Erscheinung an sich bleibt verwunderlich, wohl aber die Tatsache, daß die Regierung Seiner Britischen Majestät, ungewitzigt durch schlimme Erfahrungen, etwa zwanzig Jahre später das Experiment in weitaus verhängnisvollerem Ausmaße wiederholte, indem sie der Republik Polen einen Schutzbrief gegen das Deutsche Reich ausstellte und diesen Schützling derart verblendete, daß er den Zweiten Weltkrieg heraufbeschwor, wie der amerikanische Historiker Professor David Hoggan später in seinem Werk "Der erzwungene Krieg" unwiderleglich bewiesen und damit auch die Unbelehrbarkeit der britischen Diplomatie aufgezeigt hat. Denn jetzt wiederholte sich das arabische Drama von 1916/1924: abermals erhob sich im Osten ein gewaltiger Sturm; diesmal schob er aus Rußlands Tiefen gegen den Westen vor und fegte Englands Schützling samt Schutzbrief und Freiheit in die ostdeutschen Grenzlande hinein: Polen verlor seine angestammten Ostgebiete, erhielt dafür die unerwünschten, weil volksfremden und auch umstrittenen deutschen Ostprovinzen und

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büßte obendrein seine - ach, so verhätschelte - politische Freiheit an den Kommunismus ein, wobei England abermals ohnmächtig zuschauen mußte: denn es war inzwischen selber gänzlich hilflos geworden: eine völlig abgesunkene Weltmacht -!

Dabei sind diese zwei Fälle von mißglückter britischer Garantie-Gewährung nur verhältnismäßig kleine Stücke aus der riesigen Konkursmasse, mit der England seinen Eintritt in die beiden Weltkriege - nicht als Sieger, sondern als Mitbesiegter - überlebt hat: die wirtschaftliche wie die finanzielle Vormachtstellung in der Welt ging ihm verloren: sein stolzes Empire ist zerbröckelt, sein Commonwealth zu einer Fiktion verdünnt zwischen den beiden Weltblöcken der USA und der UdSSR, neben denen jetzt der noch weitaus gefährlichere Riesenblock Rotchina emporsteigt! Besonders beschämend aber muß für jeden aufrechten Briten sein, daß sein stämmiger, grauhaariger "John Bull" heute zur tragikomischen Figur des "Junior-Partners" in der Weltfirma USA herabgesunken ist - in jener Firma, die vordem einmal seine Agentur gewesen war! Und obendrein muß dieser John Bull, wenn er der ständig drohenden Austerity entgehen will, sich heute auch noch um den Beitritt zur kontinentalen EWG bemühen, auf deren Grundnotwendigkeiten er durch einige hundert Jahre hochmütig herabgelächelt hat - meerbeherrschender Importeur und Exporteur, der er gewesen war, solange ihm noch die halbe Welt gehörte -!

John Bull hätte alles weitaus billiger haben können, wenn er sich ums Jahr 1900 mit dem deutschen Vetter zu einem dauerhaften Bündnis zusammengeschlossen hätte: die beiden Reiche würden die Welt zwischen sich zu teilen vermocht haben! Amerika und Rußland wären noch für geraume Zeit auf sich selber verwiesen geblieben, und es hätte keinen Ersten Weltkrieg gegeben, auch kein Versailles, aus dessen Schmachfesseln das gepeinigte Deutschland sich nur dadurch befreien konnte, daß es einen Adolf Hitler auf den Schild erhob! Kein Hitler wäre nötig geworden, kein Zweiter Weltkrieg wäre aufgeflammt, dessen Verlauf das ganze Europa bis in die Grundfesten erschütterte und auch unserm jüdischen Volk einen so fürchterlichen, nur schwer zu verwindenden Schlag versetzte! - Aber John Bull wollte nicht. Er konnte nicht vernünftig denken; er mußte sich austoben. Seit im europäischen Schicksalswendejahr 1896 in der Londoner Presse jene Hetzartikel zu erscheinen begannen, die Deutschlands Vernichtung forderten, weil mit dem Tode jedes einzelnen Deutschen jeder einzelne Engländer "um soviel reicher" sein würde - seitdem gab es in der britischen Politik kein Halten mehr: Deutschlands Einkreisung

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wurde angesponnen, und Männer wie Eduard VII., Lord Grey und Churchill trieben das vermessene Spiel bis zur Explosion.

Die Folgen haben wir erlebt.

Ich weiß, daß Hinterher-Betrachtungen durchaus müßig sind: denn "der Mann, der das Wenn und das Aber erdacht / hat sicher aus Häckerling Gold schon gemacht!" - Und dennoch: nur wer ins Dikkicht [sic] der Weltgeschichte eindringt und auf die tödlichen Fehlentscheidungen hinweist, die sich gewisse Geschichte-Macher geleistet haben, nur der erwirbt sich ein Anrecht auf die Hoffnung, daß mit den selbstmörderischen Wiederholungen des großen Irrsinns endlich einmal Schluß gemacht werde!

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Doch zurück zur Kernfrage dieses Kapitels - Die Zionisten in Palästina hatten nach dem Kriegsende erleben müssen, daß England gar nicht daran dachte, ihnen das versprochene Heimstättenland zu übergeben: sie hatten mit anschauen müssen, wie im Jahr 1921 König Huseins Sohn Abdallah sich nach geschickten Verhandlungen mit Churchill als Emir im benachbarten Amman einrichtete, und wie zwei Jahre später sein Emirat unter dem Namen Transjordanien als britisches Mandatsgebiet etabliert wurde. Wiederum zwei Jahre später hatten sie Ibn Sauds unhemmbaren Vorstoß ans Gestade des Roten Meeres betrachten müssen, und im Jahr 1927 bekamen sie diesen glaubensheftigen Wahhabiten zum Grenznachbarn am handelswichtigen Golf von Akaba, Palästinas Zugang zum Roten Meer: der unbeirrbare Beduine aus Er Riad bedeutete für das Judentum einen weitaus gefährlicheren Gegner, als es König Feisal im Irak oder König Fuad von Ägypten war, der sich jetzt mit England um die Unabhängigkeit seines Nillandes herumraufte. Wenn nun aber gar diese drei arabischen Herrscher eines Tages ihre antizionistische Solidarität gemeinsam gegen den Zionismus ins Feld führen würden, dann war es um die erstrebte jüdische Heimstätte geschehen-!

Nicht genug damit: auch im Innern Palästinas erhob die arabische Bevölkerung sich von Jahr zu Jahr drohender gegen die Anmaßung der landfremden Eindringlinge. Nach den schweren Zusammenstößen von 1920 hatte der in Frankreich geschulte Zionist Wladimir Jabotinski einen bewaffneten jüdischen Selbstschutz in Form einer Legion von 700 Freiwilligen aufgestellt; doch die britische Mandatsregierung hatte diesen energischen Reformator schon bald des Landes verwiesen, und die Araber wühlten weiter. Ihre Arbeiterschaft streikte bei jeder sich bietenden Gelegenheit, freilich erfolglos; der eigentliche

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Kampf um die Vorherrschaft im Lande wurde von den bewaffneten Freischärlern beider Parteien geführt, und das Jahr 1929 brachte besonders blutige Zusammenstöße: damals zeigte sich, daß an eine friedliche Koexistenz nicht mehr zu denken war, und daß eine Versöhnung im Rahmen der Gleichberechtigung beider Völker sich nicht würde erreichen lassen. Die Araber verlangten jetzt ein gesetzliches Verbot der Landverkäufe an Juden und forderten gleichzeitig die Errichtung einer arabischen Regierung auf konstitutioneller Grundlage.

Diesen fast schon ultimativen Forderungen setzten die Zionisten ihren Anspruch auf die kompromißlose Durchführung der Balfour-Declaration entgegen; dazu verlangten sie die ungehemmte jüdische Einwanderung. Sir Herbert Samuel, der britische Hochkommissar, den seine jüdischen Rassegenossen im Jahr 1923 begeistert empfangen hatten, fand sich zwischen zwei Stühlen auf dem Karstboden sitzend: Zionisten wie Araber warfen ihm Parteilichkeit vor, obwohl er doch nur auf ausgleichende Gerechtigkeit bedacht gewesen war; nach fünf Jahren voll aussichtsloser Bemühungen gab er den undankbaren Posten auf und schied achselzuckend von Jerusalem. Sein Nachfolger, Sir Arthur Wauchope, suchte der Dauerkrise dadurch beizukommen, daß er im Jahr 1932 auf einen früheren britischen Selbstverwaltungsplan zurückgriff: er wollte die Gesamtbevölkerung des Landes an die Wahlurnen heranholen, damit sie selber sich ein Regierungsstatut nach eigenen Wünschen verfasse. Doch beide Parteien lehnten dankend ab.

Als im Jahr 1933 Hitlers Machtergreifung in Deutschland zur jäh verstärkten jüdischen Auswanderung nach Palästina geführt hatte, und die Zionisten ihre bisherige Selbstschutz-Miliz jetzt immer stärker bewaffneten, ja, aggressiv ausbauten, riefen die Araber im Frühjahr 1936 schließlich zum Generalstreik im ganzen Land auf, der die Wirtschaft völlig lähmte und zu einem erbitterten Partisanenkrieg führte: Überfälle, Morde und blutige Grausamkeiten waren an der Tagesordnung; überall gab es Tote und Verletzte. Mehr als ein halbes Jahr lang herrschte ein chaotischer Terror zwischen Jaffa und Jordan, und die Araber wähnten bereits, wieder Herren im Lande zu sein. Hatten sie doch jetzt im Großmufti von Jerusalem, Amin el Husseini, einen fanatischen Führer, einen neuen Propheten gefunden, der dank bester Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten seinen Glaubensbrüdern wirksame Hilfe von außen her versprechen konnte. Bevor es aber dazu kam, griff England durch: es schickte Truppen von Malta und Ägypten nach Palästina; mehrere Kriegsschiffe der britischen Mittelmeerflotte ankerten drohend im Hafen von Haifa. Da General Dill, Englands Oberbefehlshaber der Invasionstruppe, den

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offenen Krieg im Lande vermeiden wollte - ein solcher hätte alles nur verschlimmbessert -, suchte er dem blutigen Terror dadurch zu steuern, daß er einen Preis von 500 Pfund für die Aufdeckung jedes einzelnen Mordanschlages aussetzte, - worauf die Araber sofort 500 Pfund auf den Kopf des Generals Dill aussetzten. Vorerst blieb alles auf des Messers Schneide stehen.

Da legten sich die arabischen Nachbarn ins Mittel: an der Spitze König Ibn Saud, mit ihm König Ghasi, der jetzige Herr des Irak, und Emir Abdallah von Transjordanien boten sich in London zur Vermittlung an, und diese wurde angenommen, erwies sich jedoch erst recht als explosiv; denn die drei Söhne des Propheten fühlten sich bereits als Schiedsrichter: sie ermahnten zwar in einem Aufruf ihre aufsässigen Landsleute zur Ruhe, versprachen ihnen aber im gleichen Atemzug ihre Unterstützung. Sie erreichten damit immerhin, daß der arabische Generalstreik nach sieben Monaten wilden Terrors abgebrochen wurde - im Herbst 1936.

Nicht umsonst hatte England das Gelobte Land an drei Aspiranten gleichzeitig verschenkt und damit A, B und C auf einmal gesagt; jetzt mußte es das fatale Alphabet weiter durchbuchstabieren, d. h.: weiterwursteln, und so entsandte man aus London noch vor dem Ende des aufgeregten Jahres 1936 eine Untersuchungskommission unter Führung des Lord Peel nach Jerusalem: sie sollte beide Parteien anhören und danach einen objektiven Lagebericht erstatten. Da aber gleichzeitig mit ihr eine große zionistische Einwanderungswoge, vom britischen Kolonialamt losgelassen, in Palästina anrollte, fühlten sich die Araber wieder einmal überspielt und weigerten sich zunächst, mit dem britischen Lord an einem - wenn auch runden - Tisch zu verhandeln. Erst nach Überwindung größter Schwierigkeiten einigte man sich dahin, daß die Kommission ihre Untersuchungen weiterführen konnte; sie kam schließlich zu dem Ergebnis, daß man Palästina dreifach aufteilen müsse und dieser Plan wurde im Juli 1937 von der Londoner Regierung veröffentlicht.

Die Verlegenheits-Methode, einheitlich gewachsene Staaten zwischen rivalisierenden Mächtegruppen aufzuteilen - sie ist später in Europa wie im Fernen Osten zum Unsegen der Betroffenen immer wieder kaltschnäuzig vorexerziert worden - scheint damals aus Lord Peels Gehirn geboren worden zu sein; doch sie ist diesem Hirn keineswegs so sieghaft entstiegen wie olim Pallas Athene dem Haupt ihres Vater, Zeus. Ihm, dem Lord, fehlte offenbar die scharfsinnige Nüchternheit seines großen Vorfahren Sir Robert Peel, der sich rund hundert Jahre früher mit seinen wirtschaftspolitischen Parlamentsakten einen bleibenden Namen in der Geschichte des Inselreichs ge-

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macht hatte. Oder wie sollen wir es sonst verstehen, daß unser Lord Peel in seinem Kommissionsbericht allen Ernstes vorschlug, Palästina solle in drei Staatsgebiete aufgeteilt werden: in ein jüdisches, das den fruchtbaren Norden des Landes, in ein arabisches, das den unfruchtbaren steinigen Süden des Landes erhalten solle, und in ein britisches Mandatsland, dem die Betreuung der heiligen Stätten Jerusalem, Bethlehem und Nazareth zu übertragen sei. Die rund 300 000 Araber, die bis jetzt den fruchtb[a]ren Norden besiedelten und bebauten, sollten ins südliche Judäa und das noch südlichere Felsenland des Negev (Nedscheb) umgesiedelt werden. Offenbar hatten Lord Peel und seine Mitarbeiter den Eindruck gewonnen, die Araber seien im Grunde doch nur Beduinen und müßten sich somit in jenen Wüstengebieten durchaus wohl fühlen -!

Kaum war dieser Teilungsplan in der Welt bekannt geworden, als auch schon der ganze Islam in leidenschaftlichen Protesten gegen ihn aufstand. Es blieb nicht bei Protesten; es kam zu neuen blutigen Zusammenstößen im Heiligen Lande, wobei England seine dortigen Truppen wiederum verstärkte und vor allem gegen die empörten Araber einsetzte: der Terror sollte gebrochen werden! Jeder Moslim, bei dem man Waffen fand, wurde auf der Stelle füsiliert. Damit erzielte man nun freilich das genaue Gegenteil dessen, was man wünschte; der Terror schwoll weiter an, und gegen Ende 1937 rückte die britische Regierung in einem Weißbuch entschieden von Lord Peels Teilungsplan ab. Ihre neuen Vorschläge brachten allerdings auch keine befriedigende Lösung, und eine Konferenz, die sie ein Jahr später einberief, um auf ihr die Vertreter der Zionisten, der Araber und der islamischen Nachbarfürsten zu einer freien Aussprache zu versammeln, endete gleichfalls ergebnislos.

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Der Zweite Weltkrieg eröffnete weitere Perspektiven auf die Zukunft des Jordanlandes. Als er im Spätsommer 1939 ausbrach, lebten in Palästina bereits etwa 400 000 Juden, die von der zionistischen Führung während der letzten zwanzig Jahre legal oder illegal ins Land gezogen wurden waren; um die Jahreswende 1918/19 hatte man erst knappe 50 000 Juden gezählt. Jetzt aber war der Zionismus zu einem Machtfaktor erstarkt, der sich auch militärisch zu entfalten hoffte: Professor Chaim Weizmann bot im Jahr 1940 dem britischen Premier Churchill, wie schon berichtet, die Aufstellung einer zionistischen Legion in Stärke von 50 000 Mann an, die darauf brennen würden, gegen Deutschland zu kämpfen! England aber winkte zunächst ab:

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es begnügte sich mit dem Einsatz kleiner jüdischer Freikorps in Griechenland (1941), und erst drei Jahre später trat eine zionistische Brigade unter ihrer Davidsfahne in den Verband der britischen Armee ein. Die Aufstellung dieser Truppe ermöglichte es David Ben Gurion, nebenher auch seine Landesmiliz, die Hagana, an Kopfzahl und Bewaffnung erheblich zu verstärken und für den erhofften Tag einer künftigen Machtübernahme schlagfertig zu gestalten. Dieser Tag X zeichnete sich während der nächsten Jahre um so deutlicher ab, je sichtbarer das Großdeutsche Reich seinem Zusammenbruch entgegentrieb.

Den innerpolitischen Kämpfen in Palästina brachte die Kriegsdauer so etwas wie eine schwüle Ruhepause: einen beiderseits voll Ingrimm eingehaltenen Burgfrieden, den die Araber insofern begrüßten, als sie jetzt erleben durften, daß England die jüdische Einwanderung aufs Stärkste drosselte, obwohl Europas gepeinigte Judenschaft, zählbar nach Millionen, ihrem Gelobten Land entgegenfieberte! In London wußte man schließlich - so sagten sich die Araber am Jordan -, daß man den ohnehin überhitzten Kessel ihrer alten Heimat durch weiteren Überdruck zur Explosion bringen mußte, und so hofften sie auf ein absehbares Erlöschen der jüdischen Zuwanderung: die arabischen Herrscher ringsum würden schon dafür sorgen!

Auch die Alliierten wußten, wieviel von der Stimmung und der Zustimmung jener Könige zum Zion-Plan abhing, und sie umwarben vor allem Ibn Saud, den mächtigsten Schlüsselhalter des großarabischen Raumes: auf der Rückfahrt von der für Deutschlands Zukunft so verhängnisvollen Krim-Konferenz in Jalta lud Präsident Roosevelt den Herrn über Saudi-Arabien zu einer Aussprache auf den Kreuzer "Quincy" ein, in welcher er ihm - am 14. Februar 1945 - die Einwilligung zur jüdischen Masseneinwanderung in Palästina - unausgesprochen also: zur Errichtung des geplanten Staates Israel - mit viel Aufwand von Schmeicheleien und Suada abzuringen versuchte. Er soll dem mächtigen Wahhabiten als Gegenleistung sogar große Waffenlieferungen, dazu die Königswürde über die ganze arabische Welt und schließlich auch noch 20 Millionen englische Pfund geboten haben: doch das halte ich für Reporter-Schmonzes. Zwar über Waffenlieferungen ließe schließlich jeder kriegerische Souverän mit sich reden: doch die Königswürde über Gesamt-Arabien? Wenn Ibn Saud jemals - was stärkstens zu bezweifeln ist- den Wunsch gehegt haben sollte, sich über ganz Arabien zu setzen, dann würde er sich dieses Riesenreich selber erkämpft haben, anstatt es sich von einem überseeischen Gjaur anbieten zu lassen, der es ja keineswegs in der Tasche trug! Was aber gar die 20 Millionen englische Pfund betrifft,

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so wäre es beleidigend gewesen, ein solches Bakschisch dem Erdöl-Milliardär von Er Riad überhaupt nur anzusinnen -!

Kurzum: der Wah[h]abite blieb unbeeindruckt und erklärte dem Präsidenten kühlen Tones, er denke gar nicht daran, seine Einwilligung zu den zionistischen Palästina-Plänen zu geben - ja, er werde sie niemals geben können; denn die Juden hätten im Lauf der Geschichte nur durch eine Zwischenepoche in Palästina geherrscht, während die Araber sowohl vor wie nach jener Epoche durch Jahrtausende in diesem ihrem Stammland ansässig gewesen seien! - Tief enttäuscht berichtete Roosevelt anderntags seinem Kumpanen Churchill, der mit ihm auf der "Quincy" reiste, vom Fehlschlag, und nun versuchte das alte Kriegsroß sein Heil bei dem starrköpfigen Beduinen: er lud Ibn Saud zu einer Aussprache in die ägyptische Oase Fayum ein, und hier überbot man sich nochmals in orientalischen Höflichkeiten; doch der König blieb auch diesem großen Beschwätzer gegenüber völlig unzugänglich. Damit war der friedliche Weg zur Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina endgültig verschüttet; es blieb nur der nackte Kampf.

Einige Zeit später brach das Großdeutsche Reich zusammen. Dem Zionismus wurden damit viele neue Wege eröffnet, und da er jetzt die tödliche Gefahr erkannt hatte, die ihm von seinen islamischen Anrainern drohte - die Arabische Liga war mit der Spitze gegen den Zionismus im Frühsommer 1945 gegründet worden - so rüsteten die Zionisten nunmehr fieberhaft für den kommenden Freiheitskampf: sie kauften legal wie illegal große Mengen modernster Waffen auf, die ihnen namentlich von Frankreich und von der Tschechoslowakei geliefert wurden und anfangs auch aus den USA bezogen werden konnten, bis dieses Land im Jahr 1948 ein Waffen-Embargo über Israel verhängte. - Die großen Waffenbestände wurden sorgfältig versteckt und vor Englands Späherblicken geheimgehalten.

Die besagte Arabische Liga bestand im Zusammenschluß Ägyptens, Syriens, Libyens, des Libanons, Transjordaniens, des Iraks, Saudi-Arabiens und des Jemens: es fehlte keiner der arabischen Staaten im Nahen Osten, die ihren Ständigen Rat in Kairo sitzen hatten. - Ben Gurion und seine Gehilfen unterschätzten die Liga keineswegs; aber sie überschätzten sie auch nicht, weil nur wenige dieser Staaten ein stärkeres Kriegspotential aufzustellen vermochten, und weil in ihrem Rat auch die ständig rivalisierende Uneinigkeit des Arabertums ihren Platz hatte. Das größte Plus aber besaßen die Zionisten in ihrer festen Entschlossenheit, die neu erkorene uralte Stammesheimat mit allen Mitteln bis aufs Letzte zu verteidigen. Vor mehr als hundert Jahren hatte der preußische Kriegsphilosoph Carl v. Clausewitz den

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Grundsatz erhärtet, daß die beste, weil einzig wirksame Kriegsführung in der Defensive liege, und nach diesem Grundsatz planten vorerst auch die Zionisten, selbst wenn ihre Hoffnungen auf künftige Offensiven gerichtet sein mochten. Betrachtete man das Verhältnis der reinen Bevölkerungszahlen, dann war die Liga den Zionisten mindestens fünfzigfach überlegen; doch auf welcher Seite die stärkere Stoßkraft ins Feld gestellt sein würde - das war die rätselschwere Frage.

England übte nach dem Kriege sein Mandat über Palästina - es war mittlerweile aus einem Völkerbunds-Auftrag zu einem UNO-Auftrag geworden - nur noch mit streitmüdem Unbehagen aus. Der angebliche Zionistenfreund Churchill war bereits im Frühsommer 1945 aus der Regierung verdrängt worden, und sein Nachfolger, der Labour-Führer Clement Attlee, hatte zwar im Spätherbst 1945 mehrfach erklärt und erklären lassen, daß die englische Arbeiterschaft genau so wie die von ihm geführte Regierung Seiner Majestät unverbrüchlich zur Balfour-Declaration stehe und den Zionismus in jeder Hinsicht unterstützen werde; doch die Praxis sah anders aus: man wandte sich in London immer entschiedener von dem "Experiment am Jordan" ab. (Attlee selber hat das später offen zugegeben; denn nachdem er geadelt und ins Oberhaus eingezogen war, also keine Wählerstimmen mehr brauchte, erklärte er vor den Lords im September 1958 mit edlem Freimut: "Die Schaffung einer nationalen Heimstätte für die Juden war ein Fehler!") - Schon seit Anfang 1946 führten Attlee und sein Außenminister Ernest Bevin wahre Einwanderungsblockaden gegen Palästina durch, die Churchills früheren Pro-Anti-Zionismus tief in den Schatten stellten: damals war es, daß britische Kriegsschiffe und Polizei-Schnellboote vor Haifa und Jaffa jeden Einwanderungsdampfer aufbrachten oder gar beschossen, die illegalen jüdischen Passagiere ergriffen, nach Zypern verluden und dort hinter den Stacheldraht ihres berüchtigten KZs Latrun und anderer menschenfreundlicher Gewahrsame sperrten: man überhimmlerte Himmlers Methoden von gestern.

In Palästina rissen jetzt die Guerilla-Gefechte zwischen den englischen Landesherren und den jüdischen Partisanen überhaupt nicht mehr ab wobei die Araber sich in der Rolle des lachenden Dritten gefielen oder sich auch an diesen Kämpfen aller gegen alle mit eigenen Terrorakten beteiligten. In einem früheren Kapitel habe ich bereits von dem ominösen "Schwarzen Sabbath" berichtet, jenem 29. Juni 1946, der den Überfall des britischen Militärs aufs zionistische Hauptquartier und eine Verhaftungswelle brachte, die Ben Gurions ganzen Führungsstab nach Latrun hineinspülte; nur David selber, der schlaue Fuchs, hatte sich damals nach Europa retten können. In jene Tage

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fällt Attlees Erklärung: kein Jude werde mehr aus den deutschen Sammellagern nach Palästina kommen, solange die jüdischen Waffen im Lande nicht ausgeliefert würden!

Sie wurden nicht ausgeliefert, vielmehr noch schärfer geschliffen, und zwar von den längst geschulten Stoßtrupps der "Sterngruppe" und der "Makkabäer", die sich "Irgun Zwai Leumi" nannten und am 22. Juli 1946 das Jerusalemer King-David-Hotel samt dem drin sitzenden britischen Generalstab in die Luft sprengten; wie schon erwähnt, dieser blutige Scherz kostete die Engländer hundert Tote und die doppelte Zahl an Verwundeten. Natürlich schlug John Bull nur um so grausamer zurück: jeder gefangene Makkabäer wurde gehenkt, und der Gegner hängte dafür britische Sergeanten an die Laternen. - Die erbitterten Kämpfe zogen sich fast pausenlos durch die nächsten zwölf Monate hin.

Die Londoner Labour-Regierung war des aussichtslosen Spieles längst überdrüssig, weil sie wirklich keinen Ausweg mehr sah. Im Herbst 1947 entschloß sie sich, das Mandat über Palästina niederzulegen. Sie brachte den Fall vor die in den Vereinigten Staaten tagende UNO, und diese beschloß am 29. November 1947, daß Palästina am 14. Mai 1948 zum unabhängigen Staat Israel erklärt werden solle; lediglich Jerusalem und einige andere durch urchristliche Tradition geheiligte Stätten sollten weiterhin unter Uno-Kontrolle verbleiben. - Jetzt wußten die Zionisten endlich, woran sie waren, und sie rüsteten für den nahenden Tag der Freiwerdung.

Aber auch die einheimischen Araber wußten jetzt, woran sie waren: falls ihnen keine Hilfe von der Arabischen Liga kam, mußten ihre Tage in der alten Heimat gezählt sein, obwohl sie auch jetzt noch den weitaus größten Teil des Bodens im Lande besaßen; aber man würde ihn enteignen und sie vertreiben, da sie sich gegen die waffenstarke Hagana aus eigener Kraft nicht zur Wehr zu setzen vermochten. In dieser verzweifelten Stimmung ließen sich die Söhne des Propheten zu neuen Terrorakten hinreißen: die Schale des Zornes floß über.

Zu den geheimnisvollsten Anschlägen jener wild erregten Zeit zählt die Sprengung des zionistischen Sochnuth-Gebäudes in Jerusalem, das am 9. März 1948 in die Luft ging: eine Revanche für die Sprengung des King-David-Hotels. Bis heute ist gerichtlich nicht geklärt worden, ob dieser Anschlag von verbitterten Briten oder von verzweifelten Arabern verübt wurde; jedenfalls wurde er unter Mißbrauch eines amerikanischen Konsulats-Autos ausgeführt, das, vorne mit dem bekannten diplomatischen Dienststander geschmückt, im Innern aber mit Dynamit beladen, in den Hof der Sochnuth einfuhr, unmittelbar

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neben der Hausmauer parkte und bald danach explodierte: ein Großteil des Gebäudes stürzte zusammen; er begrub dreizehn Zionistenführer als Tote und rund hundert weitere als Verletzte unter seinen Trümmern. Die Erregung im Lande stieg auf den Siedepunkt.

Vermutlich war dieses Attentat eine der Antworten des gequälten Arabertums auf die pausenlosen Drangsalierungen; denn kaum war Englands Abdankungsplan bekannt geworden, als die Zionisten auch schon begannen, ihr künftiges Staatsgebiet planmäßig von allen Arabern zu "säubern", um den lebenswichtigen Fruchtboden im Lande, den die Altbesitzer nicht verkaufen wollten, gewaltsam an sich zu bringen. Bisher hatten sie nur bescheidene Agrarflächen mit ihren Kibbuzim besiedelt, während 75 vH der jüdischen Bevölkerung sich in den Städten, vor allem in den drei Großstädten des Landes niedergelassen hatten (ein Hundertsatz, der bis heute noch der gleiche geblieben ist, da die zivilisationsbeflissenen Juden - es gibt freilich auch andere - sich seit jeher lieber in den Großkarawansereien als in abseitigen Dörfern eingenistet haben.)

Nun aber galt es, sich des arabischen Landbesitzes zu bemächtigen, wenn Zion künftig autark sein wollte, und da es nicht gut anging, mehr als eine Million der Besitzer einfach totzuschlagen, vertrieb man sie dadurch, daß man sie in Schrecken, Angst und Zittern versetzte: seit Beginn des Jahres 1948 hatten Hagana, Sterngruppe und Makkabäer die Landbevölkerung unablässig überfallen, ihre Dörfer niedergebrannt, ihre Ackerkulturen verwüstet, ihre Wirtschaftsgebäude über Bomben hochgehen lassen und in verschiedenen Arabersiedlungen brutale Totschläge an Hunderten Wehrloser verübt. Auch spekulierten die Freischärler mit Erfolg auf den tief eingewurzelten Aberglauben und die Geisterfurcht der Moslemin: an vielen Orten verkleideten sie sich als weiße Gespenster und brachen nächtlicherweile mit Höllenlärm über die verstörten Siedlungen herein, deren Bewohner dann Hals über Kopf das Weite suchten.

Dies alles konnte sich um so ungestörter abspielen, als die englische Besatzungsmacht jetzt Gewehr bei Fuß dem Treiben zuschaute und ihre Ablösung erwartete. So kam es, daß schon vor Israels Machtergreifung etwa 350 000 Araber, aus Angst um ihr Leben, Palästina fluchtartig räumten und den künftigen Herren ihre Ländereien als herrenloses Gut überließen.

Dann kam der große Tag: am 14. Mai 1948 ging der Union Jack über allen britischen Dienststellen nieder; die Engländer zogen stillschweigend ab, und am Fahnenmast des King-David-Hotels zu Jerusalem wurde die Flagge Israels, der sechszackige blaue Davidsstern auf weißem Grunde, gehißt. Ben Gurion, der eigentliche Sieger die-

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ses bedeutsamen Tages, proklamierte feierlich die Souveränität des neuen Staates Israel und hielt in Tel Aviv eine Ansprache, in der er "allen Bürgern ohne Unterschied der Religion, der Rasse oder des Geschlechts volle bürgerliche und politische Freiheit" verhieß. Auch werde, so setzte er hinzu, "volle Religions-, Kultur- und Sprachfreiheit herrschen!"

Moses Mendelssohn ist mit seiner voraussehenden Konzeption, die er am 26. Januar 1770 schrieb: ". . . die einzige mögliche Lösung des Judenstaatsproblems in einem zwischen allen Staaten tobenden Weltkrieg" zu bewundern. Die NS-Ära und der Zweite Weltkrieg schufen somit die Voraussetzung, daß unsere Zionisten zu ihrem Staate gelangen konnten. Der "tobende Weltkrieg" kostete immerhin die geplagte Menschheit Dutzende Millionen Opfer, unter denen auch "Sechs" Millionen Juden.

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Was von diesen Versprechungen zu halten war, wußte niemand besser als die Ratsverversammlung [sic] der Arabischen Liga in Kairo, und da sie obendrein die formlos überstürzte Proklamation des Judenstaates als dreiste Herausforderung empfinden mußte, griff sie alsbald zu den Waffen. Außer Saudi-Arabien und dem ihm verbündeten Jemen, die sich zurückhielten, setzten die Liga-Staaten unverzüglich ihre Kampfverbände gegen Israel in Bewegung.

Israels militärische Lage erschien auf den ersten Blick hoffnungslos; denn von Norden, Süden und Osten rückten feindliche Einheiten ins Gebiet des neuen Staates ein, der ihnen noch keine eigene Armee entgegenwerfen konnte - die kriegsmäßig auszurüstende Hagana stand noch in den Anfängen ihrer Aufstellung - und auf seine Freischärlerkorps angewiesen war. Diese lagen in einigen größeren Siedlungen stationiert, teils im Norden, teils im Süden des Landes, und von ihrer kriegerischen Haltung hing jetzt Zions Zukunft ab. Die Freiwilligen im entlegenen Galiläa hatten die Aufgabe, die von Norden und Osten einrückenden libanesischen und syrischen Truppen so lange wie möglich aufzuhalten, während die Freischärler im Süden sich der durch den Negev einmarschierenden Ägypter zu erwehren hatten. Inzwischen sollte bei Tel Aviv die eigentliche israelische Armee modernst bewaffnet und mobilisiert werden. Das Ganze war ein Wettlauf mit dem Untergang.

In den rasch ausbrechenden schweren Kämpfen zeigte sich, daß die Zionisten bei den bisherigen Landaufkäufen in kluger Voraussicht den Hauptwert der Ländereien nicht in ihrem Bodenertrag, sondern

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in ihrer strategischen Lage erblickt hatten und die darauf gebauten Siedlungen jetzt als gut befestigte Stützpunk[t]e benutzen konnten: ihren Besatzungen gelang es, wichtige arabische Städte - im Norden Nablus, im Süden Hebron - von ihren ostwärtigen Rückverbindungen für längere Zeit abzuschneiden und damit zu isolieren. Noch erstaunlicher aber war die Tatsache, daß diese schwachen Freiwilligen-Verbände sich imstande zeigten, ihre Stellungen aus eigener Kraft zu behaupten. Sie hatten freilich allen kämpferischen Idealismus und Todesmut auf ihrer Seite, während die syrisch-libanesischen wie auch die ägyptischen Gegner sich rasch als unkriegerische Drückebergerscharen erwiesen, die ein entschlossener Kampfgeist in Schach zu halten vermochte.

Wirklich gefährlich für Israel wurde nur die "Arabische Legion" des Emirs von Transjordanien, eine europäisch geschulte und hart ausgebildete Truppe, die unterm Kommando des britischen Generalstäblers Glut Pascha stand; diesen befähigten Offizier hatte London seinem Schützling Abdallah ausgeliehen. Glubb Pascha war zielsicher über den Jordan vorgestoßen und nahm nach zähen Kämpfen die jüdische Altstadt von Jerusalem ein, aus deren Mauern er einige Hagana-Kompanien hinausgeworfen hatte. (Nachträglich wurde von israelischer Seite behauptet, man habe dem Pascha die Altstadt freiwillig überlassen, um damit den Emir in Amman zufriedenzustellen und sein Ausscheiden aus der arabischen Kampffront anzubahnen, welches später auch erfolgte.)

Wie auch immer: der arabische Angriff, der zu Israels Vernichtung geführt hätte, wenn er als Blitzkrieg abgelaufen wäre, kam nach einigen Wochen zum Stehen - vor allem dank der ägyptischen Unentschlossenheit, und der junge Staat Israel stellte zur eigenen Verblüffung fest, daß er noch atmete. Inzwischen waren große Mengen an Waffen und auch größere Scharen europäischer Freiwilliger über See nach Israel gelangt, und Waffen wie Männer wurden sofort in die rasch anwachsende Hagana gesteckt.

Auch meldete sich jetzt die UNO zu Wort: sie entsandte als ihren Sonderbeauftragten den schwedischen Grafen Folke Bernadotte, dem wir schon als dem Gesprächspartner Himmlers begegnet sind, mit umfassenden Vollmachten nach Israel, und der Graf machte sich sofort ans schwierige Werk: zunächst bewirkte er einen Waffenstillstand, der vom 1. Juni bis zum 8. Juli 1948 dauern sollte, und in der Zwischenzeit brachte er auf der Insel Rhodos eine Konferenz arabischer und zionistischer Vertreter zustande; dieser schlug er die Errichtung eines jüdisch-arabischen Bundesstaates auf föderalistischer Grundlage

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vor: ein Plan, der freilich von beiden Seiten ebenso abgelehnt wurde wie im Jahr 1937 die Vorschläge von Lord Peel.

Israel nutzte den Waffenstillstand zu beschleunigten Aufrüstungen, und der schwedische Graf nutzte ihn zur Ausarbeitung eines neuen Friedensplanes, den er der UNO-Generalversammlung im August 1948 zur Annahme unterbreitete: nach diesem Plan sollte Palästina dergestalt geteilt werden, daß Israel den jüdischen Teil von Galiläa und den nach Süden verlaufenden Küstenstreifen von Haifa bis hinter Jaffa mit seinen fruchtbaren Tälern erhalten sollte, wogegen Emir Abdallah das westjordanische Binnenland Palästina mit dem Wüstengebiet des Negev seinem transjordanischen Emirat angliedern wurde: lediglich die heiligen Stätten von Jerusalem sollten unter UNO-Kontrolle verbleiben.

Dieser Plan ist später im großen Ganzen - freilich unter Überlassung des Negev an Israel - verwirklicht worden, und die zionistische Regierung mußte ihn annehmen. Zunächst aber dachte sie gar nicht daran: der Plan erfüllte die ganze jüdische Heimstätte mit kochendem Ingrimm, und als Graf Bernadotte nach Palästina zurückkehrte, wurde er am 17. September 1948 in der Judenstadt von Jerusalem von Mörderhand mit Maschinenpistolen erschossen, kurz nachdem sein Dienstwagen die internationale Demarkationslinie passiert hatte - zu einem Zeitpunkt, der nur der obersten israelischen Führung bekannt gewesen war. Die Attentäter sind denn auch niemals ermittelt worden: es bestand kein Interesse an ihrer Ermittlung oder gar an einem überaus peinlichen Prozeß, der sich zum weltpolitischen Skandal hätte auswachsen müssen. Symptomatisch für die Verurteilung dieses Mordfalles und seiner Anstifter ist folgende Tatsache: als im September 1958, anläßlich der zehnten Wiederkehr des Todestages von Graf Bernadotte, an seinem Grab in Schweden eine Trauerfeier stattfand, war auch eine offizielle israelische Abordnung mit einem Kranz für den Toten erschienen; doch wurde ihr von der schwedischen Polizei laut vernehmlich verboten, sich der Grabstätte zu nähern und den Kranz niederzulegen.

Nachdem der Waffenstillstand am 8. Juli 1948 abgelaufen war, hatte Graf Bernadotte zehn Tage später noch einen zweiten, diesmal unbefristeten Waffenstillstand erreichen können; doch dieser wurde von den Israelis nicht eingehalten: im Oktober griffen sie an der Südfront die ägyptischen Einheiten an und warfen sie aus ihren Stellungen .

Etwa zur gleichen Zeit erschien in Jerusalem, als Nachfolger des ermordeten Schweden von der UNO entsandt, der vierundvierzigjährige Neger Dr. Ralph Johnson Bunche, der das mißliche Werk seines

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Vorgängers mit viel Geschick wieder aufnahm: er brachte einen dritten Waffenstillstand fertig, mußte aber mit anschauen, daß die Israelis auch diesen nicht einhielten, vielmehr die ägyptischen Stellungen überraschend angriffen, überrannten und über den umstrittenen Gaza-Streifen hinaus ein Stück ägyptischen Grenzlandes besetzten.

Damals scheint nicht nur dem neuen UNO-Vermittler, sondern auch der UNO selber angesichts von soviel zionistischer Chuzpe der Geduldsfaden gerissen zu sein: im Frühjahr 1949 vermochte Dr. Bunche endlich die Hagana zur Räumung des besetzten Gebietes zu nötigen und den kämpfenden Mächten einen vierten, diesmals dauerhaften Waffenstillstand aufzuzwingen. Sein Abschluß wurde erleichtert durch die Tatsache, daß der Emir von Transjordanien inzwischen aus der Kampffront ausgeschieden war und seine "Arabische Legion" zurückgezogen hatte, deren bewährter Führer Glubb Pascha sich verabschiedete. Der Gewinn freilich, den Israel sich von diesem Ausscheren seines stärksten Gegners anfangs erhofft hatte, sollte dem jungen Staat nicht zuteil werden; denn Emir Abdallah bestand bei den jetzt einsetzenden Verhandlungen darauf, daß die von ihm seit jeher beanspruchten und von seinen Truppen inzwischen besetzten westjordanischen Gebiete nunmehr in seiner Hand blieben, und die UNO, eines unabsehbaren weiteren Streitens müde, sprach dem Emir denn auch, wie der tote Graf Bernadotte schon vorgeschlagen hatte, das ganze Gebiet von Samaria, mit der Stadt Nablus im Norden bis vor die Tore Jerusalems, und südlich anschließend die östliche Landschaft von Judäa mit der Hauptstadt Hebron zu, womit der bisherige Emir von Transjordanien zum König von Jordanien aufstieg. Israel mußte sich mit dem fruchtbaren Küstenstreifen von Akka im Norden, bis Gaza im Süden zufrieden geben, dazu mit einem ziemlich breiten Korridor, der sein Küstenland mit dem jüdischen Stadtteil von Jerusalem verband; auch wurde ihm das riesige Wüstengebiet des Negev zugesprochen ( Hauptstadt Beerseba), womit dem jungen Staat wenigstens der Zugang zum Golf von Akaba mit dem wichtigen Hafen Elath erhalten blieb.

Es versteht sich, daß die ihres Sieges schon so sicher gewesenen Zionisten diese Aufteilung des Gelobten Landes als einen Faustschlag ins Gesicht ihrer Erwartungen empfanden; doch sie hatten sich einfach zuviel zugetraut, als sie nicht nur das Druckgewicht der arabischen Großräume, sondern auch die Druckmittel der Vereinten Nationen unterschätzten. Jetzt mußten sie sich einem bindenden Waffenstillstands-Abkommen unterwerfen, ohne freilich sich zum Abschluß eines Friedensvertrages bereit zu finden; ein solcher ist bis heute noch nicht abgeschlossen worden. Seit 1949 hängen in den israelischen

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Amtsstuben die Landkarten, auf denen der Grenzverlauf gegen die Nachbarstaaten durch punktierte Linien, also unverbindlich, gekennzeichnet ist. Das gilt auch von dem umstrittenen "Gaza-Streifen" an der ägyptischen Grenze. - Jedenfalls schwiegen jetzt die Waffen im Lande, und ein Jahr später wurde Dr. Ralph Bunche mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet, den sich der schwarze Diplomat, Gott weiß es!, redlichst verdient hat, auch wenn seine Bemühungen schließlich nur in einem dauernden Waffenstillstand gipfelten. Echte Friedensschlüsse sind heute ja genauso aus der Übung gekommen, wie faule Staatsteilungen zur politischen Mode geworden sind; das markanteste Beispiel für beide Verlegenheitslösungen liefert das Deutsche Reich seit 1945.

Ägypten hatte im Jahr 1949 den umkämpften Küstenstreifen um Gaza zurückgewonnen, jedoch das Gebiet von El Audscha als neutralisierte Zone hergeben müssen. Weitaus empfindlicher aber für den Kriegerstolz der jungen ägyptischen Nationalisten blieb die Tatsache, daß ihre Armee sich im Kampf mit den Israelis mehr blamiert als bewährt hatte und eine Niederlage einstecken mußte, die sie nur der korrupten Staats- und Heerführung verdankte. Besonders bitter hatte diese Schmach einer ihrer Mitkämpfer empfunden: der jugendliche Hauptmann Gamal Abd el Nasser, der nach der Heimkehr aus dem fatalen Feldzug seine revolutionären Energien auf den Sturz des Königtums richtete und die treibende Kraft in jener Offiziersverschwörung wurde, die den König Faruk im Jahr 1952 zur Abdankung zwang, worauf der General Nagib den noch Zögernden ein Jahr später für abgesetzt erklärte und ins Ausland verwies. - Daß jener Hauptmann Nasser schon bald danach sich zu ihrem gefährlichsten Gegner - weit gefährlicher als selbst Ibn Saud - auswachsen würde, hatten die Israelis sich freilich nicht träumen lassen, als sie die schlecht geführten Kompanien des Nillandes zu Paaren trieben! - Kaum war der äußere heiße Krieg beendet, als in Israel der innere Krieg um so hitziger sein bösartiges Haupt erhob: die Hagana, während des Feldzuges zur vollwertigen Armee erstarkt, war jetzt zum schlagkräftigen Instrument in der Hand Davids Ben Gurion und seiner Regierungspartei, der sozialistischen Mapai geworden. Nun standen aber die zionistischen Freischärler - die Sterngruppe und die Makkabäer - in betontem Gegensatz zur Hagana - nicht nur, weil sie die Hauptlast der Kämpfe und Opfer im Kriege getragen und oftmals die noch grünen Regierungstruppen aus schlimmen Notlagen herausgehauen hatten, sondern auch in ihrer parteipolitischen Haltung; denn draufgängerische Landsknechte pflegen überall in der Welt alles andere als gerade Freunde sozialistischer Monopolregierungen

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zu sein. So auch in Israel: jene Freiwilligen-Verbände sträubten sich erbittert gegen Ben Gurions Verfügung, wonach sie als aufgelöst zu verschwinden hatten, und es kam alsbald zu bewaffneten Zusammenstößen, die gelegentlich einen Bürgerkriegscharakter trugen. Das zeigte sich in tragischer Weise schon bald nach Kriegsende, als das Frachtschiff Altalena im Hafen von Tel Aviv vor Anker ging:

Dieser Dampfer brachte eine Großladung von Waffen, die aus Privatmitteln der Makkabäer im Ausland gekauft worden waren und jetzt gelöscht werden sollten. Was aber tat die Regierung? Sie ordnete an, daß die gesamte Ladung für die Hagana zu beschlagnahmen sei; doch die Schiffsbesatzung widersetzte sich der Anordnung und machte sich daran, die Waffenkisten den rechtmäßigen Besitzern auszuhändigen. Die Regierungstruppe eröffnete daraufhin - auf allerhöchsten Befehl, hieß es - das Feuer auf die "Widerständler" und tötete zwanzig von ihnen: so wurden Juden von Juden gemeuchelt - Juden, die Hitlers Schergen entgangen, die aus den Kämpfen mit Briten und Arabern glücklich heimgekehrt waren! - Die überfallenen Makkabäer hatten damals zurückschießen wollen; doch einer ihrer Obersten, Menachem Begin, hatte den Feuerwechsel verboten mit der Erklärung, es sei schon genug Bruderblut geflossen!

Der üble Zwischenfall löste eine schwere Krise in den Reihen der Makkabäer aus, die jetzt erkennen mußten, daß die Tage ihrer Selbständigkeit gezählt waren. Menachem Begin aber zog die einzig wirksame Folgerung aus dem bitteren Erlebnis: er bildete seine Freischärler zu einem politischen Stoßtrupp um, der als "Cherut-Partei" in die Knesseth einzog und dort zur schärfsten Oppositionsgruppe gegen Ben Gurions Mapai heranwuchs.

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Mit dem UNO-Eingriff in die Geschicke Israels hatte das Jahr 1949 eine längere Atempause zwischen Israel und Arabien eingeschaltet - eine Atempause, die bis zum Herbst 1956 währen sollte; nun aber hoffte der Israelstaat einiges von dem bisher nicht Erreichten nachholen zu können, indem er sich dem englisch-französischen Überfall auf den Suezkanal anschloß, dabei aber nur wenig politischen Instinkt bewies; andernfalls hätte man in Jerusalem voraussehen müssen, daß jenes Unternehmen im blutigen Schlamm eines unverantwortlichen Abenteuers stecken bleiben würde. Doch davon später.

Selbstverständlich verhielt sich Israel in den Jahren 1949 bis 1956 keineswegs passiv dem Arabertum gegenüber, und namentlich war es der Nachbarstaat Ägypten, den die Zionisten zu unterwühlen wie zu

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überspielen versuchten, sobald sie in ihm die größte Gefahr für ihre eigene Existenz erkannt hatten. War doch in Kairo nach König Faruks Absetzung und Vertreibung eine Gruppe jugendlich-aktiver Nationalisten zur Macht gelangt, die eine soldatisch geführte Republik errichtete und von Anfang an kein Hehl daraus machte, daß sie in Israel den Todfeind der arabischen Welt erblickte, den auszutilgen oder doch kaltzustellen sie als eine Hauptaufgabe ihrer Außenpolitik ansah.

Nicht umsonst hatte David Ben Gurion gleich im Jahr 1948 neben dem Posten des Ministerpräsidenten auch das Amt des Verteidigungsministers (richtiger: Kriegsministers) sich selber vorbehalten, und in seiner letzteren Eigenschaft hatte er alsbald einen umfangreichen Geheimdienst für Spionage und Sabotage aufgebaut, dessen Spitze sich seit 1952 gegen Kairo richtete: für seinen "Secret Service" gab Israel riesige Summen aus (sie stammten aus der BRD), und durch ihn bezog es mehr Informationen, als der Kleinstaat jemals auszuwerten imstande war. Kein Wunder, daß Ben Gurion und seine Berater - soweit er Berater gelten ließ - sich für allwissend hielten und zu einem großen Schlag ausholten: Generalstab und Geheimdienst bereiteten einen mehr als verwegenen Plan vor, der das Nilland durch ein Heer von Agenten unterwühlen, wichtige Anlagen sprengen und schließlich das verhaßte Regime in Kairo stürzen sollte.

Während noch die Vorbereitungen dieses makabren Planes liefen, fand sich Ben Gurion selber eines Tages in peinlichsten Nöten: die Wirtschaft des Landes stand vor dem Bankrott, weil New York nicht mehr ausreichend half; die arabischen Nachbarn spähten wieder drohend über die Grenzen, und in seiner eigenen Regierungspartei, der Mapai, zeigten sich gefährliche Spaltungen - kurzum: der Alte war am Ende mit seinem Hebräisch; er legte alle Ämter nieder und zog sich verbittert auf seinen Kibbuz Sdeh Boker im Negev zurück. Das war im Jahr 1953. Seine Nachfolge als Ministerpräsident übernahm, wenn auch ungern, der gemäßigte Sozialist Mosche Scharett, vordem Schertok, der sich den Histadruth-Leiter Pinchas Lavon als Verteidigungsminister in sein Kabinett holte.

Damit begann jene ungeheuerliche Intrigue, die ich im Abschnitt "Ben Gurion" des IV. Kapitels geschildert habe und hier nur kurz zu rekapitulieren brauche: das Unternehmen gegen Ägypten lief jetzt an, und zwar völlig hinter dem Rücken des ahnungslosen Lavon; als es im Oktober 1954 aufflog, vor dem Militärtribunal in Kairo als Weltsensation verhandelt wurde und mit der Hinrichtung zahlreicher israelischer Agenten, Spione und Saboteure endete, hatten Ben Gurions alte Mitverschworene den traurigen Mut, den ganz unbeteilig-

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ten, schuldlosen Pinchas Lavon nicht nur als Mitwisser, sondern sogar als Auftraggeber des schmählich gescheiterten Anschlags zu verleumden und seinen Rücktritt zu erzwingen. Der "Alte" kehrte umjubelt aus seinem Kibbuz zurück, übernahm wieder die Regierung und tat alles, den wirklich ehrenwerten Lavon von sämtlichen weiteren Wirkungsmöglichkeiten fernzuhalten, auch später noch, als die Unschuld des gehässig Verleumdeten längst erwiesen war: eines der widerwärtigsten Kapitel in der Geschichte des Staates Israel, der innen- wie außenpolitisch wieder einmal völlig abgewertet dastand, wenn nicht lag.

Aus dieser "Lage" suchte Ben Gurion seinen Staat dadurch aufzurichten, daß er sich im Herbst 1956 dem bewaffneten Überfall anschloß, den England und Frankreich gegen Ägypten vollführten. In jenen beiden Ländern saßen die Hauptaktionäre der Suezkanal-Gesellschaft: zähneknirschend hatten sie erleben müssen, daß der weltwichtige Kanal unlängst von den Ägyptern nationalisiert, das heißt: der internationalen Finanzkontrolle entzogen worden war, und damit die wertvollen Kanalaktien entwertet wurden: eine Quelle gewaltiger Dividenden, die seit vielen Jahrzehnten unversieglich gesprudelt hatte. Die betroffenen Großaktionäre hatten bei ihren Regierungen solange gewühlt und gedrängt, bis England und Frankreich sich zu einer geheimen Verschwörung verbanden und ohne Ankündigung einen Blitzkrieg gegen das Nilland vorschnellten: im Oktober 1956 erschienen ihre Kriegsschiffe vor Alexandria; starke Truppenverbände wurden gelandet, wilde Straßenkämpfe flammten auf, und die Luftwaffe der Verschworenen bombardierte kriegswichtige Ziele im Hinterland, schlimmste Verwüstungen anrichtend: wieder einmal tobte die Kriegsfurie durch ein jählings aufgeschrecktes Land, das sich einem überlegenen, brutalen Angreifer ausgeliefert sah. Auch Israel war mit im blutigen Spiel: ob als geistiger Vater des tollen Unternehmens, oder nur als sein gelehriger Nutznießer - hierüber haben die politischen Archive sich bisher noch ausgeschwiegen. Jedenfalls stieß die Israelarmee sofort gegen den ägyptisch besetzten Gaza-Streifen vor, überrannte ihn und war im Begriff, nach Süden gegen das Kernland des Niltales vorzustoßen, um sich einen Beuteanteil aus dem großen Raub zu sichern. Wieder einmal hielt die Welt den Atem an . . . Es vergingen freilich nur wenige Tage, und die Welt konnte aufatmen; denn jetzt zeigte sich, wer die eigentlichen Gebieter über Krieg und Frieden auf unserm geplagten Globus waren: in wohltätiger Einigkeit erhoben sich die USA und die UdSSR mit dem donnernden Ruf "Zurück!!" - Namentlich die Sowjetunion ließ es an kräftigsten Tönen nicht fehlen: sie drohte, London und Paris mit Atombomben zu be-

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legen, wenn die Angreifer nicht unverzüglich abrückten! Das half: die ertappten Räuber zogen sich kleinlaut zurück, und in London stürzte Anthony Edens Regierung über die Blamage ihres unbedachten Premiers. - Israel kam, wie man so sagt, mit einem blauen Auge davon; doch der Offizier-Präsident in Kairo war nicht nur mit zwei scharf spähenden Augen, sondern auch mit einem jäh gestärkten Staatskörper davongekommen. Gamal Abd el Nasser wußte jetzt: Ägypten oder Israel! Arabia oder Zion!!, und er handelte fortan nach dieser Erkenntnis.

Damals, zu Beginn des Jahres 1957, wartete jeder vorurteilsfreie Neutrale - so auch ich -, wartete vor allem jeder aufrechte Deutsche darauf, daß die drei hemmungslosen Aggressoren vor ein internationales Tribunal gezogen und abgeurteilt werden würden, wie es die Nürnberger Siegerjustiz mit dem besiegten Deutschen Reich gemacht hatte, als sie in ihrem Artikel VI den Grundsatz aufstellte: "Strafbar sind 1) Planung oder Führung eines Angriffskrieges oder Verschwörung zu dessen Zustandekommen, 2) Grausamkeiten und unmenschliche Handlungen, begangen gegen die Zivilbevölkerung vor und während des Krieges." - Um seine überparteiliche Haltung vor aller Welt sichtbar zu machen, hatte jenes Tribunal in einem späteren Verfahren ("Urteil im Prozeß gegen die Wilhelmstraße, p. 7") in einer Erläuterung festgestellt: "Auch Deutsche dürfen nicht für Handlungen oder Unterlassungen bestraft werden, die bei Amerikanern, Engländern, Franzosen oder Russen nicht zu einem Strafverfahren und zu einer Verurteilung führen würden." - Wendet man diesen Satz sinngemäß auf die drei Suez-Aggressoren an, so muß er lauten: "Auch Engländer, Franzosen (ergänze: und Israelis) müssen für Handlungen oder Unterlassungen bestraft werden, für welche die Deutschen in Nürnberg verurteilt worden sind."

Doch was geschah? Es geschah nichts. Die UNO fühlte sich nicht stark genug oder auch nicht willens, die drei Aggressoren vor ihr Tribunal zu fordern, und die beiden Weltmächte, Amerika und die UdSSR, begnügten sich mit ihrer Friedensstifterrolle; darüber hinaus hatten sie kein Interesse daran, in ein Hornissennest zu greifen. Das Jahr 1957 hat der ganzen Menschheit, soweit sie noch nicht restlos durch Propaganda verdummt war, die bleibende Erkenntnis gebracht, daß die nachträglich gcschaffene Nürnberger Siegerjustiz ausschließlich nur gegen die Deutschen geschmiedet und nach deren Verurteilung zum alten Eisen geworfen worden war: eine einmalige Rechtsbeugung größten Stils, gezeugt von Rachedurst, Haß und Verblendung.

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Der Vorsteher des fortschrittlichen Judentums im deutschsprachigen Raume, Herausgeber der "Allgemeinen Zeitung des Judentums", Rabbiner Ludwig Philippson, schrieb in der September-Ausgabe 1840, Seite 542-44 u.a.: "Das nackte, wüste, zerrissene Syrien (wie Philippson Palästina bezeichnet) war stets der Spielball der Völker und der Geschichte . . . und was hätte damit eine ärmliche Freiheit in einem Wüstenwinkel zu schaffen, um zwischen Muselmanen und Ägyptern ein nichtiges, umstrittenes Dasein zu fristen? Was hätte hiermit eine Kolonie heimatloser Juden zu tun, deren Bestand eine Gnade entfernter Mächte, deren Wesen ein zweck- und tendenzloses sein würde? . . ." Dem ist heute auch nichts mehr hinzuzufügen.

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Medinath Israels (orthodoxe Juden belieben weiterhin nur von Erez Israel zu sprechen. Erez = Land, Medinath = Staat) Traum von Eroberungskriegen war jedenfalls ausgeträumt - wenigstens für geraume Zeit, wenn nicht für immer. Zwischen 1957 und 1965 sann man in Jerusalem und Tel Aviv um so glühender darauf, die schlimme Suez-Scharte durch gesteigerte geheimpolitische Aktivität auszuwetzen: bald darauf faßte Ben Gurion den Plan, sich Adolf Eichmanns in Argentinien zu bemächtigen und dem deutschen Bundeskanzler Adenauer eine riesige Waffenlieferung abzulisten und abzuschwätzen. Beide Vorhaben gelangen ihm, wie wir gesehen haben, - ob zu Israels Heil, bleibe dahingestellt. Dann aber reiften in Jerusalem neue, gefährlichere Pläne: man ging daran, Vorbereitungen zur Schaffung eigener Atomwaffen zu treffen und gleichzeitig alle Bemühungen Nassers, in Kairo mit der Hilfe deutscher Wissenschaftler ein Nuklear-Zentrum zu errichten, auf jede nur mögliche Weise zu hintertreiben. Doch das gehört bereits zur großen Kraftprobe von morgen und soll in einem der nächsten Abschnitte - wenn auch nicht wissenschaftlich behandelt, so doch politisch kurz beleuchtet werden.

Zionistische Grausamkeiten ohne Richter

Im Mai 1933, also genau fünfzehn Jahre vor der Ausrufung des Staates Israel, schrieb der bekannte Führer des "Bund", Mitglied der Zweiten Internationale, Henrik Ehrlich, in der Warschauer jüdischer "Volkszeitung" den gewichtigen Satz: "Der jüdische Nationalismus ist genau so häßlich und ekelhaft wie der Nationalismus anderer Völker. Wenn der jüdische Nationalismus im allgemeinen nicht blutdür-

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stig ist, dann aus Not und nicht aus Tugend. Sollte sich eine Gelegenheit bieten, würde er dies mit Zähnen und Krallen beweisen, genau so wie der Nationalismus anderer Völker!"

Im Jahr 1927 hatte ich, als Gast des "Bund" in Warschau weilend, die Gelegenheit gehabt, jenen großen Mann persönlich kennen zu lernen und ihm meine jugendliche Verehrung entgegen zu bringen. Trotz meiner Bewunderung für ihn war ich doch ein skeptischer Zweifler, als ich sechs Jahre später seine obige Feststellung las; es schien mir völlig ausgeschlossen, ja unmöglich, daß unser jüdisches Volk, wenn es jemals eine staatliche Souveränität gewinnen sollte, nach so vielen Jahrhunderten des Unterdrücktgewesenseins in die Rolle des blutdürstigen Unterdrückers hinüberzuwechseln vermöchte: seine Geschichte und Tradition, sein schier endloser Leidensweg durch fast zwei Jahrtausende, seine bitteren Erfahrungen in zahllosen Gettos und aus ungezählten Pogromen müßten diesem schwerst geprüften Volk, so sagte ich mir, den künftigen Tag seiner Freiwerdung auch zum Tag seiner moralischweisen Bewährung werden lassen!

Diese beglückende Hoffnung hegte ich, wie gesagt, im Jahr 1933, und die Hoffnung wuchs weiter in mir, je düsterer sich das Schicksal der europäischen Juden gestaltete und ihre bangen Gedanken ins neu aufkeimende Land der Väter nach Palästina lenkte. Immer wieder mußte ich dabei an Henrik Ehrlichs düstere Äußerung denken, und als er später, während des Zweiten Weltkriegs, auf der Flucht nach Galizien von den Sowjets verhaftet - es heißt, seine Freunde in den USA hätten ihn im Stich gelassen - und 1942 von dem NKWD erschossen worden war, da erfüllte mich sein Märtyrertod mit tiefster Bekümmernis, aber auch mit der Gewißheit, daß seine politische Schwarzseherei durch das helle Licht einer reineren Wirklichkeit getilgt werden würde, und mit mir - das weiß ich unverbrüchlich! - blickten Hunderttausende, ja vielleicht Millionen rechtgläubig gebliebener Juden auf Zion als das künftige Asyl einer edlen, durch Leid geklärten Menschlichkeit: dort würde das geläuterte Judentum, würde die späte Auslese der Besten aus den zwölf Stämmen Israels jetzt den Beweis erbringen, daß sie aus der schlimmen Vergangenheit gelernt hatten, daß sie entschlossen und imstande war, in einem zionistisch regierten Staate die Ideale einer echten Demokratie Volksherrschaft zu verwirklichen und mit der übrigen Welt, vor allem mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern und Landesnachbarn, in freundschaftlicher Zusammenarbeit dem gemeinsamen Wohl des Landes zu dienen und ein weithin sichtbares Vorbild aufzustellen für die Erfüllung aller humanen, sozialen und kulturellen Forderungen, die vordem das Galuth-Judentum erhoben und an seine Wirtsvölker ge-

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stellt hatte. Nun bot sich im jungen Staat Israel eine einzigartige Chance, vor der Geschichte ein Zeugnis abzulegen vom inneren Wert und vom tiefen Verantwortungsbewußtsein des Judentums.

Die einmalige Chance ist vertan worden. Die große, heilige Idee Zion ist in ihrer Verwirklichung zu einer blutdürstigen Ideologie entartet, und Henrik Ehrlichs düstere Prophetie hat sich aufs Grimmigste erfüllt: Medinath Israel hat aus der Vergangenheit nichts gelernt! Seine Wehrmacht und Polizei haben gegen die andersgläubigen Araber genau so grausam gewütet, wie vordem die antisemitischen Kosaken, die Eiserne Garde in Rumänien, die haßerfüllten Galizier und der eiskalte deutsche SD gegen die Juden gewütet haben. Jetzt war der Spieß einfach umgedreht worden; der Mord als Ultima ratio war geblieben. Israels große Weltchance war vertan.

Schon die frühesten zionistischen Einwanderer, um die Jahrhundertwende herum, hatten nach Palästina keine weltbürgerlichen Gemeinschaftsideale, sondern bestenfalls eine kühle Reservation gegen die eingeborenen Araber mitgebracht: sie distanzierten sich sofort von diesen ihren Mitbürgern, und das dünkelhafte Gefühl des eigenen "Auserwähltseins" verwandelte ihre anfängliche Zurückhaltung im Lauf der Zeit, je mehr Juden einwanderten, in ausgesprochene Abneigung, Feindschaft und schließlich in offene Aggressivität. Die Zionisten erzogen schon ihre Kinder zum unverhüllten Haß auf alles Arabische unter dem Motto: ein Jude stirbt; ein Araber verreckt! - Daß angesichts dieser Haßwoge die Muselmanen, solange sie noch die erdrückende Mehrheit im Lande bildeten, nicht zu Pogromen gegen die dreisten Eindringlinge aufgerufen haben, macht ihrer politischen Mäßigung alle Ehre. Nach 1945 hätten sie diese Mäßigung freilich gern mit dem Dolch und der Flinte vertauscht; doch da war es für den großen Widerstand bereits zu spät.

Als ich im Jahr 1950 die altchristliche Heilsstätte [sic] Nazareth besucht hatte und im Omnibus wieder südwärts fuhr, saß vor mir ein etwa achtjähriger Judenknabe, zweifellos ein "Sabre", d. h. ein im Lande Geborener; er trug eine richtige Pistole an einem Lederriemen über der Schulter. Als ich ihn fragte, was er denn mit dem tollen Schießeisen vorhabe, sagte er lachend: "Einen Araber totschießen, was denn sonst? Die Araber sind stinkend und ekelhaft; man muß sie abschlachten!" - Mich schauderte bei diesen Worten. Soweit hatte es die Kindererziehung in Israel schon gebracht - zwei Jahre nach der Machtergreifung! Gegen den mordlüsternen Knaben vor mir waren die HJ-Pimpfe des Dritten Reiches noch wahre Unschuldsengel gewesen -!

Im Gegensatz zum Begriff der "christlichen Nächstenliebe", die sich weltweit betätigt und bewährt hat, konnte sich ein Begriff von der

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"jüdischen Nächstenliebe" nicht bilden, weil es diese Tugend außerhalb der begrenzten Familien- und Stammeskreise im Judentum kaum je gegeben hat: der artgetreue Jude hatte - und hat auch heute noch - wenig Herz für die Leiden und Sorgen artfremder Menschen und betrachtet diese nicht als seine "Nächsten". Jesus Christus war daher, als er die Nächstenliebe pries, genötigt, das Gleichnis vom "barmherzigen Samariter" zu prägen, wobei man wissen muß, daß die Bewohner der Landschaft Samaria bei den Juden als Mischlinge, als Baalsdiener, somit als Unreine galten und von ihnen sogar mit grimmigem Haß verfolgt wurden. Wie beschämend aber für seine jüdischen Landsleute war es, daß der Heiland der Christenheit ausgerechnet einen Samariter als Vorbild für die Ausübung wahrer Barmherzigkeit hinstellen mußte! - Daran hat sich bis heute leider kaum etwas geändert. Während jüdischen Verfolgten in den Jahren nach 1933 vielfach menschlich warme Unterstützung und Hilfeleistung durch katholische wie durch evangelische Geistliche zuteil geworden ist, während Juden jahrelang in christlichen Klöstern versteckt, ernährt und am Leben erhalten wurden - ich habe davon berichtet -, ist es niemals einem Rabbi oder sonstigem Synagogenvorsteher eingefallen, nichtjüdischen Andersgläubigen irgendwie zu helfen oder gar ihr Leben zu retten: das wäre gegen ihre religiösen Vorschriften gegangen, sagen sie. - Zugegeben, daß die Juden während ihrer Galuth-Zeiten nur selten in die Lage kamen, bedrängten Nichtjuden beizustehen; doch seit die Zionisten zu Herren in Palästina geworden sind, bot sich ihnen die vielhundertfache Möglichkeit, den bedrohten, verfolgten und jämmerlich hungernden Arabern ihres Landes Hilfe und Rettung zu bringen. Ich habe aber, während ich im "gelobten Lande" weilte und täglich das arabische Elend vor Augen hatte, von keinem Rabbi, von keinem sozialen Hilfswerk, geschweige denn von einer weltlichen Behörde gesehen oder erfahren, daß sie jemals einem Moslim beigestanden hätte. Mag das nun Grundsatz sein oder nicht, jedenfalls spricht es von politischer Instinktlosigkeit, die vom beobachtenden Ausland als Zelotentum abgewertet wird.

Mit dem 14. Mai 1948 hatte sich die Lage in Palästina schlagartig verschärft; die junge israelische Landesverwaltung begegnete den Arabern sogleich mit unverhüllter Mißachtung, ja Gehässigkeit, und auch die Tatsache, daß man später der arabischen Minderheit einige (zu wenige!) Anstandssitze im Landesparlament, der Knesseth, einräumte, änderte nichts an der überheblichen Verachtung, mit der die neuen Herren auf ihre unerwünschten Mitbewohner niederschauen und ihnen selbst vor den Gerichten keinerlei nachdrückliche Rechtsbeihilfe gewähren. Ich habe diese beklagenswerten Zustände, die ich

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im Jahr 1949/50 mit eigenen Augen beobachten mußte, in meinem Buch "Schuld und Schicksal" (Kapitel: die Söhne Ismaels) eingehend geschildert und will mich hier nicht wiederholen. Wohl aber muß ich von einem Erlebnis berichten, das mich damals schmerzlich erschütterte:

Als ich mich in Tel Aviv aufhielt, hatte man mir berichtet, daß unmittelbar nach Ben Gurions Machtergreifung nicht weniger als 50 000 Araber die benachbarte Schwesterstadt Jaffa fluchtartig verlassen hatten, weil sie ihres nackten Lebens - von einer Existenz ganz zu schweigen! - nicht mehr sicher waren; Hals über Kopf hatten sie sich ins graue Elend des Niemandslandes gerettet. - Jetzt, zwei Jahre später, befand sich in der großen Doppelstadt kein einziger lebender Araber mehr, und um wenigstens mit den Geistern ihrer Toten eine besinnliche Zwiesprache zu halten, suchte ich den Araber-Friedhof auf, der in Zaffon zwischen den beiden Städten liegt. Wie verblüfft aber war ich, auf dieser alten Ruhestätte keinen einzigen Grabstein mehr zu finden! Die halb zerstörten Grüfte dienten, wie man mir schmunzelnd erklärte, als nächtliche Treffpunkte für Liebespärchen -!

Einige Zeit später weilte ich in der Stadt Beerseba am Wüstenrand des Negev. Auch hier suchte ich, fast unwillkürlich, den Araber-Friedhof auf, und auch er war aller Grabsteine beraubt, bis auf einige zerschlagene. Im Städtchen aber fand ich die Grabsteine wieder: zionistische Neusiedler, die in die von den Arabern fluchtartig geräumten Häuser eingezogen waren, hatten diese instandgesetzt, hatten die Grabplatten der vertriebenen Feinde als Treppenstufen in ihre Wohnungen eingesetzt oder als Bürgersteige neben die Häuser gelegt; auf vielen waren die arabischen Schriftzeichen, meist Koransprüche, noch deutlich lesbar: mein Fuß zuckte vor dem Betreten dieses grabschänderischen Pflasters zurück! Dabei mußte ich an gewisse deutsche Städte denken, deren jüdische Kultusgemeinden sofort Zeter und Mordio schreien, wenn irgendein böswilliger Narr oder übermütiger Bengel ein paar jüdische Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert: welch ein unsühnbares Verbrechen! Hier in Beerseba aber lagen jene Steine, die von der frommen Gläubigkeit hinterbliebener Moslemin ihren Toten gesetzt worden waren - hier lagen sie als Treppenstufen oder Pflaster an den Wohnstätten der jüdischen Eindringlinge, und die Koransprüche, die Verheißungen von Allahs Paradies, werden jetzt von Fremden tagtäglich hundertmal beschritten, werden in des Wortes wörtlichstem Sinne mit Füßen getreten -!

Sollte ein Leser mir nun Sentimentalität vorwerfen oder behaupten, das seien ja Bagatellen, dann erwidere ich ihm: das Leben im heuti-

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gen Staat Israel setzt sich aus Hunderten, ja Tausenden derartiger Bagatellen, Schikanen, Bösartigkeiten, Ungerechtigkeiten, Rohheiten, Überheblichkeiten, ja Grausamkeiten zusammen, die alle vom Staat Israel oder von seinen Vollbürgern gegen die halb verhungerte arabische Minderheit gerichtet werden, wie ich mit eigenen Augen immer wieder habe sehen, mit eigenen Ohren immer wieder habe hören müssen. Wer das selber erlebt hat, der spricht nicht mehr von Bagatellen, säuselt nichts mehr von Sentimentalität; der weiß, daß hier einer der schlimmsten Rechtsbrüche des Völkerlebens, eines der größten "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vorliegt, ohne daß sich bisher ein Gerichtshof nach Nürnberger IMT-Vorbild gefunden hätte, der diese Weltschande aburteilt -!

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Wenn schon die in den vorstehenden Absätzen beleuchteten Methoden der israelischen Staatsführung und die Zustände in ihrer zivilen Verwaltung ihr den Vorwurf der Unmenschlichkeit zuziehen und deren öffentliche Verurteilung fordern, so gilt dies erst recht für die empörenden Grausamkeiten, mit denen die bewaffnete Macht der Israelis - Hagana, Sterngruppe und Makkabäer - während der Feldzüge gegen die Araber vorgegangen ist, und zwar vor allem gegen die wehrlose arabische Zivilbevölkerung. Im Waffenkampf von Mann gegen Mann ist Blutgier zwar auch verwerflich, doch immerhin noch leidlich entschuldbar; die Grausamkeit gegen Wehrlose aber ist seit jeher in allen Konventionen über Kriegsführung als verbrecherisch gekennzeichnet worden. Gerade die schier endlosen Guerillas zwischen Zionisten, Arabern und Briten, die sich in den Jahren 1945 bis 1949 in allen Teilen Palästinas und an seinen Grenzen abspielten und während des Suezkonflikts im Herbst 1956 eine kaum minder blutige Wiederholung erlebten, - die lange Kette dieser kleinen und größeren Gefechte. Scharmützel, Überfälle, tückischer Hinterhalte, grausamer Folterungen, brutaler Mißhand[l]ungen und scheußlicher Massakres, verübt an Wehrlosen: diese Kette von Leiden, Qualen und Todesröcheln unschuldiger Opfer ist der Weltöffentlichkeit kaum bekannt geworden; denn die "große" Presse hat wohlweislich davon geschwiegen - außer wenn es sich um Ver[z]weiflungstaten irgendwelcher arabischer Freischärler handelte, die man der Sensationsgier ferner Großstädter unter dicken Schlagzeilen zum Fraße vorwarf; doch die bei jenen Grausamkeiten dabei gewesen sind, haben sie nicht vergessen, und eines Tages werden auch sie aktenmäßig vorliegen.

Immerhin sind aus diesem blutigen Bereich einige empörende Vorkommnisse der weiten Welt bereits bekannt gemacht worden, so

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durch den britischen Generalstäbler Glubb Pascha, der 1948/49 Abdallahs "Arabische Legion" gegen die Israelis führte und später den Verlauf jenes Feldzuges in seinem Erinnerungsbuch "Jenseits vom Jordan" eingehend dargestellt hat. Dort berichtet der Pascha auch von dem Überfall der Zionisten auf das westlich von Jerusalem gelegene Dorf Deir Jasin, die wohl größte Arabersiedlung des Landes mit einer Bevölkerung von rund 2000 Seelen. Der Überfall fand am 9. April 1948 statt, also volle sechs Wochen vor der Ausrufung des Staates Israel und der darauf folgenden Eröffnung der bewaffneten Feindseligkeiten - ein brutaler Völkerrechtsbruch mitten im Frieden, wie ihn die Zionisten seitdem noch mehrfach begangen haben. Hier einiges aus Glubb Paschas Bericht:

Eine zionistische Kampfgruppe, die sich "die Feuerköpfe" nannte, hatte an jenem Apriltag in der Nähe des genannten Dorfes operiert - ob in Verfolgung arabischer Freischärler, ist nie festgestellt worden - und war in Deir Jasin eingedrungen, wo sich nur alte Männer, Frauen und Kinder befanden, da alle rüstigen Männer in der Stadt arbeiteten und nur in ihrer Freizeit die mageren Äcker bebauten. Als die Israelis nach geraumer Zeit wieder abrückten, hinterließen sie 200 Leichen im Dorfbrunnen. Soweit der Bericht von Glubb Pascha. - Die Ungeheuerlichkeit dieses Massakres konnte in Jerusalem nicht totgeschwiegen werden. In der Knesseth wie in der Presse kam es zu wilden Auseinandersetzungen, wobei Dr. Dov Josef als Parteiführer der Mapai nichts unversucht ließ, die Schuld an dem Massenmord von der mapai-hörigen Hagana auf die zionistischen Freischärler abzuwälzen, die zur parlamentarischen Opposition hielten; diese aber konnten unwiderlegbar beweisen, daß die Hagana das grausame Vorgehen gewünscht hatte, um den verhaßten Mitbürgern ein weithin sichtbares Fanal zur Massenflucht aus dem Lande anzuzünden, die denn auch prompt einsetzte. Die Untersuchungen ergaben übrigens, daß 254 wehrlose Dörfler massakriert worden waren, während Glubb Pascha nur von 200 Toten spricht. - Selbstverständlich distanzierten sich sowohl die Jewish Agency als auch die israelische Sochnuth mit empörten Kundgebungen von jener Schandtat; doch davon wurden die schuldlosen Opfer von Deir Jasin nicht wieder lebendig, und deren etwaige Hinterbliebene brauchte der israelische Staatssäckel nicht zu entschädigen, weil sie allesamt geflüchtet waren.

Über den "Schwarzen Sabbath" habe ich im Abschnitt David Ben Gurion berichtet. Hier sei ergänzend hinzugefügt:

Am 29. Juni 1946 wurde auch Mosche Schertok, der sich später als Außenminister Scharett nannte, verhaftet. Bei ihm aber fand die britische Polizei verschiedene Dokumente, welche sowohl die Hagana als

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auch die Mapai kompromittierten. Dies bereitete den Führern der Mapai schwere Sorgen. Sie trachteten danach, entweder diese Dokumente wieder in ihren Besitz zu bringen oder sie doch wenigstens zu vernichten. Um das zu erreichen, wandten sie sich an die Führer der Makkabäer und der Sterngruppe. Diese waren willens, zu helfen. (Und das, obgleich geraume Zeit vorher einige makkabäische Aktivisten bei Razzien der Hagana verhaftet und sogar der britischen Polizei ausgeliefert worden waren. Denn die Mapai-Führung war gegen jede Auflehnung gegen die britische Kolonialmacht.)

Es kam zu Besprechungen zwischen Abgesandten der Hagana, der Makkabäer und der Sterngruppe, und es wurde beschlossen, das King-David-Hotel in Jerusalem in die Luft zu sprengen, um so die in diesem Hotel aufbewahrten Dokumente mit zu vernichten. Der Abgesandte der Hagana, der im Namen David Ben Gurions, des Führers der Mapai - die Hagana ist eine Militärgruppe der Mapai - sprach, war mit diesem Plan einverstanden.

Am 22. Juli 1946 flog das Hotelgebäude, in dem sich der britische Generalstab der Palästinischen Armee befand, in die Luft. Man zählte hundert Tote und weit über hundert Verwundete. Diese terroristische Meisterleistung fand ein weltweites Echo. Der Führer der Hagana wandte sich an die Makkabäer mit der Bitte, diese Tat offiziell auf sich zu nehmen, was auch prompt geschah. Ebenso prompt aber distanzierte sich die Sochnuth in Jerusalem von dieser schrecklichen Tat. Leiter der Sochnuth war der Führer der Mapai, der höchste Kommandant der Hagana, David Ben Gurion.

Auch dieses Verhalten kennzeichnet die einmalige satanische Taktik der Mapai-Führung.

Mit diesem kurzen Tatsachenbericht möchte ich verhindern, daß gewisse engagiert-interessierte Geschichtsschreiber die Kunde von der Gründung des Staates Israel auf ihre Art einfärben.

Einige Jahre später wiederholte sich das satanische Spiel mit dem Leben wehrloser Dörfler: abermals mitten im Frieden überfiel am 14. Oktober 1953 ein israelisches Sonderkommando - angeblich als Repressalie für arabische Freischärler-Angriffe - das jordanische Grenzdorf Kibya: die große Siedlung wurde restlos zerstört, nachdem so gut wie alle Einwohner niedergemacht worden waren. - In Europa erfuhr man kaum etwas, in der BRD hörte man überhaupt nichts von dieser neuen Schandtat; sie paßte nicht ins israelfromme Konzept der Bonner Regierung und ihrer konformistischen Presse.

Im Oktober 1956 bot das blutige Abenteuer in Ägypten den israelischen Hitzköpfen wieder eine Gelegenheit, ihren blindwütigen Haß gegen die Araber zu betätigen: gleich am ersten Tag des Angriffs,

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der später als "Sinai-Feldzug" in die israelische Kriegsgeschichte eingegangen ist, am 29. Oktober 1956, rückte ein Israel-Bataillon ins arabische Dorf Kfar Kassem ein, welches im sog. "Dreieck" westlich der Stadt Tulkar (Tül-Karm) in Samaria lag. (Dieses Dreieck war laut UNO-Beschluß seinerzeit zu Jordanien geschlagen worden, beim Waffenstillstand jedoch an Israel gefallen und seitdem umstritten geblieben.) In dem unglücklichen Dorf Kfar Kassem nun spielte sich eine blutige Tragödie ab:

Der für die Sicherheit des Abschnitts verantwortliche israelische Major erklärte um 16 Uhr dem Bürgermeister, daß ab 18 Uhr strengstes Ausgehverbot über das Dorf verhängt sei. Der Bürgermeister beschwor den Offizier, die Sperrfrist wenigstens für den heutigen ersten Tag zu verlängern, da alle Bauern sich draußen bei der Feldarbeit befänden und nicht vor 19 oder 20 Uhr heimkommen könnten, er selber auch außerstande sei, binnen einer so kurzen Frist die weit verstreut arbeitenden Bauern rechtzeitig zu verständigen. - Der Major telegraphierte mit seinem Brigade-Chef und erklärte danach, keine Ausnahme machen zu können. - Als die Mehrzahl der Bauern gegen 19 Uhr von ihren Feldern nach Kfar Kassem heimkam, wurde sie von der israelischen Grenzpolizei festgenommen: vor allem Männer, aber auch jene Frauen und Kinder, welche die Väter aufs Feld begleitet hatten. Die Polizisten verluden die völlig verstörten Araber auf Lastwägen und fuhren sie vor eine Mauer am Dorfrand; dort wurden alle 47 - Männer, Frauen und Kinder - teils erschossen, teils durch Bajonettstiche und Kolbenschläge umgebracht.

Die Welt würde von dieser schauerlichen Untat kaum etwas erfahren haben, wenn sich ihrer nicht der Journalist Uri Avneri angenommen und sie bekanntgemacht hätte. Dieser war als blutjunger Jude unter seinem deutschen Namen Helmut Ostermann im Jahr 1933 aus Hannover nach Palästina eingewandert und hatte dort später die Wochenzeitung "Hoalam Haze" [recte: Haolam] gegründet, die er heute noch herausgibt. In dieser Zeitschrift setzte er sich schon frühzeitig sehr offen für die Gleichberechtigung der arabischen Minderheit im Lande ein, indem er einen israelisch-arabischen Bundesstaat forderte und viele Anhänger dieser vernünftigen Politik fand. Uri Avneri hatte bereits nach dem Überfall auf Kibya (14. Oktober 1953) in seiner Wochenzeitung einen leidenschaftlichen Protest gebracht, der mit den Worten schloß: "Denken wir stets daran, daß wir eines Tages unseren Kindern in die Augen blicken müssen, wenn wir ihnen von unserm Kampf erzählen. Halten wir unsere Waffen rein!" - Selbstverständlich wurde der aufrechte Redakteur gleich am nächsten Morgen

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im Büro überfallen und mit einem seiner Gehilfen halb tot geprügelt: seine Wahrheitsliebe hatte das Faustrecht herausgefordert -!

Doch Uri Avneri gab nicht auf; er führte den Kampf für Gerechtigkeit und Anstand unbeirrbar weiter. Während die Regierung die fatalen Einzelheiten des Massakres von Kfar Kassem geheimzuhalten suchte, veröffentlichte er sie in seinem Blatt "Haolam Haze" unter der Überschrift "Die Saat der Gewalt" und schrieb dazu: "Wir können unsere Hände nicht in Unschuld waschen: denn wir alle haben geduldet, daß der Keim des Hasses gelegt wurde!" - Jetzt, im Herbst 1956, fand seine Anklage auch Unterstützung durch die Zeitungen der linkssozialistischen Mapai-Partei und des Freundeskreises um Martin Buber; das zwang die Regierung zu einer amtlichen Untersuchung des peinlichen Falles. Sie zog sich durch fast zwei Jahre hin, führte dann aber doch zu einem Prozeß gegen den schuldigen Offizier - freilich nicht gegen den verantwortlichen Brigade-General, der den Mordbefehl ausdrücklich gebilligt hatte, sondern gegen jenen Major, der ihn ausführte. Er kam - wie konnte es anders sein!? - mit einer geringen Strafe davon, die obendrein durch Bewährungsfrist entschärft wurde: Massenmord ohne gerechten Richter!

Bei den letzten Knesseth-Wahlen in Israel kandidierte auch zum ersten Male der obengenannte Avneri, der gewählt wurde. Damit allein ist bereits erwiesen, daß die Zahl jener, die Freundschaft mit den Arabern anstreben, eine steigende Tendenz aufweist.

Wenigstens über diesen Fall wurde die Öffentlichkeit der BRD, wenn auch reichlich spät, unterrichtet: in seiner Ausgabe vom 21. Mai 1958 brachte das Hamburger Nachrichten-Magazin "Der Spiegel" den Anklage-Aufsatz von Uri Avneri und druckte ihn unter dessen Originaltitel "Die Saat der Gewalt" nach. Eine Schwalbe macht zwar noch keinen Sommer, wie man so sagt; doch immerhin, es war eine recht beachtliche Schwalbe, die damals ins bonnkonforme Schweigen der westdeutschen Tagespresse hineinzwitscherte.

Als ich diesen "Spiegel"-Aufsatz las, mußte ich lebhaft an jenen Frühlingstag des Jahres 1950 zurückdenken, den ich in Nazareth verbracht hatte. Dort war ich einem älteren Juden begegnet, der sich zunächst behutsam von mir distanzierte, dann aber, in mir den Galuth-Juden erkennend, das schwere Wort sprach: "Was wir hier in Israel säen, werden wir dereinst ernten. Ich möchte das nicht mehr erleben!" - Am selben Tage traf ich im dortigen Hotel einen katholischen Pfarrer aus Preßburg, der schon über fünf Jahre in Nazareth wirkte. Tief niedergeschlagen flüsterte er mir zu: "Der Staat Israel ist zu den biblischen Zeiten zurückgekehrt! Die hier im Lande praktizierten Methoden werden von Haß und Gewalt diktiert!"

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Der bekannte englische Historiker Prof. Dr. Arnold Toynbee (der jüngere) schrieb im Februar 1955 im "Jewish Frontier": "Israels geistige, aber auch politische Zukunft ist mit der Zukunft der Araber von Palästina eng verknüpft. Ich glaube, Israels oberste Pflicht und Interessen sind es, jenes Unrecht wieder gut zu machen, das die arabischen Flüchtlinge erlitten haben." Diese Zeilen sind zwanzig Monate vor dem blutigen Suez-Abenteuer geschrieben worden. - Ende Februar 1961 weilte Toynbee auf Einladung der Hillel-Stiftung in Kanada; in einem Vortrag, den er in Montreal hielt, kam seine bittere Enttäuschung über die seitherige Entwicklung in Israel zum Ausdruck, als er erklärte, daß die Behandlung der Araber in Palästina durch die Israeli qualitativ, wenn auch nicht quantitativ mit der Behandlung der Juden durch die Nationalsozialisten zu vergleichen sei: ganz Israel sei in die Vertreibung und Ermordung von Arabern verwickelt! Gerade die Juden, die durch viele Generationen hatten leiden müssen, hätten jetzt den Arabern gegenüber ganz anders handeln sollen! Für ihn, Toynbee, bleibe Mord nun einmal Mord -!

Als in Frankreich die Judenverfolgungen begannen, richtete im Dezember 1941 der Bischof Théas von Montauban folgenden Brief an den Rabbiner seiner Stadt: ". . . Die Kränkung, die brutale Verfolgung Ihrer Glaubensgenossen ruft den Protest des christlichen Gewissens und alles dessen hervor, was an der Menschheit anständig ist.

Ich lege Wert darauf, Sie meiner lebhaftesten Sympathie und meines Gebetes zu versichern." (L. Poliakov, Das Dritte Reich und die Juden).

Dies ist keineswegs das einzige Zeichen christlicher Anteilnahme an jüdischen Leiden. Was indessen so manchen zionistischen Publizisten nicht hindert, die ganze Christenheit Europas in das Verdammungsurteil gegen Mörder an Juden mit einzubeziehen.

Angesichts der nicht enden wollenden Beschuldigungen katholischer Autoritäten drängt sich hier die Frage auf: Haben jemals jüdisch-religiöse Autoritäten Palästinas oder Israels an arabisch-religiöse Autoritäten ähnliche Worte der Anteilnahme gerichtet? Es wirft nicht eben ein gutes Licht auf den Charakter, wenn jemand einen anderen beschuldigt, etwas unterlassen zu haben, was er selbst stets unterlassen hat.

Sollte ich mich aber doch geirrt haben, so wäre ich glücklich, davon zu erfahren.

Kommentar erübrigt sich.

An Jehova sei die Bitte gerichtet: "Laß verstummen die Lügenlippen, die in Hochmut und Verachtung Freches reden. . ." (Psalm 31:18).

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Arabien im Gegenangriff

Der arabische Gegenangriff kann gar nicht ausbleiben. Selbst dann, wenn der junge Staat Israel nach seiner Errichtung sich besonnen-ruhig verhalten hätte, wenn er den Arabern in seinem neuen Staatsgebiet versöhnlich und den benachbarten Fürstentümern konziliant begegnet wäre - selbst dann würde er von der arabischen Welt als Eindringling, als Räuber und als Fremdkörper befehdet worden sein; er würde aber auch mancherlei Möglichkeiten gefunden haben, sich mit dieser ihm fremden Welt schiedlich-friedlich zu verständigen und damit die eigenen Anlauf-Schwierigkeiten zu verringern. Da er sich aber von Anfang an feindlich gegen die Moslemin im eigenen Land und gegen deren naturgegebene Blutsbrüder an den Grenzen stellte, ja sogar immer wieder mit grausamen Überfällen gegen sie vorging, so durfte sich der junge Staat nicht wundern, wenn man ihm in gleicher Münze heimzahlte und jegliche Versöhnungsbereitschaft aufgab.

Man verstehe das Wort "Gegenangriff" richtig: ich denke dabei nicht an einen entscheidenden heißen Krieg, dessen Ausbruch schon bald erfolgen könnte; diese Methode ist zunächst einmal in den politischen Kühlschrank gelegt worden - selbst von den israelischen Ultras, denen ihre Suez-Blamage doch etwas zu denken gegeben hat. Auch in der Judenstadt von Jerusalem und in Tel Aviv hat man schließlich erkennen müssen, daß man zur Eröffnung bewaffneter Feindseligkeiten heute die Erlaubnis dieser oder jener Weltmacht benötigt, die zwar weit vom Schusse, aber höllisch nahe am Druckknopf sitzt, wenn lokal bestimmte Rauflust sich zu einem Sprung anschickt, aus dem am Ende ein Dritter Weltkrieg aufflammen könnte: ein dritter und zweifellos letzter Weltkrieg, der die großen wie die kleinen Mächte blitzschnell atomisieren könnte. Ein solcher Kriegsausgang wäre nämlich völlig reizlos für die paar überlebenden Großmanager, die, wenn sie zuletzt aus ihren Bunkern herausgekrochen kämen, niemanden mehr vorfinden würden, der für sie schuften, sich anpfeifen oder totschießen lassen könnte; denn die Umwelt ist dann bereits völlig tot: ihre faulenden Leiber verpesten die Luft, und ihre entflogenen Seelen lassen sich keine Sklaverei mehr aufzwingen.

Seit man in Washington, Moskau und Peking diese entmutigenden Zusammenhänge klar durchschaut hat, verspricht man sich dort - wenn wir von einigen selbstmörderischen Amokläufen einmal absehen - nichts mehr vom Atomkrieg: an den politischen Weltbörsen

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sind die noch vor zehn Jahren bis an den Mond hochgespielten Aktienpakete "Hiroshima Vertausendfacht" im Kurswert stark herabgesunken, und ihre Besitzer bieten sie nur darum noch weiter an, weil sie sich damit gegenseitig abschrecken und in Schach halten möchten, während ihr praktisches Kriegsdenken längst wieder zu den "konventionellen Waffen" zurückgekehrt ist, deren heutige Vernichtungskraft an Mordwirkung zwar alle früheren Waffen tief in den Schatten stellt, sich aber doch auf engere Kriegsschauplätze beschränken läßt und somit, wie die paar Weltmächte kalkulieren, sie selber aus dem tödlichen Spiel heraushält, wenn kleinere Satellitenstaaten das Bedürfnis verspüren, sich zu zerfleischen: warum nicht, wenn es ihnen Spaß macht!? Man selber wird als Schlußerbe des gedrängten Leichenfeldes die Kadaver irgendwie verwerten, um dann den verwaisten Boden und seine Industrieanlagen für eigene, größere Weltmachtpläne auszubeuten.

Das Merkwürdige, um nicht zu sagen: das Perverse an diesem frivolen Spielplan bleibt die Tatsache, daß die kleineren Mächte um so gieriger nach dem Besitz von Atomwaffen streben, je vorsichtiger die Weltmächte ihren riesigen Bestand an diesen Vernichtungsgeschossen unter Verschluß halten und damit abbuchen. Das gilt vorerst nur für die USA und die UdSSR; doch in Kürze wird auch die dritte Weltmacht, Rotchina, ihren Vorrat beisammen haben und - ebenfalls in den politischen Kühlschrank legen. Anders aber die Nationalstaaten in Westeuropa: John Bull arbeitet zwar auch im Nuklear-Sektor als Uncle Sams Juniorpartner, liebäugelt indes gelegentlich mit einem eigenen Versandgeschäft; General de Gaulle baut planmäßig seine "Force de frappe" auf: er hat bereits ein Atombömbchen und hofft, es absehbar zu einer ebenbürtigen Großbombe zu entwickeln. Im Bonner "Verteidigungsministerium" fiebert man nach Amerikas Erlaubnis, für die Bundeswehr ebenfalls Atombomben herstellen oder wenigstens kaufen zu dürfen; man weiß zwar, daß die Erlaubnis kaum erteilt werden wird, und doch verharrt man bei diesem Tauziehen, weil man eben unbedingt "mit im Spiel" sein möchte. Frage: in welchem Spiel?? Es ist und bleibt ein Selbstmörderspiel.

Andere Länder, die nicht im Schatten der Siegerjustiz von 1945 zu zappeln brauchen, experimentieren heute auch schon fleißig im nuklearen Sektor, und wenn man sie fragt, wozu?, dann antworten sie prompt: zur friedlichen Auswertung der Atomkraft für Verkehrszwecke! Das nimmt ihnen freilich niemand ab; denn für finanzschwächere Länder wären diese Versuche viel zu kostspielig; sie kämen weitaus billiger davon, wenn sie atomgetriebene Schiffe oder Lokomotiven von den Weltmächten kauften, sobald es einmal so weit ist.

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Ganz anders aber steht es um die Atomwaffen: die möchte jeder leidlich "entwickelte" Staat am liebsten selber herstellen; denn die Zerstörungslust des weißen Mannes hat schon immer ansteckend auf besinnlichere Rassen gewirkt und reißt diese heute unverkennbar in die allgemeine Weltuntergangsstimmung hinein.

Typisch hierfür sind die Rüstungsbestrebungen in Israel und Ägypten: seit man in den beiden Staaten erkannt hat, daß zwischen ihnen ein künftiger Entscheidungskampf unvermeidlich geworden ist, erhebt man die Atombombe zum obersten Kriegsgott von morgen, und Jehova wie Allah schauen neugierig zu, ohne zu wittern, daß dieser Götze sie eines Tages entthronen könnte. Allem Anschein nach war es Israel, das das frivole Spiel eingeleitet hat: bereits im Dezember 1960 hatte Mr. Alan Dulles als Chef des amerikanischen Geheimdienstes vor der Senatskommission für Kernwaffen erklärt, er habe handfeste Beweise dafür, daß Israel mit der Herstellung von Plutonium begonnen habe, welches für die Produktion von Kernwaffen benötigt werde. - In Washington war man gespannt, ob die israelische Regierung diese Angaben dementieren werde; sie tat es nicht, versicherte aber kaltstirnig, es handle sich bei jenen Forschungen nur um die Nutzbarmachung nuklearer Kraft für friedliche Verkehrszwecke. - Als ein Vierteljahr früher, im September 1960, ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug über der Negev-Wüste zahlreiche Aufnahmen gemacht und dabei den Bau von Atom-Fabriken festgestellt hatte (laut Meldung des Amsterdamer "Telegraaf" vom 13. Januar 1961), hatte Ben Gurions Regierung noch heftig gegen jene, das Völkerrecht verletzende Luftspionage protestiert und die aufgenommenen Baulichkeiten als Textilfabriken verharmlost; doch auf die Dauer verfing die Schwindelei nicht mehr.

(Die Suez-Aggression und Eichmann-Entführung waren wohl für David Ben Gurion völkerrechtlich nicht zu beanstanden.)

In den USA zeigte man sich damals empört über diese Praktiken, die man als verwerteten Diebstahl wissenschaftlichen Eigentums empfand, weil (oder obgleich?) die amerikanischen Behörden früher einmal einigen israelischen Forschern erlaubt hatten, bei ihnen die Möglichkeit der Produktion von schwerem Wasser und der Abspaltung von Uran aus Phosphaten (deren Vorhandensein in der Negev-Wüste festgestellt worden war) zu studieren. Schließlich pflegt man ja Forschungsgeheimnisse nicht aus reiner Angeberei an Fremde auszuliefern; man hat dabei meist ein festes Ziel im Auge! Vielleicht aber haben sich die Amerikaner auch über die damals vom Amsterdamer "Telegraaf" (siehe oben!) aufgestellte Behauptung entrüstet, daß Frankreich den Israelis beim Bau einer Atombombe helfen wolle? Das

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Verhältnis Paris-Washington war zu jener Zeit schon stark gespannt, nachdem General de Gaulle seine Devise "Europa den Europäern!" unmißverständlich kundgetan hatte.

Weit stärker indes als die Amerikaner mußte Ägyptens Offizier-Präsident Nasser von den israelischen Kernenergie-Experimenten beunruhigt sein; er sah in ihnen keinen Monopol-Diebstahl, wohl aber eine drohend auf sein Land gerichtete Spitze. Hatte doch David Ben Gurion gerade damals - kurz bevor er Eichmanns Entführung aus Argentinien anlaufen ließ mit dem deutschen Bundeskanzler Adenauer in New York jenes bis heute vertuschte Mann-zu-Mann-Abkommen über große deutsche Waffenlieferungen und zusätzliche Millionenzahlungen an Israel abgeschlossen, von denen später in der BRD so gut wie nichts, im Ausland aber allerlei Genaues durchgesikkert [sic] ist, was dem Präsidenten Nasser vor einiger Zeit erlaubte, öffentlich zu erklären, Adenauer habe Ben Gurion damals die geheim vereinbarten Waffenlieferungen, darunter auch schwere Panzer und modernste Kampfflugzeuge, nicht etwa verkauft, sondern "geschenkt" - ebenso wie jene 500 Millionen Dollars, die noch bar hinterher geschmissen wurden und es den Israelis ermöglicht haben dürften, eigene Atomkraftwerke aufzubauen! (Sehr aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Bonner Regierung im Februar 1966 Rechenschaft abgelegt hat über ihre jetzt abgeschlossenen "Wiedergutmachungs"-Zahlungen an Israel in Höhe von 3,45 Milliarden DM, die bei dieser Gelegenheit spezialisiert wurden. In der Abrechnung sind jene geheimen Waffenlieferungen der BRD an Israel mitsamt den 500 Millionen Dollars mit keinem Wort erwähnt; sie gelten offenbar als "nichtamtlich" und werden taktvoll verschwiegen - wahrscheinlich auch darum, weil ihr enormer Betrag selbst den schafsgeduldigen westdeutschen Steuerzahler bis zur antizionistischen Weißglut erhitzen müßte!) -

Als Präsident Nasser spätestens um die Jahreswende 1960/61 erkannt hatte, daß Israel sich atomar aufrüstete, sah er sich zu energischen Gegenmaßnahmen gezwungen: er bat die Sowjetunion um rasche Hilfe beim Aufbau einer ägyptischen Kernwaffen-Zentrale und die westdeutsche Wissenschaft um Entsendung von Atom-Spezialisten. Beide Hilfsstellungen wurden ihm bereitwillig gewährt, und man begann am Nil überaus tatkräftig mit dem Aufbau der Nuklear-Bewaffnung. Sobald die Israelis dies ausspioniert hatten, warfen sie sich in die Rolle der schutz- und hilflos Bedrohten: nicht nur, daß sie Sprengstoff-Attentate gegen bestimmte deutsche Wissenschaftler am Nil verübten; sie mobilisierten auch die große Weltpresse, soweit sie ihnen zugänglich war, mit der Forderung, alle diese verbrecherischen

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in Ägypten tätigen deutschen Atom-Spezialisten seien von ihrer Regierung heimzubeordern, weil sie den Weltfrieden gefährdeten! - Jahrelang ging das Tauziehen für und wider; Nasser stellte sich taub, und erst als sein gutes Verhältnis zur BRD sich stark abgekühlt hatte, entließ er die bundesdeutschen Forscher in ihre Heimat. Einige von ihnen hatten sich naturalisieren lassen und blieben im Lande tätig.

Seitdem schweigt sich die Weltpresse über die Kernwaffen-Entwicklung bei den Widersachern im Nahen Osten aus. Es versteht sich, daß die nukleare Aufrüstung in beiden Ländern weitergeht: Nasser dürfte die freigegebenen bundesdeutschen Wissenschaftler inzwischen durch andere ausländische Fachkräfte und durch einheimischen Nachwuchs ersetzt haben, und im verstummten Israel wird wohl ebenso fleißig weitergewerkelt. Hat sich doch nach 1945 gezeigt, daß die höchstspezialisierten deutschen Raketenbauer, diese eigentlichen Väter der Atomwaffe, nachdem sie teils vom Ami, teils vom Iwan zwangsdeportiert worden waren und einige Jahre lang im geistigen Frondienst bei den Siegern die Kernwaffen ausgestaltet hatten, eines Tages fast alle in ihre deutsche Heimat zurückgeschickt wurden: man hatte diesen Wissenschaftlern, diesen ausgequetschten Zitronen, inzwischen das Wesentliche abgeguckt und konnte nun mit einheimischen Kräften weiterentwickeln.

Auch bei den Rivalen im Nahen Osten wird es nicht anders vor sich gehen. Die große, fast lähmende Frage bleibt jetzt, ob und wann die erste Atombombe loszischt, und wer von den Beiden zuerst auf den Knopf drückt. Der zweite Knopfdruck dürfte dann der letzte sein, wenn er überhaupt noch erfolgt.

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Ob Ägypten oder Israel bei einer rein kriegerischen Auseinandersetzung künftig Sieger bleibt, läßt sich heute nicht voraussagen; entscheidend bleibt der politische Rückhalt, den die Gegner sich zu sichern vermögen, und hierin dürfte Gamal Abd el Nasser wohl die stärkere Position innehaben, schon weil er ein machtvolles Teilstück der arabischen Welt vertritt, während Medinath Israel ohne die schützende Rückendeckung einer benachbarten Wand dasteht, an die es sich anlehnen könnte. Nasser ist freilich nicht mit der arabischen Welt identisch, keineswegs; sein Versuch, mit Syrien die VAR (die Vereinigten Arabischen Republiken) zu bilden und Israel in deren Zange zu nehmen, hatte nur kurzen Bestand, und von der ihm so viel versprechenden VAR blieb nur der Name in den Händen und auf den Briefmarken des Ägyptischen Diktators - nicht zuletzt dank seiner

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überbetonten Selbstherrlichkeit, die den anders gearteten Syrern auf die Nerven ging. Auch das Verhältnis zwischen den arabischen Herrscher-Dynastien in Saudi-Arabien, Jemen und Jordanien auf der einen, der VAR, Irak und Libanon auf der anderen Seite leidet unter ideologischen Rivalitäten, die nicht einfach aus der Welt zu schaffen sind; doch Nasser ist noch jung und trotz seinen Selbstherrscher-Allüren geschmeidig genug, sich in die größere Kampfffront [sic] einzuordnen, wenn es ihm eines künftigen Tages gelingt, den gesamten Islam des Nahen Ostens oder doch dessen Großteil unter der grünen Fahne des Propheten zum Heiligen Krieg gegen die allseits verhaßten Eindringlinge in Palästina aufzurufen.

Diese düstere Drohung empfindet man in Israel voll geheimen Bangens, und drum schaut man sich in Jerusalem mit fiebernder Energie nach Bundesgenossen um. Man hat nämlich keine! Man hat bestenfalls einen indirekten, aber unzuverlässigen Verbündeten im geldstarken Judentum der westlichen Hemisphäre; doch dieser ungreifbare und auch schon vergrämte Verbündete wird kaum eine Armee oder Flotte zum Schutze der Israelis in Bewegung setzen können oder selbst nur wollen - so wenig wie heute England und Frankreich sich dazu bereit finden würden. Auch von Afrika kann der angeblich "junge" Staat Israel keine Hilfe erwarten: dort wimmelt es von lauter noch viel jüngeren Staaten, die in ihren eigenen Nöten ertrinken und teils auf Allah, teils auf Lenin oder auch Mao Tse Tung schwören, nach Geld und Waffen schreien und bedient sein, nicht aber bedienen wollen. - Bleibt der mächtige Ostblock. Na, und -? Während das New Yorker Großjudentum in Israel immer deutlicher ein verfehltes kommunistisches Experiment erkennt, sieht man im Osten den Judenstaat als ein bereits ramponiertes Bollwerk des Weltkapitalismus an, das keine Hilfe verdient, - schon weil in dem kargen Land nicht viel zu holen ist. - Also woher kann Israel Hilfe erwarten? Etwa von den Eskimos??

Dieses mitnichten. Wohl aber von Konrad Adenauers westdeutscher Hinterlassenschaft, der BRD. Wozu hat man seit zwanzig Jahren dieses 50-Millionenvolk politisch, wirtschaftlich und kulturell umerzogen? Wozu hat man ihm die Kollektivschuld an allen Kriegsverbrechen aufgebürdet und sich diese verdammte Schuldlosigkeit mit Milliarden und aber Milliarden harter deutscher Mark bezahlen lassen? Soll das alles schon der Vergangenheit angehören? O nein! Man muß die bewährte Geschäftsverbindung weiter pflegen, und wenn die BRD auch nicht über einen Atom-Druckknopf verfügt, so verfügt man selber doch über einen besser bewährten Druckknopf, den man seit zwanzig Jahren geölt hat: den Druckknopf auf das schlechte Ge-

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wissen der Deutschen! Diese sentimental veranlagte Völkerschaft zeigt zwar seit einiger Zeit erste Ansätze zur Gewissensverhärtung; doch man wird einen Seelen-Masseur nach Bonn schicken, der die Verhärtungen aufzuweichen versteht. Will man doch die BRD keineswegs zum bewaffneten Bundesgenossen gewinnen - man will überhaupt keine deutschen Genossen! -, wohl aber als zahlungsfreudigen stummen Teilhaber ad multos annos-!

Im Frühjahr 1965 knüpfte Israel Verhandlungen mit Westdeutschland an, die im Herbst des Jahres zum Austausch von Botschaftern zwischen Bonn und Jerusalem führten. Präsident Nasser, der die BRD immer wieder vor diesem Schritt gewarnt hatte, zog sofort die Konsequenzen: er brach die diplomatischen Beziehungen zu Bonn ab, und die meisten Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga folgten seinem Beispiel. Dafür erkannte er jetzt die DDR diplomatisch an - für Bonn ein besonders empfindlicher Schlag! - und lud deren Staatschef Walther Ulbricht zu einem Staatsbesuch nach Ägypten ein, wo der Spitzbart eine weitaus bessere Figur machte als in den westdeutschen Witzblättern, die ihn als "Zonenboß ohne Gefolgschaft" zu verhöhnen suchen.

Diese ausländische Aufwertung der von ihr mißachteten "Zone" war schwer erträglich für die BRD; denn sie traf und trifft weiterhin ihr weltpolitisches Gesicht. Fast noch schwerer erträglich aber war für sie der Handelsboykott gegen westdeutsche Waren, den die Arabische Liga alsbald aussprach; denn dieser traf und trifft ihren Geldbeutel, der nach wie vor der empfindlichste Körperteil aller Materialisten ist, zu denen westdeutsche Wirtschaftswunderleute nun einmal zählen. Wenn Walther Rathenau vor etwa sechzig Jahren einmal erklärt hatte, die Wirtschaft sei das Schicksal der Volker, so war dieser Ausspruch sicherlich überspitzt und nur halb zutreffend, wie die Geschichte seitdem öfters gezeigt hat; daß aber Politik und Wirtschaft mitsammen zum Schicksal eines Volkes werden können, ja müssen, das bewahrheitet sich stets von neuem. Solange die BRD an ihrer längst überlebten Hallstein-Doktrin festhält und auf deren Ideologie schwört, solange dürfte sie immer wieder erleben, daß ihr Weltprofil und ihre Wirtschaftskraft von einer so kurzsichtigen Politik beschädigt und geschädigt, wenn nicht gar untergraben wird, wie das Spannungs-Dreieck Bonn-Kairo-Jerusalem jetzt deutlich zeigt: Westdeutschland hat den überaus beträchtlichen arabischen Markt verloren, weil es ihm wichtiger erschien, gegen diesen die wenig ergiebigen und obendrein problematischen Beziehungen zu Israel einzutauschen. Selbst wenn die Arabische Liga, wie zu vermuten, absehbar ihren Boykott westdeutscher Waren auflockert, so wird der inzwischen ver-

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loren gegangene Handelsboden doch nur schwer von der BRD zurückzugewinnen sein, weil große Teile dieses Bodens jetzt von den Exportgütern anderer Länder, nicht zuletzt der DDR, belegt worden sind: dieser deutsche Teilstaat, der als solcher vom westdeutschen Teilstaat nicht anerkannt wird, ist mittlerweile wirtschaf[t]lich mündig geworden und steht bereits auf festen Füßen; sein Sozialprodukt wie seine Handelsbilanz steigt und verbessert sich von Jahr zu Jahr ganz eindeutig. Hierin liefert die DDR ein kleines, aber lehrreiches Anschauungsbeispiel für die weltwirtschaftliche Erstarkung der kommunistisch gelenkten Staaten, die leider - als liberal denkender Jude muß ich sagen: leider! - heute bereits erkennen lassen, daß sie absehbar die Kapazität des kapitalistisch gesteuerten Westens erreicht haben und ihn eines Tages überflügeln werden. Vor dieser Erkenntnis schützt auch keine ideologische Brille; man wird mit ihrer Verwirklichung rechnen müssen! Für unsern besonderen Fall aber besagt das: die BRD hat - wieder einmal - aufs falsche Pferd gesetzt, als sie sich von Israel in die jetzigen engen Bindungen einfangen ließ, während die arabische Welt des Nahen Ostens, mit Ägypten an der Spitze, sich bei dieser Gelegenheit neue Tore in den Ostblock eröffnet hat, durch die ihr wirtschaftliche und finanzielle Kraftströme zufließen. Präsident Nasser hat derlei Möglichkeiten schon früher meisterhaft manipuliert - man denke nur an die Finanzierung des großen Assuan-Staudammes - und handhabt sie auch jetzt überaus geschickt im Dienste seiner Anti-Israel-Politik.

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So bahnt sich Arabiens Gegenangriff auf den zionistischen Staat schon heute klar erkennbar an: er wird militärisch und waffentechnisch, politisch und wirtschaftlich vorbereitet, und es sind vorerst keinerlei Kräfte erkennbar, die ihn aufzuhalten vermöchten, wenn er einmal zum großen Schlage ausholt. Die arabische Welt hat aber obendrein noch einen stillen Bundesgenossen für den künftigen Kampf, der bisher kaum schon sichtbar, wohl aber errechenbar ist: den biologischen Faktor ihrer starken Bevölkerungszunahme.

Die diesbezüglichen Zahlen der nahöstlichen arabischen Welt (also ohne den Iran, Afghanistan, Pakistan, Indonesien usw.) sind statistisch schwer erfaßbar; sie dürften aber kaum unter dem Zuwachs liegen, den die Palästina-Araber aufzuweisen haben. Diese zerfallen nun in zwei Gruppen: einmal in diejenigen Araber, die auch heute noch im Staat Israel leben, und in die mindestens ebenso große Zahl derer, die seit 1948 ihr altes Heimatland verlassen haben und von den

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Israelis als "Flüchtlinge" bezeichnet werden, während sie selber sich "Vertriebene" nennen. Sie leben in bitterer Not, zum Teil sogar in entsetzlichem Elend in den Nachbarländern, vor allem in Jordanien; das Erstaunliche aber ist, daß gerade diese Vertriebenen, ihrem überaus ärmlichen Lebensstandard zum Trotze, sich außerordentlich stark vermehren: laut zuverlässigen Quellen ist ihre Kopfzahl bereits auf mehr als eine Million angewachsen! Der Geburtenüberschuß beträgt bei ihnen 43 pro Tausend im Jahr: eine der höchsten Weltquoten überhaupt. Dem gegenüber hat der Staat Israel einen Geburtenüberschuß von 18,4 pro Tausend und Jahr; er ist, gemessen an geburtenschwachen europäischen Ländern, recht hoch, erreicht aber noch nicht die Hälfte des arabischen Nachbar-Zuwachses, und obendrein stammt er keineswegs nur aus den Lenden der Israelis, sondern von der Gesamtbevölkerung des Staates, an der die Araber zwar nur mit etwa 22 bis 23 vH beteiligt sind, zum Geburtenüberschuß aber mehr als die Hälfte der 18,4-Quote beitragen: ein kaum vorstellbares Plus an Zuwachs, das noch höher werden dürfte, je stärker die Verstädterung der Israelis zunimmt, die heute bereits zu rund drei Vierteln in ihren drei Großstädten Jerusalem, Tel Aviv-Jaffa und Haifa leben und als typische Städter sich erfahrungsgemäß immer schwächer fortpflanzen.

Daß der arabische Bevölkerungszuwachs - im Lande selber wie an seinen Grenzen - die Kopfzahl der Israelis absehbar überrundet, steht fest, und daß dieser Zuwachs auch weiterhin den jüdischen Eindringlingen gegenüber feindlich gesinnt bleibt, versteht sich, solange Israel seine Araber-Politik nicht um 180 Grad herumdreht, anstatt in Feindschaft zu verharren. Diese muß zu einem Kriege führen - wenn nicht morgen oder übermorgen, so doch überübermorgen, und je kräftiger bis dahin die arabische Bevölkerung anwächst und zu Waffenträgern heranreift, um so stärker die Bedrohung, um so größer die Vernichtungsgefahr für Israel. Das weiß man nirgendwo besser als in Jerusalem und Tel Aviv; man sucht daher möglichst viel jüdische Jugend ins Land zu ziehen und zu Kriegern auszubilden. Krieger aber brauchen eine Idee, für die sie zu kämpfen und zu sterben bereit sind. Ist diese Idee vorhanden?

Bankrott des Weltzionismus?

Schriebe ich in spanischer Sprache, so würde ich, dem kastilischen Schriftstil folgend, das Fragezeichen nicht nur hinter, sondern auch noch vor die obige Überschrift setzen, damit der Leser gleich beim

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ersten Blick merkt, daß es sich um eine Frage handelt: eine schwere, bange Frage!!

Wohl jeder von uns heutigen Juden, der dem Glauben seiner Väter nicht untreu geworden ist und sich der großen, uralten Überlieferung des jüdischen Volkes nicht freiwillig entfremdet hat - jeder von uns hat die Entstehung des Zionismus voll leidenschaftlicher Anteilnahme verfolgt und die heißesten Hoffnungen an die Ansätze zur Verwirklichung dieser groß erschauten Idee geknüpft; denn eine große Idee war - und bleibt - der Plan zur Errichtung einer jüdischen Heimstätte am Berge Zion! Ja, ich wage zu sagen: er ist eine der größten Ideen der Weltgeschichte überhaupt, weil er die Neugestaltung und Wiederbelebung einer ehrwürdig-alten völkischen Vergangenheit kühnen Blicks ins Auge faßte und einen Brückenbau über dunkle Jahrtausende hinweg ins Licht einer helleren Gegenwart zu schlagen unternahm. Wieviele Völker dieser Erde - ja, kann auch nur ein einziges anderes Volk sich rühmen, einen ähnlichen großartigen Brückenschlag unternommen zu haben?

Große nordische Völkerscharen sind im Lauf der Jahrhunderte nach Süden gewandert und an den Küsten des Mittelmeeres versandet, ohne jemals heimzukehren; ostische Reiterheere sind aus Asiens Tiefen nach dem Westen aufgebrochen, sind dort zerschellt oder in Europas östlichen Grenzgebieten seßhaft geworden, aber auch der Vermischung verfallen; verwegene Abenteurer entdeckten neue Welten, zerstörten deren reife Kulturen um fremder Goldschätze willen, an deren Besitz ihre alte Heimat dann verluderte - - wo und wann aber ist ein anderer Volksteil nach einem so unermeßlichen Leidenswege, wie es der unseres jüdischen Volkes war, in die altgeheiligte Heimat heimgekehrt, treu geblieben seinem uralten Glauben und seiner ehrwürdigen Sprache, um im Schatten der altersgrauen Mauern, im Silberflimmern der nährenden Ölbäume, beim Rauschen der erinnerungsträchtigen Flüsse und im Bannkreis einstiger Tempelstätten das Leben seiner frommen Väter mit neuen Aufgaben vor dem zukunftsfrohen Blick wieder aufzunehmen und ihm einen lebendigen Sinn zu geben!?

(Abraham wurde der "Ivri", das hieß der Fremde, genannt. Später setzte man Ivri - hebräisch gleich Abraham und erst Jakob - Israel mußten Angehörige der zerstreuten nordischen Völkerscharen gewesen sein. Sollte meine Vermutung stimmen, sind Hebräer, Juden, Ismaeliten und Israelis mit den deutschsprachigen Völkern gleichen Ursprungs. Es scheint aus dieser Sicht verständlicher, warum Rosenbergisten sich berufen fühlten, die längst verschimmelten Auf-

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fassungen der "Reinrassigkeit und des Auserwähltseins" unserer Esraisten zu erneuern.)

Den Zionismus erhob eine unerhört starke, schöne, reine Idee: ohne ihre tragenden Flügel wäre er niemals so weit gelangt, sein fernher erschautes Ideal sich in die Nähe zu rücken und voll idealistischer Glaubensstärke seine Verwirklichung anzupacken. Dazu gehörte mehr als jene Konquistadoren-Verwegenheit, mehr als die Pionier-Hartnäckigkeit der weißen Nordamerikaner; es gehörte dazu eine tiefe Gläubigkeit, eine enge Gottverbundenheit, eine zähe Energie, ein bäuerliches Lebensgefühl, ein unverwüstlicher Fleiß verbunden mit handwerklicher Tüchtigkeit, und immer wieder, am Anfang wie am Ende, eine lautere Gesinnung, deren reines Gottvertrauen niemals mit unreinem Haß gegen andersgläubige "Nächste" verbunden werden durfte.

Es gehörten freilich auch ausreichender Grund, fruchtbarer Boden, gute Verkehrsverbindungen, Ausdehnungsmöglichkeiten, gesundes Klima und tunlichst keine oder wenigstens friedfertige Mitbewohner ins Bild jener jüdischen Heimstätte, wie es Theodor Herzl vorschwebte, als er im Jahr 1896 sein grundlegendes Buch "Der Judenstaat" schrieb, in ihm vom Zionismus träumte und diesen Traum sechs Jahre später in seinem Roman "Altneuland" dichterisch gestaltete. Als er bald darauf Palästina besuchte, erfuhr er seine große Enttäuschung: vergebens wartete er auf die Rückkehr der Späher mit der Riesentraube aus Kanaan; vergebens durchmusterte er das ehemals Gelobte Land auf wirklich lohnende Anbauflächen; überall stieß er auf die türkische Mißwirtschaft und auf den arabischen Fatalismus, der alles gehen ließ, wie Allah es wollte! Vor allem aber mußte Herzl erkennen, daß das biblische Gebiet von Palästina viel zu karg und viel zu klein für jenen breiten jüdischen Einwandererstrom war, der ihm vorgeschwebt hatte. Seine Weltoffenheit, herangewachsen in den Wiener Redaktionsstuben großer liberaler Zeitungen, konnte sich mit der Vorstellung des engen Käfigs zwischen Meer und Jordan nicht abfinden: er gab zwar seinen großen Heimstätten-Gedanken nicht auf; aber er verlegte ihn von Palästina hinweg in größere, günstigere Räume. Er dachte an das afrikanische Uganda, vielleicht auch schon an Madagaskar; ihm ging es nur um den künftigen Judenstaat - wo auch immer. Er starb im Jahr 1904, erst 44 Jahre alt.

Herzls innerliche Abkehr vom Berge Zion brachte jenen Bruch in die Idee des Zionismus, den dieser bis heute nicht ausgeheilt hat und meines Erachtens auch gar nicht ausheilen kann; denn Herzls ursprüngliche Gestaltung des Judenstaates war so völlig sein geistig-seelisches Eigentum, daß jede Verwirklichung von anderer Hand den

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großen Plan verfälschen mußte. Sein Schöpfer hatte schon zu Lebzeiten mit starker Gegnerschaft im Zionistischen Weltkongreß zu kämpfen gehabt; nach seinem Tode gewann alsbald jene Gruppe von Zionisten die Oberhand, die den jüdischen Heimstaat - sei es aus historischem Pietätsempfinden, sei es im Gedanken an zugkräftige Weltwerbung - einzig in Palästina aufbauen wollten, es koste, was es wolle!

Hätten wir zwischen 1933 und 1945 noch einen Dr. Herzl als Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation gehabt, dann, so darf man mit Bestimmtheit annehmen, hätte es weder ein Auschwitz gegeben, noch hätten wir "6 Millionen" ermordete Juden gehabt.

Theodor Herzls schärfster Gegner war der russische Jude M. Ussischkin gewesen; er und sein Schüler David Ben Gurion, der geborene David Grün, waren, wie schon erwähnt, im russisch-polnischen Raum unter den blutigen Pogromen und grausamen Verfolgungen durch die zaristische Regierung aufgewachsen, wo sie nur Kampf und Jammer, Demütigungen und Haß kennen gelernt hatten. Das alles war ihnen ins Blut übergegangen und hatte sich mit ihrem angeborenen alttestamentarischen Zorn zu jener wilden Entschlossenheit verbunden, Gewalt gegen Gewalt zu setzen, sobald sie erst einmal dem Elend der ostjüdischen Welt entronnen wären und mit dem Aufbau des Judenstaates beginnen könnten. Sie wußten oder glaubten doch zu wissen, daß mit den romantisch durchsetzten Ideen des Westjuden Theodor Herzl in der harten Gegenwart nicht viel anzufangen war, und als sie zu Beginn unseres Jahrhunderts David Ben Gurion wanderte 1906 in Palästina ein - auf dem Boden des Gelobten Landes sich nach Wirkungsmöglichkeiten umschauten, da erkannten sie rasch, daß die nüchternen Mindesterwartungen, mit denen sie gekommen waren, von der rauhen Wirklichkeit noch unterboten wurden: hier war mit den Träumereien von König Salomons ragendem Tempel und vom Glanze seiner gebietenden Herrlichkeit kein neuer Judenstaat zu errichten; hier mußte geschuftet und gerackert, gedarbt und gekämpft, überlistet und zusammengerafft werden, wenn der große Plan gestaltet, das hohe Ziel erstritten werden sollte. Damals prägten Skeptiker das zweideutige Wort: die Zukunft des Staates Israel ruht in meiner Vergangenheit. - Es kam eben darauf an, welchen Sinn man dem Begriff "ruht" zu geben gedachte: verstand man unter ihm den historisch erstarrten Todesschlummer, dann war alle Liebesmühí verloren; sah man dagegen in ihm einen lebensträchtigen Keimboden, dann war alles zu erhoffen.

Vor etwa hundert Jahren tat der amerikanische Denker Ralph Waldo Emerson den scharfsinnigen Ausspruch: "Kein Mensch kann eine

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Institution gründen, ohne der Gefahr des Scharlatanismus zu verfallen." Das ist noch sehr vorsichtig ausgedrückt und besagt keineswegs, daß jeder Begründer der Schwindelei verfallen müsse, wohl aber, daß er darin gefährdet sei. Emersons Wort gilt namentlich auch für Staatsgründungen, bei denen die genannte Gefahr besonders groß ist, wenn man den Begriff "Sharlatanismus" durch den verwandten Begriff "Fanatismus" ersetzt (beide sind vernunftfeindlich!) und sich klar macht, wie weit die Ideologie des Zionismus von der ursprünglichen Idee des Herzlíschen Judenstaates sich entfernt, ja, feindlich gegen diese eingestellt hat: die fanatische Gedankenwelt eines Ben Gurion und seiner Anhänger ist a priori aggressiv gegen ihre Umwelt gerichtet: sie hat damit den Unfrieden in ihrem Aufbau-Programm verewigt und Herzls schönes Wunschbild eines auf Frieden und Freundschaft gegründeten Judenstaates - ein keineswegs utopistisches, vielmehr durchaus wirklichkeitsnahes Wunschbild - für immer zerstört; denn wer Wind säet, wird Sturm ernten: eine uralte Erkenntnis, die für alle Zeiten gültig bleibt!

Die Anfänge dieser gefährlichen Entwicklung zeigten sich schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und begannen sich während seines Ablaufs herauszukristallisieren, wie die Entstehung der Balfour-Declaration zeigt. - Während in den Nachkriegsjahren der Professor Chaim Weizmann als Präsident des Weltzionismus zwischen London und New York herumreiste und dabei auch die Früchte des Versailler Friedensdiktates für die junge Pflanzstätte am Jordan einheimste, waren in Palästina selber die rührigsten Kräfte am Werk, die Grundlagen für den jungen Judenstaat zu schaffen und auszubauen: der schon erwähnte russische Zionist Ussischkin betreute die aus dem Ausland hereinströmenden Gelder, vor allem die damals sehr umfänglichen Spenden und sonstigen Zuwendungen des westlichen, vor allem amerikanischen Judentums, während David Ben Gurion sich dieser großen Summen bediente, um mit ihnen im Lauf der nächsten dreißig Jahre den allergrößten Teil des palästinischen Bodens aufzukaufen, auf ihm zahlreiche Kibbuzim zu errichten und in diesen nicht nur junge Siedler anzusetzen, sondern diese bäuerliche Jugend gleichzeitig für den Wehrdienst im künftigen Staat heranzuziehen, zu schulen und miltärisch auszubilden.

Von M. Ussischkin ist früher in diesem Buch noch nicht die Rede gewesen, weil er in der Politik seiner neuen Heimat keine sehr sichtbare Rolle gespielt, vielmehr in ziemlicher Zurückgezogenheit gewirkt hat; doch diese seine Wirksamkeit war erheblich. Im Jahr 1919 hatte er der Zionistischen Gruppe bei den Friedensverhandlungen in Ver-

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sailles angehört, um dann in Jerusalem die Verwaltung des "Keren Kajemeth Leisrael" ("Ewiger Fonds für Israel") zu übernehmen, den er wolle zwanzig Jahre lang, von 1921 bis 1941, auf das Gewissenhafteste und Förderlichste betreute. Dieser Fonds, der bereits im Jahr 1901 gegründet worden war, diente ursprünglich dem einzigen Zweck, Geld für den Grund- und Bodenankauf in Israel zu sammeln und diesen Grundbesitz für alle Zeiten als gemeinsames Staatseigentum des künftigen israelischen Volkes sicherzustellen. Bis zum Jahr 1947 konnten aus den Mitteln dieses Fonds 1 500 000 Dunam Land für die Öffentliche Hand aufgekauft werden (1 Dunam = 10 Ar = 1 000 qm). Dieser Grundbesitz wuchs bis 1948 um weitere 100 000 Dunam an; doch erst nach der Ausrufung des Staates Israel gelang es der Regierung, so gut wie allen Boden in Israel für eigene Rechnung zu erwerben oder zu beschlagnahmen: heute gehören dem Staat etwa 26 Millionen Dunam Land; das sind 90 vH von Israels gesamter Bodenfläche. Der unbedeutende Rest gehört einigen jüdischen Privatpersonen, die ihn vor 1948 erworben hatten, und der Gruppe jener arabischen Bauern, die allen Verfolgungen zum Trotz im Lande seßhaft geblieben sind.

Neben dem Keren Kajemeth gibt es für und in Israel noch einen zweiten öffentlichen Fonds, den "Keren Hajessod" ("Grundfonds"). Er wurde als Finanzzentrale des Weltzionismus in London 1920 geschaffen und sammelt seitdem - wenn auch neuerdings in nachlassendem Umfang - in der ganzen Welt erhebliche Summen für die zionistische Aufbauarbeit: bis zum Jahr 1947 hat er etwa 100 Millionen Dollar zusammengebracht, von denen ein Drittel für die israelische Landwirtschaft, der Rest für das öffentliche Bildungswesen und sonstige soziale Aufgaben verwendet wird. Dieser "Grundfonds" wird zwar von Jerusalem aus gesteuert und verwaltet, seit 1926 untersteht er jedoch statutenmäßig keineswegs der israelischen Regierung, die freilich nichts unversucht läßt, ihn gänzlich unter ihre Kontrolle zu zwingen.

Man ersieht hieraus, daß es weder den früheren Zionisten, noch der späteren Staatskasse von Israel in deren Anfängen an Geldmitteln gefehlt hat, die ihr zum allergrößten Teil aus den Spenden des finanzstarken Weltjudentums zugeflossen sind. Die wohl beste, weil wertbeständige und wertzuwachsträchtige Geldanlage hat der Stadt zweifellos mit der Verwendung des Keren Kajemeth zum Ankauf des fast gesamten Grundbesitzes in Israel gemacht: er ist damit der Monopolherr meines Landes geworden. Diese seine Stellung birgt freilich auch Gefahren für ihn - sei es in der friedlichen Weiterentwick-

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lung, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, oder sei es im Falle eines künftigen Krieges: verliert Israel diesen Krieg, so fällt der Siegermacht entschädigungsfrei das ganze Staatsgebiet zu, auf dem sie ihre eigenen Landeskinder kostenlos ansiedeln kann, was sicherlich einen starken Anreiz zur Eroberung des israelischen Bodens bilden wird.

Auch das weiß jeder israelische Politiker genau, und da der junge Staat schon lange vor seiner Gründung, in Kopf und Herz seiner frühen Pioniere, sich zum aggressiven Kampf gegen die arabische Umwelt entschlossen hat, so muß er es sich jetzt gewaltige Summen kosten lassen, die Vorbereitungen auf diesen Kampf zu finanzieren: man blickt besorgt auf das Nachlassen der früher so erheblichen Zuwendungen des Weltjudentums; man blickt vorerst zwar noch zuversichtlich auf den Geldzustrom aus der deutschen Bundesrepublik, ohne sich aber zu verhehlen, daß diese Zuversicht auf tönernen Füßen steht. Zunächst wurstelt man eben weiter; vielleicht hofft man auch auf ein alttestamentarisches Wunder!?

David Ben Gurion, ein Starrkopf mit einigem Weitblick, hat diese Zusammenhänge wohl von Anfang an durchschaut und sich dann auf ein vermessenes Vabanquespiel eingestellt: da er große Scharen von Jugendlichen, vor allem von kämpferisch erzogenen Jugendlichen brauchte, hatte er schon frühzeitig möglichst viele "Hachschara-" (Ertüchtigungs-) Schulen in Palästina gegründet und im Galuth-Gebiet der übrigen Welt gründen lassen; in ihnen wurden die Jünglinge für ihre künftige Pioniertätigkeit körperlich wie geistig und sprachlich (Hebräisch!) umgeschult, sozialistisch erzogen, auf die kommunistische Ideologie des Kibbuzwesens verpflichtet und vormilitärisch ausgebildet. Sobald ein Hachschara-Schüler im Galuth sein Abitur gemacht hatte, bekam er ein Einreise-Zertifikat nach Palästina, wo seine Ausbildung dann den letzten Schliff erhielt. Besonders stark schwoll der Zustrom der jungen Absolventen aus Europa unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an, weil ihre jugendliche Begeisterung sie zum Kampf gegen die Araber ins Gelobte Land trieb, wo sie - so erzählte man ihnen - eine größere Anzahl von abgedankten SS-Offizieren in den Reihen ihres Landesfeindes würden bekämpfen können: das brachte dem Land einen beträchtlichen Nachschub an jungen Offiziers-Anwärtern, den es dringend benötigte.

Nach der Statuierung des Staates Israel durch die UNO (1948) ließ der Zustrom jugendlicher Kämpfer aus Europa bereits nach - nicht nur, weil viele Galuth-Hachschara-Schulen abgebaut und nach Israel verlegt wurden, sondern auch, weil der kriegerischen Kampfbegeisterung jetzt Schranken gesetzt waren, und die entsagungsvolle

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Tätigkeit eines Kibbuzniks den jungen Leuten nur wenig Anreiz bot: der Staat war gegründet; geblieben war der öde Frondienst des Alltags. - Im übrigen wanderten jetzt, nach dem Wegfall der englischen Sperr-Blockade, auch viele jüdische Idealisten nichtzionistischer Prägung in Israel ein, die ihre alten Träume erfüllt sehen wollten; diese Ankömmlinge nun, unter ihnen auch ältere Leute, sahen sich plötzlich einem entbehrungsreichen Leben mit harter Arbeit, noch gar in einem agrarkommunistischen Lande gegenüber. Sie waren zumeist Individualisten: sie verloren früher oder später den Mut, hier mitzumachen - schon weil sie sich nicht in die sozialistische Lebensgemeinschaft der jungen Pioniere einzufügen vermochten, deren Zusammenschluß den Schwierigkeiten besser zu trotzen vermochte. Ums Jahr 1950 herum war in Israel ein Höhepunkt nationaler Begeisterung erklommen worden; danach setzte, wie ich selber im Lande beobachten konnte, die rückläufige Bewegung ein: die Zahl der Rückwanderer nahm zu, und unter ihnen waren nicht nur jene älteren Individualisten, sondern auch viele enttäuschte Sozialisten aus den jüngeren Jahrgängen.

Die Zahl der enttäuschten Rückwanderer aus Israel - ein großer Teil von ihnen strebt wieder nach Deutschland, Ben Gurions Verwünschungen zum Trotz - ist bisher noch nicht sehr beträchtlich; sie kann und wird aber weiter anwachsen und schon dadurch "das Experiment Israel" in Mißkredit bringen. Gewichtiger ist freilich die Enttäuschung der Geldgeber - der großen wie der kleinen - aus den Reihen des Weltjudentums, die sehr große Opfer für den Ausbau der zionistischen Heimstätte gebracht haben und sich heute immer öfters fragen, ob die Gelder auch wirklich für einen guten Zweck gegeben worden sind!? Man darf nicht vergessen, daß die Hauptmasse der bisherigen Spenden von Juden stammt, die dem Sozialismus, noch gar in seiner kommunistischen Färbung, tief abhold sind: diese Kreise bürgerlicher, religiöser oder auch kapitalistischer Prägung blicken voll starken Mißtrauens auf die Staatsgebarung am Jordan, die sich weit weniger an Jehova und Jesaias als an Heß und Lenin hält. (Heß, Moses, geboren 1812 in Bonn, gestorben 1875 in Paris, Vorläufer des zionistischen Sozialismus, auch "Kommunisten-Rabbi" genannt.) Was gar die jüdische Hochfinanz in London und New York betrifft, so muß sie schon aus Selbsterhaltungstrieb das israelische Versuchszentrum als ein Politikum ablehnen, das ihrer eigenen Wirtschaftspolitik strikte zuwiderläuft. Ein "kundiger Thebaner" sagte mir vor Jahren einmal: "Die Wallstreet wird den Managern der Kibbuzim ihre Unterstützung wohl niemals gänzlich entziehen; denn täte sie das, müßte sie befürchten, daß der gesamte Medinath Israel eines

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Tages aus dem Land flüchtet, nach New York schwimmt und die Wallstreet mit seinem Klagegesang verstopft. Um das zu verhindern, wird man den Zionisten weiterhin genau so viele Mittel zuwenden, daß sie gerade mit der Nase über Wasser bleiben, aber auch nicht mehr; denn wir in den USA haben keinerlei Interesse daran, einen weltpolitischen Gegenspieler, und sei es unser nächster Vetter, hochzufüttern. Die Wallstreet hat mit Moskau und Peking schon genug Verdruß !"

Als der Zionismus noch eine junge Bewegung war, entstand in den USA das Witzwort: "Ein Zionist ist ein Jude, der einen anderen Juden mit dem Geld eines dritten Juden nach Palästina schickt!" - Heute kann man dieses Wort auch in Jerusalem und Tel Aviv hören; doch der Israeli, der es zitiert, pflegt sich dabei sehr nachdenklich hinter den Ohren zu kratzen. Vielleicht denkt er daran, daß schon manche "Illfated Colonisation" (Thomas Macaulay) in der weiten Welt versandet ist; womöglich entsinnt er sich auch des mächtigen Indianerstaates, den die Jesuiten im frühen 17. Jahrhundert als christliche Missionare in Paraguay gründeten und zu großartiger Blüte entwickelten: zu einer Blüte, wie sie in dem kargen Ländchen Palästina niemals zu erzielen wäre. Jener Jesuitenstaat, ein riesiges "Kibbuzim-Gemeinwesen", bestand durch vier bis fünf Menschenalter, bis er nach der Vertreibung der Jesuiten (1767) unterging; aber noch heute entdeckt man mitten im Urwald prachtvolle Kathedralenbauten, von Lianen überwuchert, und weitläufige Wirtschaftsgebäude, in deren Trümmern der Puma haust . . .

Dem "Alten", Ben Gurion, dürfte man freilich mit derlei historischen Parallelen nicht kommen; er würde sie kalt lächelnd ablehnen. Glaubt er doch seinen bäuerlichen Gemeinschaftsstaat für die Dauer der Erdgeschichte errichtet zu haben - genau wie Adolf Hitler an sein Tausendjähriges Reich glaubte! Was Ben Gurion und seine Helfer in Israel sozialpolitisch geschaffen haben, läßt sich nicht freiwillig wieder rückgängig machen; es kann nur und wird vielleicht - von außen her zerstört werden. Es liegt mir gänzlich fern, dem Schöpfer dieser Staats- und Gesellschaftsform irgendeine "Schuld" an ihrer Entwicklung zu geben; er war und ist nur ein Kolben in der Maschinerie des übermächtigen Schicksals, und als treibender Kolben hat er mit fast unglaubhafter Zielsicherheit und Folgerichtigkeit an der Heranbildung seines Staates gewirkt: er hat den Agrar-Kommunismus im Kibbuzsystem derart radikal durchgeführt, daß die Kibbuzniks heute keinerlei Eigentum mehr, ja keinerlei Eigenleben mehr besitzen; sie gehen so restlos in der Wirtschaft auf, wie nur irgendein Roboter es vermag, und im Vergleich mit ihrer menschlichen Da-

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seinsform sind die Kolchosebauern in der Sowjetunion oder in der DDR wahrhaft freie, unabhängige Menschen! - - Ich habe während meines Aufenthalts in Israel zahlreiche Kibbuzim besichtigt; ich kann hier aus eigenster Erfahrung sprechen und verweise den Leser auf den Abschnitt "Reiner Kommunismus unrentabel" (S. 295 bis 300) in meinem Buch "Schuld und Schicksal".

Wie kritisch man innerhalb des Judentums die Entwicklung betrachtet, und wie spürbar sich die Gegensätze in ihm vertiefen, dafür hat der 26. Zionistische Weltkongreß in Jerusalem einige neue Beweise erbracht: er ging am 10. Januar 1965 in voller Uneinigkeit auseinander! Wohl war Dr. Nahum Goldmann zum Präsidenten der Weltorganisation gewählt worden; doch nicht einmal die neue Exekutive hatte gewählt werden können: samt allen anderen fällig gewordenen Wahlen wurde sie um sechs Monate verschoben! Noch kurz vor dem Tagungsschluß geriet man in heftig erregte Debatten, die den brüskierten israelischen Ministerpräsidenten Levi Eschkol bestimmten, den Sitzungssaal zu verlassen, nachdem der New Yorker Delegierte Dr. J. Schächtmann unter anderem erklärt hatte, er lege seine Ämter nieder, weil die jetzt eingebrachten Vorlagen "rassistischen Charakter trügen!" - Angesichts derartiger Streitigkeiten zwischen Israel- und Galuth-Zionisten bleibt einem Juden meiner Artung nur übrig, in den Stoßzeufzer des Heilands der Christen einzustimmen: "So man das tut am grünen Holze, was soll am dürren werden?" (Lukas 23, 31.) Sieht doch der aktive Zionismus im westlichen Weltjudentum kaum etwas anderes als dürres Holz, und gerade die Debatten des Jerusalemer Kongresses ließen wieder einmal deutlich durchscheinen, daß das amerikanische Finanzjudentum und seine Mitläufer gar nicht daran denken, ihre Söhne als Kibbuz-Fronknechte nach Israel zu schicken!

Der Staat Israel sieht sich zur Zeit vor verschiedene schwerwiegende Fragen gestellt, und davon, wie er sie beantwortet, wird sein Bestand abhängen. Im Rahmen dieses Buches kann ich nur einige der Schicksalsfragen skizzieren:

Ist die Agrar-Kommune (das Kibbuzim-System) noch steigerungsfähig? - Offenbar nicht; denn es fehlt am Nachwuchs. Zwischen 1949 und 1964 sind offiziell etwa 160 000 Juden aus Israel wieder ausgewandert, darunter etwa 12 000 Sabres (im Lande Geborene) und 14 000 Jugendliche, die nach 1947 eingewandert waren. Rund 40 000 dieser Rückwanderer, zumeist hochgeschulte Spezialfachkräfte, gingen in die USA, sie sind kaum zu ersetzen, und was im Lande an Jugendlichen nachwächst, geht lieber in die großstädtischen Industrien, wo

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guter Verdienst lockt, während der Kibbuznik überhaupt nichts verdient - außer dem nackten Leben.

Werden die Kibbuzim absehbar imstande sein, einen ins Gewicht fallenden Beitrag zur Volksernährung zu liefern? - Das ist eine Frage der Erzeugungskosten. Wie alle Staatsbetriebe in der Welt produzieren auch die Kibbuzim teurer als der Privaterzeuger, und sic liegen schon am Rande der Unrentabilität: die Hausfrauen in Israel müssen die einheimischen Lebensmittel höher bezahlen als die eingeführten, die daher vorgezogen werden, auch wenn sie dem Lande das Geld entziehen.

Wird Israel sich eines Tages finanziell vom Ausland unabhängig machen können oder auch nur wollen? - Seine bisherige Finanzgebarung ist ungesund, weil hochstaplerisch und damit letztens selbstmörderisch. Anfangs verließen die Zionisten sich auf die Geldhilfen des Weltjudentums, und seitdem diese schwächer fließen, schröpfen sie die BRD; das aber ist keine Basis für die Zukunft! Die Handelsbilanz des Staates ist stark passiv: im Jahr 1962 importierte er Güter im Wert von 610 Millionen Dollars, denen ein Exportwert von nur 273 Millionen gegenüberstand, und seitdem hat sich dies Mißverhältnis nicht gebessert, trotz belebtem Zitrusfrucht-, Öl- und Eier-Export. Um zu einer aktiven oder auch nur ausgewogenen Handelsbilanz zu gelangen, müßte Israel eine billig arbeitende Fertigwaren-Industrie besitzen, wie Japan sie hat; aber ob das karge Land dazu imstande ist? Und wenn ja: ob es bereit ist, eine solche Industrie nicht in den Dienst seiner kostspieligen Aufrüstung, sondern in den des friedlichen Aufbaues zu stellen?

Wird die ehrgeizige Staatsführung bald erkennen, daß die Welt von ihr auch die Gestaltung einer staatlichen wie völkischen Kultur erwartet, ohne deren Sichtbarwerdung ein Staat kein Gesicht hat? - Es braucht nicht der Prunk von König Salomons Zeitalter zu sein; es darf aber auch nicht in der billigen Selbstbeschränkung des Aufbaues von Volkshochschulen enden, in denen bedauernswerte Schülerscharen nur mit Propaganda gefüttert werden, ohne jemals zu erfahren, was echte, weltweite Kultur wirklich ist! Im Galuth hat das Judentum sich durch Jahrhunderte erfolgreich bemüht, die Kulturen der anderen Völker zu vermitteln; die heutigen Zionisten aber wollen davon nichts mehr wissen und treiben - wenn ich die Jerusalemer Universität einmal aus dem Spiel lasse - in der Hauptsache nur noch geistige Selbstbefriedigung. Ja, man schämt sich nicht, in der Bettlerpose des armen, notleidenden Staates in Europa - vor allem in der rückgratschwachen BRD - um Gewährung von "Entwicklungshilfen" zu schnorren. (Schnorren, hebräisch-jiddisch, heißt betteln, auf Kosten

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anderer leben.) als sei man ein steinzeitlicher Negerstamm in Zentralafrika, während man bei anderen Gelegenheiten auf die uralte Kultur des jüdischen Volkes pocht! Und dann: wer zahlt schon Entwicklungshilfen an ein Land, das im begründeten Verdacht steht, derlei Geldspenden vor allem in die atomare Aufrüstung zu stecken, um mit dieser seine Grenznachbarn zerschmettern zu können!?

Wird Israel imstande sein, seine Armee weiter zu verstärken und ein stehendes Heer auf der - stets anwachsenden - Höhe moderner Ausrüstung und Ausbildung zu halten? - Dazu braucht es ständigen kampffreudigen Nachwuchs; doch der fehlt. Aus den älteren Jahrgängen der jüdischen Bevölkerung lassen sich vielleicht noch Polizisten, nicht aber kriegsbegeisterte Makkabäer heranbilden, und ohne diese gehe es nun einmal nicht. In anderen Zeiten, Ländern und Kolonialgebieten haben die Eroberer sich Söldnerheere gehalten, die sie gut bezahlten und in ihrem Landsknechtstum bestärkten; das aber vermag Israel nicht, weil es kaum riskieren darf, sich auf den bleibenden Kampfgeist solcher "verlorener Haufen" zu verlassen. Sein hierarchisches Überlegenheitsbewußtsein und sein ideologisches Zelotentum verwehren ihm, Medinath Israel mit artfremden Soldaten zu verteidigen oder gar mit ihnen zum Angriff überzugehen. Aus diesem Grunde werden auch die Araber in Israel nicht zum Militärdienst herangezogen, obwohl sie Bürger dieses Staates sind. Also braucht es eigenen Nachwuchs. Bekommt es ihn??

Läßt sich Israels Verhältnis zu den Arabern - den einheimischen wie den benachbarten - verbessern und in dauernd friedliche Bahnen lenken? - Es sieht nicht danach aus, obwohl es im Buche der Sprüche, 27, 10 heißt: ". . . besser ein naher Nachbar als ein ferner Bruder." und ich habe die Gründe angeführt, warum es nicht danach aussehen kann. Aber bei Gott ist bekanntlich kein Ding unmöglich, und wenn - wenn! - der aktive Zionismus imstande sein sollte, in sich selber eine tiefgreifende Wandlung zu vollziehen, vom Saulus zum Paulus zu werden und die Rolle des hitzigen Aggressors versöhnlich mit der des friedliebenden Anrainers zu vertauschen, - dann könnte vielleicht auch der nahöstliche Islam sich zu einer ruhigen Koexistenz bereitfinden lassen - trotz allen Eingriffen, Angriffen und Grausamkeiten, mit denen der Zionismus ihn während des letzten Menschenalters angesprungen hat. Doch, ach, welcher Zeitgenosse wagte wohl heute schon, eine gültige Antwort auf diese Schicksalsfrage zu erteilen!?

Daß Zionismus noch nicht Judentum ist und Judentum nicht Zionismus bedeutet, muß man sich stets vor Augen halten, wenn man sich mit diesen Dingen befaßt. Gewollt wurde hier ein Labyrinth von Be-

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griffen geschaffen. Zur Entwirrung dieser soll der folgende Absatz helfen. Mehr als 20 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs liefern immer noch im Zusammenhang mit jüdischen Fragen stehende Geschehnisse in der Bundesrepublik und in Österreich der Weltpresse Schlagzeilen. Auch dann, wenn es sich um geringfügige Vorkommnisse handelt. Die daran interessierten Kreise wissen dafür zu sorgen, daß diese Dinge im Rampenlicht bleiben. Keineswegs wird die hergestellte diplomatische Beziehung zwischen Bonn und Jerusalem daran etwas ändern, im Gegenteil! Alle jene Juden und Nichtjuden, die sich ehrlich um die deutsch-jüdische Versöhnung bemühen, wissen das längst, daher beschäftigen sie sich vorbildlich intensiv mit allen jenen Problemen, die gelöst werden müssen, um dieses Ziel erreichen zu können. Natürlich entspricht dies nicht dem Wunsche jener Kreise, die eine deutsch-jüdische Versöhnung zu verhindern trachten. Was tut man da? Sehr einfach! Man stempelt die unerwünschten Wahrheitssuchenden zu Neonazis - Antisemiten, drängt den lästigen Gegner in die Verteidigung. Solche Angriffe lassen sich um so leichter führen, als man offenbar darauf vertraut, daß die Leserschaft über die Begriffe Zionismus, Judentum, Israelstaat, die man alle in einen Topf wirft, nicht Bescheid weiß. Ich möchte der deutschen Öffentlichkeit in ihrem Kampf um die deutsch-jüdische Versöhnung mit meiner schwachen Kraft etwas beistehen, indem ich die genannten Begriffe für die Leser dieses Buches definiere.

Des von unseren Urahnen gegründeten einheitlichen Staates mit dem Namen Israel durften sich ja nur wenige Generationen erfreuen. Kaum hatte König Salomon die Augen geschlossen, so wurde dieser Staat - und damit auch die Nation - in zwei Teile geteilt: Israel und Judäa. Nun lag Jerusalem im Staate Judäa, am Berge Zion erhob sich der Tempel, und die Elite des Volkes Israel lebte in Judäa. Deshalb ist die Entwicklung der Israeliten sozusagen von jener des Judäer überschattet, und man sprach fast nur von den Einwohnern Judäas. Dieser Staat rückte durch seinen heldenhaften Widerstand gegen die römischen Besatzungstruppen noch mehr ins Blickfeld. Vollends in aller Munde kam die Bezeichnung Juden dann durch das traurigste Ereignis, die Passion Jesu. Ich fände es allerdings richtiger, Judäer statt Juden zu sagen, da das Land Judäa hieß. Auch als dann beide Volksteile, die Israeliten und die Judäer, vertrieben wurden, sprach man dennoch stets nur von Juden - und schließlich gingen die Israeliten im Judentum allmählich auf.

In den Jahrhunderten der Zerstreuung der Juden erstanden immer wieder Männer, die ihrem Volk das alte Vaterland zurückgeben und seine Angehörigen in aller Welt zurück nach Zion führen wollten,

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wie zum Beispiel der bereits erwähnte Schlomo Molcho, so daß zum Ende des 19. Jahrhunderts mit dem politischen Zionismus nicht etwas absolut Neues geschaffen wurde. Die Zeit war eben reif. So entwickelte sich im Judentum eine Bewegung, die ihresgleichen bei keinem anderen Volk der Erde hat.

Ansonsten sind aber im Judentum alle möglichen politischen Richtungen wie bei anderen Völkern auch vertreten. Juden können politisch religiös gerichtet, Liberale, rechte und linke Sozialisten, Faschisten, Nationalisten, Nationalsozialisten, Kommunisten und - Zionisten sein. Diese letztere politische Richtung - die, wie wir später noch sehen werden, ihrerseits wieder in verschiedene Anschauungen zerfällt - gibt es, wie erwähnt, nur bei den Juden. Denn es wird beispielsweise unter den in Amerika lebenden Deutschen vielfältige politische Bekenntnisse geben, aber keines mit der Tendenz: Alle Deutschen zurück nach Berlin!

Dieses Streben "Zurück nach Zion!" brachte es auch mit sich, daß die mosaische Religion bis heute territorial, das heißt, an Zion, an Jerusalem gebunden, ist. - Jeder gläubige Jude, gleichgültig in welchem Lande der Erde er leben mag, wird einmal eine Begegnung mit einem Glaubensgenossen mit den Worten "Und nächstes Jahr in Jerusalem" abschließen.

Diese zionistische Bewegung war halbwegs begreiflich und berechtigt bis zum 14. Mai 1948, dem Tag der Gründung des Staates Israel - das heißt des Staates der Zionisten, die dafür gekämpft haben.

Immer befanden sich die Anhänger der zionistischen Richtung in der Minderzahl; die besten Söhne des Judentums standen dem Zionismus fremd, ja manchmal feindlich gegenüber. Der überwiegende Teil des Judentums der ganzen Welt betrachtet Israel nicht als seinen Staat. Für den Nichtzionisten war es nach der Gründung des Staates Israel selbstverständlich, daß er blieb, wo er war. Die Diasporazionisten hingegen mußten nun Farbe bekennen; denn nun existierte ja ihr ersehnter, ihr propagierter, ihr erkämpfter Staat! Wenn ihr Streben ehrlich gewesen war, so mußten sie doch jetzt in das Land ihrer Väter auswandern!

Aber die Masse der Diasporazionisten - insonderheit der führenden - zog nicht nach Israel, sondern zog es vor, weiterhin lediglich platonisch dem Zionismus zu huldigen. Dabei ist es für den Staat Israel lebenswichtig, daß alle Zionisten kommen, und durch keine Unterstützung zu ersetzen.

So entstand die erste Kluft zwischen Diasporazionismus und Israel. David Ben Gurion, der Veteran des praktischen Zionismus, forderte

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die Auflösung aller zionistischen Parteien der Diaspora und nannte ihre Anhänger Heuchler und Schädlinge Israels. Die pseudozionistischen Führer aber, die das warme Diasporanest mit all seinen Segnungen nicht verlassen möchten, sahen sich in die Enge getrieben und glauben deshalb, sich noch israelischer als die Israelis selber gebärden zu müssen, um ihre Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen. Wer es indes wagt, diesen nicht mehr daseinsberechtigten Zionismus abzulehnen, wird als Antisemit abgetan.

Die heutigen, in der Wahlheimat verbliebenen Zionisten betrachten sich als Vertreter des Judentums, indem sie einfach Zionismus und Judentum identifizieren.

In unseren Tagen treten die Gegensätze zwischen Zionisten und Nichtzionisten schärfer als vor der Gründung des Staates Israel hervor. Denn ein Diasporazionist muß ja Israel vor dem Land, in dem er lebt, den Vorrang geben. Dies kann unter Umständen Konsequenzen nach sich ziehen, angefangen von belanglosen Verstößen gegen das Gesetz seiner Wahlheimat bis zum Vaterlandsverrat.

1952 erließ das Israelische Parlament ein Gesetz, das der zionistischen Weltorganisation erlaubte, gewisse Dienste für den Staat Israel innerhalb anderer Nationen auszuführen, in denen der Staat Israel selbst nicht in der richtigen Weise agieren konnte 1954 wurde dieses Gesetz in einen "Bund" aufgenommen und vom Vertreter der Israelischen Regierung und Führern der zionistischen Weltorganisation unterzeichnet. Braucht man noch andere Beweise, daß Zionisten in den "Galuth"-Ländern zu Befehlsempfängern degradiert wurden? Daher ist es vollkommen richtig, wenn Richard Korn, der Präsident des Rates der amerikanischen Juden, vor kurzem folgenden Kommentar zum Zionismus gab: "Zionismus ist eine Bewegung innerhalb des Judaismus. Er ist eigentlich der Feind des Judaismus, denn wenn man Religion (Philosophie und Ethik) zu einer Sache der Politik macht, kann man leicht die Religion damit zerstören."

Zion, das Traumbild von Generationen, ist Realität geworden. Der Staat Israel steht da mit seinen Interessen, mit seinen Erfordernissen - da nützt kein noch so schlaues Jonglieren mit zionistischen Bällen. Ein Beispiel: Bekanntlich drohten die USA im traurigen Suez-Abenteuer der israelischen Regierung Sanktionen an, falls sie ihre Truppen nicht aus dem ägyptischen Territorium zurückziehen würde. Angenommen, Ben Gurion hätte nicht nachgegeben und die Eisenhower-Regierung hätte ihre Drohung wahrmachen müssen: Mit wem hätte es da ein amerikanischer Diasporazionist gehalten? Mit Israel? Mit der Regierung seines freigewählten Vaterlandes? Im ersten Falle wäre das als ein Verrat an den USA, im zweiten als ein

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Verrat an Israel anzusprechen gewesen. Wir sehen, Ben Gurion tat nicht unrecht, als er die Zionisten, die nicht nach Zion gehen, Heuchler nannte.

Ganz ähnlich liegt der Fall bei den Zionisten in der Bundesrepublik. In der leidigen Affäre der deutsch-israelischen Kontaktaufnahme verteidigten die deutschen Führer des Zionismus die bundesdeutsche Vertretung in Tel Aviv gegen die israelischen und die übrigen zionistischen Scharfmacher. Damit haben sie bewiesen, daß sie keine Zionisten mehr sein können, wenn sie auch noch nicht den Mut haben, das offiziell auszusprechen. Sie wurden, genau wie Antizionisten, daraufhin mit Schmutz beworfen.

Diese Geschehnisse beweisen, daß die zionistische Tätigkeit in der Diaspora einem zweischneidigen Schwert gleicht.

Doch nun zum Wichtigsten. Man spricht von Zionismus, von zionistischer Bewegung, wodurch natürlich bei einem unbefangenen Menschen der Eindruck entstehen muß, es handle sich dabei um eine einheitliche, geschlossene Denkweise. In Wirklichkeit jedoch sind bei den Zionisten, genau wie bei den übrigen Juden und anderen Völkern, sämtliche politische Richtungen vertreten. Es gibt nämlich unter den Zionisten religiös gerichtete, Liberale, rechte und linke Sozialisten, Nationalsozialisten, Kommunisten neuestens sogar solche rotchinesischer Prägung.

Da könnte sich die Frage erheben: Wann ist man denn nun eigentlich Antisemit? Wenn man gegen den zionistischen Faschismus ist? Wenn man gegen den zionistischen Kommunismus ist? In Israel kämpfen mehrere Parteien um ihre Vorrangstellung. Heute ist die sogenannte Sozialdemokratische Partei in Koalition mit anderen Parteien an der Regierung. Wenn man gegen diese Regierungspolitik ist, dann gilt man als Antisemit. Und die anderen, die für diese Politik sind, die sind keine Antisemiten. Wie wäre es, wenn morgen etwa jene Partei, die als faschistisch abgestempelt wird, ans Ruder käme? Das ist übrigens sehr leicht möglich, da Ben Gurion von seiner Partei ausgeschlossen wurde und die Partei sich spaltete - nebenbei bemerkt, wird Ben Gurion von seinen einstigen Parteifreunden als Faschist apostrophiert -. Und werden die heutigen Anhänger der Sozialdemokratischen Partei morgen als Bekämpfer der rechtsradikalen Richtung Antisemiten? Und wenn übermorgen eine Volksfrontregierung an die Macht käme, die, wie es der Brauch ist, das Land in eine Volksdemokratie umgestalten würde, dann werden die Anhänger der heutigen israelischen Politik jene als Antisemiten bezeichnen, die nicht mehr sagen werden, alle Weisheit komme aus Zion.

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Jene, die im Trüben fischen wollen, werden weiterhin von Zionismus sprechen und nicht von der jeweiligen zionistischen Richtung. Wer aber ehrlich denkt und keine Scheuklappen trägt, wird leicht aus dieser Verwirrung herauskommen: Wird man denn einen Bundesdeutschen einen Antideutschen nennen, weil er ein Antinazi ist? Wird man einen Deutschen als deutschen Schädling betrachten, weil er ein Gegner des deutschen Kommunismus ist? Genauso unlogisch ist es, einen Juden oder Nichtjuden, der den Zionismus in jeglicher politischen Form summarisch ablehnt, als Antisemiten zu beschimpfen.

Nach der Gründung des Staates Israel hieß es: Israelis sind die, welche in Israel leben, und Juden jene, die weiter in der Diaspora verbleiben wollen. Dennoch haben wir in der Bundesrepublik jüdische Gemeinden, die sich Israelitische Kultusgemeinden, und andere, die sich jüdische Kultusgemeinden nennen. Das war vor der Gründung des Staates Israel noch irgendwie zu verzeihen, heute dagegen wirkt es absurd. Der Israeli will nicht nur nicht Jude, sondern auch nicht Israelit genannt werden. Leider weiß man seit der Gründung des Israelstaates weniger denn je, wer nun eigentlich Jude ist. Wenn kompetente Geschichtsforscher behaupten, daß wir Juden kein Volk im eigentlichen Sinne seien, so erfahren wir aus Israel, daß man dort sogar nicht weiß, wer Jude ist. Es scheint, daß sich dort die Entscheidung nach dem Parteibuch richtet. Die Karaimer werden beispielsweise nicht als Juden anerkannt. Und doch danken wir deren Urahnen, die nichts von der mündlichen Überlieferung hielten und nur die schriftliche pflegten, die Sprachwerdung des Hebräischen; sie schufen eine Grammatik und erfanden die Punktation. Und die Angehörigen der aus Indien stammenden Sekte "Söhne Israels" - meines Erachtens die echtesten Israeliten oder Juden - werden in Israel nicht als Juden anerkannt. Auch einer, der vom mosaischen zum christlichen Glauben übertrat, gilt in Israel nicht als Jude, obwohl dies der Meinung der autorisierten talmudischen und weltlichen jüdischen Gelehrten entgegensteht.

Weil die politischen Parteien in Israel sich nicht einigen können, wer Jude ist, hat dieser Staat bis heute noch keine Verfassung.

Nur die Zionisten können sich darüber einigen, wen sie als Antisemiten abzustempeln haben: Wer gegen den Zionismus ist!

Ich habe mich bemüht, die künstlich geschaffene Verwirrung der Begriffe Judentum, Zionismus und Israelstaat zu beseitigen; ich hoffe, daß es mir im Rahmen dieser Möglichkeit halbwegs gelungen ist,

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Das sind einige der - wohl gewichtigsten - Fragen, von deren Beantwortung die Zukunft des Staates Israel abhängt: Fragen sozialer, wirtschaftlicher, politischer und kultureller Natur, die sich bereits zu einem gordischen Knoten verknüpft haben, den zwar ein Alexander - wenn wir einen hätten - mit dem Schwerthieb zu lösen vermöchte; doch gerade den Schwerthieb sollte heute alle Welt aus dem Spiel lassen, weil er inzwischen selbstmörderisch geworden ist.

Somit bleibt nur der Appell an die menschliche Vernunft. Er ist seit sechstausend Jahren immer wieder an die Streitenden gerichtet und nur selten befolgt worden; doch vielleicht vernimmt und beherzigt man ihn heute, wo er doch die frühere Rolle der Kanonen als Ultima Ratio übernommen hat!? Es wäre ein Glück für die Menschheit.

Sollte freilich der Staat Israel eines Tages - aus welchen Gründen auch immer - untergehen, das heißt: seine Heimstätte verlieren, so wäre damit der Bankrott des Weltzionismus erklärt. Man verstehe mich nicht falsch: die große, starke und weiterhin einflußreiche Organisation wird als solche zweifellos bestehen bleiben; aber sie wird - nüchtern gesprochen ihren Namen ändern und eine neue Firma ins Handelsregister der Weltgeschichte eintragen lassen müssen.

Ich habe im Verlauf dieses Buches oft genug auf den Unterschied und Gegensatz hingewiesen, der zwischen dem sogenannten Weltzionismus als einer starken und mächtigen Gruppe des Weltjudentums und dem aktiven Zionismus der in Palästina tätigen Heimstätten-Juden vor zwei Menschenaltern aufklaffte und heute noch besteht: ein Gegensatz, der nicht nur weltanschaulich, sondern auch sozialpolitisch bestimmt ist. Sollte der Staat Israel wirklich zugrunde gehen, (was ich als Jude ja gar nicht wünschen könnte, wenn ich auch kein Zionist bin) so würde dieser Gegensatz zunächst einmal verschwinden: der klaffende Abgrund würde sich schließen, und ein Band leidvoller Gemeinschaft würde alle diejenigen Juden umfangen, die sich bisher über den eigentlichen Sinn des altheiligen Wortes vom Berge Zion nicht haben einig werden können.

Auf die Einigkeit aber kommt es an. Seelische Einigkeit und als ihre Folge die staatliche Einheit sind seit jeher die Grundlagen für den gesunden Bestand lebensfähiger Völker gewesen, und wo diese Grundlagen fehlen, wird um ihre Schaffung und Erhaltung gekämpft wo immer ein Volkstum seine Zukunft sichern will. Unser jüdisches Volk ist zerrissen; doch durch alle Jahrhunderte der Diaspora haben seine Besten ihre Blicke unbeirrbar - ob von der Höhe stolzer Macht.

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träume oder aus den Tiefen der Demut im Elend - immer noch und immer wieder erhoben zum Horizont eines jüdischen Heimatlandes, dessen völkische Einheit und Einigkeit im Kampf um die Wiedervereinigung gewonnen werden wollte - und will.

Das unverlierbar leuchtende Symbol ist und bleibt der Berg Zion. Möchte dieser heilige Berg, befreit von den Nebelschwaden ideologischer Verdüsterung, die ihn seit einigen Jahrzehnten verhüllen, wieder auftauchen mit dem gütigen Schimmer seines väterlichen Hauptes, auf daß unser dürstendes Heimweh sich an seinem Bilde stille! Möchte nie der Tag erscheinen, an dem unser alter Glaube diesen Berg in ein anderes Land versetzen muß - ein Land, das seine Hänge nicht mit dem Zauber unserer großen Vergangenheit zu umleuchten vermag!

Oder doch? Es könnte in der Form geschehen, daß religiöse Vorsteher mit Autorität aus verschiedenen Galuthstaaten sich zusammenfinden, um den Zionbegriff in der mosaischen Religion zu überdenken. Denn wenn diese religiösen Führer und die von ihnen Geführten das Gebetsversprechen "Und nächstes Jahr in Jerusalem!" nicht einzulösen gedenken, so müßte es aus der Liturgie verschwinden. Damit würde endlich jener Gewissenskonflikt, in dem sich ein gläubiger Jude im Galuth befinden muß, beseitigt und auch diesem Juden ermöglicht, mit ganzem Herzen Bürger des von ihm bewohnten Landes zu werden. Nicht nur würde der Begriff Galuth ausgelöscht, sondern es könnte niemals mehr von Antisemiten der Jude als Fremdkörper im eigenen Volk betrachtet werden.

Mögen die auf religiösem Gebiet maßgebenden jüdischen Persönlichkeiten im Interesse der gläubigen Judenheit sich durch die Bemühungen des Zweiten vatikanischen Konzils angeregt fühlen, ebenfalls die religiösen Gepflogenheiten den Erfordernissen der Jetztzeit anzupassen !

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