"Als bedeutend gefährlicher erweisen sich die ultralinken Negationisten..."
Genf, 26. Februar. -- Zu Beginn dieser Woche ist in Genf ein Buchhändler, der Roger Garaudys Buch "Les mythes fondateurs de la politique israélienne" im Sortiment geführt hatte, zu einer Buße von tausend Franken verurteilt worden. Sehr viel härter war zuvor das Verdikt gegen seinen Kollegen in Vevey (im Kanton Waadt) ausgefallen: Der Mann, als notorischer Auschwitz-Lügner bekannt, wurde zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, diese allerdings zur Bewährung ausgesetzt. Seit kurzem erst verfügt die Schweiz über ein Antirassismusgesetz, das die Verneinung und Verniedlichung eines Genozids unter Strafe stellt. Wegen dieses Vergehens kamen die beiden Buchhändler vor Gericht. In Frankreich, dessen "Loi Gayssot" nicht viel älter und noch wesentlich umstrittener ist, wird das Urteil gegen den fünfundachtzig Jahre alten Autor des kriminellen Buchs, das in Paris verlegt wurde, an diesem Freitag veröffentlicht. Man erwartet es mit einigem Bangen -- denn wie immer es ausfällt: profitieren werden von ihm nur jene, zu deren Bekämpfung das Gesetz geschaffen wurde.
Es gibt in Frankreich sogar die Negationisten in einer linken und rechten Ausführung. Die Nostalgiker des Dritten Reichs, die ewigen Antisemiten und faschistischen Propagandisten der Auschwitz-Lüge sind relativ harmlos, dumm, wenig zahlreich. Le Pen, der die Gaskammern zum "Detail" herunterspielt, gehört zu ihnen -- vor allem aber zu den Profiteuren eines Paragraphen, der ihm sehr viel Publizität eingetragen hat.
Als bedeutend gefährlicher erweisen sich die ultralinken Negationisten. Sie handeln in einem Anflug ideologischer Umnachtung. In ihren Kreisen kommt der Revisionismus aus dem Pazifismus der dreißiger Jahre, als sich linke Splittergruppen wie die Trotzkisten -- unter Berufung auf den Ersten Weltkrieg weigerten, gegen Hitler in den bewaffneten Kampf zu ziehen. Der Nationalsozialismus wurde nur als leicht radikalisierte Form des Kapitalismus empfunden. Den Antifaschisten warfen sie vor, die Priorität -- die Revolution -- zurückzustellen. Nicht der Kampf gegen die Nazis und für die Freiheit waren den Linksextremisten wichtig, sondern der Klassenkampf der Ausgebeuteten gegen die Ausbeuter. In ihrer Sicht hatte auch Stalin das höchste Ziel verraten.
Das Motiv war nach dem Krieg, an dessen Ende der Marxismus in Frankreich die intellektuelle Hegemonie übernehmen konnte, in den ersten Ansätzen einer Stalinismuskritik von links auszumachen: So folgenreich und verdienstvoll sie gewesen sein mag, sie blieb von einem Ausschließlichkeitsdenken geprägt, das sich weigerte zwischen den "Blöcken" -- zwischen den Stalinisten und den Kapitalisten, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten wesentliche Unterschiede auszumachen. Als Ende der siebziger Jahre der Niedergang des Marxismus zur unabwendbaren Tatsache wurde, wollten und konnten die ultralinken Kreise, diese Veränmderung, die sie zum Teil initiiert hatten, weder mitmachen noch nachvollziehen. Ihre Verweigerung der antitotalitären Aufklärung führte sie in den Revisionismus.
Über den wechselnden Engagements der Linksextremisten im Nachkrieg stand stets -- und lange unausgesprochen -- auf emblematische Weise der Genozid schlechthin Man spielte -- seit Sartre -- den Krieg nach und "Antifaschismus". Die epochale Aufarbeitung der Vichy-Verdrängung, mit dem Marxismus als Überbau, hat über eim Vielzahl von Übertragungen an den Ausgangspunkt zurückgeführt -- und die Schoa ins Zentrum gerückt. Ob Kolonialisierung oder Ruanda: Der Genozid an den Juden blieb stets das unerreichbare absolute Grauen. Und von Castro über Mao und Che Guevara bis zu Pol Pot hat sich die Identifikation mit dem "Freiheitskampf" in der Dritten Welt vor allem als Etappenlauf der französischen Vergangenheitsbewältigung erwiesen. Diese Einsicht relativiert das jeweilige Engagement -- und stellt seine revolutionäre Reinheit in Frage.
Neuer Sinn der Geschichte
Wenn nun aber der Genozid, als Maß und Bezugspunkt der ganzen Nachkriegskultur, keiner war, bekommen diese Kämpfe jenseits ihrer psychoanalytischen Funktion aufs neue einen Sinn. Sie werden aufgewertet. Für die marxistischen Dogmatiker, die sich nicht mit dem Verlust des Sinns in der Geschichte abfinden können, wird der Revisionismus zum ideologischen Rettungsanker. Er wahrt die Reinheit der Revolution, die im Prozeß der Aufarbeitung aus dem politischen Horizont verschwunden ist: Sie wurde von der antitotalitären Aufklärung ausgehöhlt und richtiggehend verschlissen. Sie hat aber auch zu einer unerträglichen Nivellierung und Banalisierung geführt. Die historischen Proportionen sind völlig verzerrt. Der ultralinke Negationismus ist eine hysterische Begleiterscheinung der epochalen Aufarbeitungen, zu deren Erscheinungen die Gleichsetzung von Le Pen mit Hitler gehört.
Man darf die Verbreitung der Auschwitz-Lüge nicht unterschätzen. Seit ein paar Jahren finden die Auseinandersetzungen vor allem im Kreise der Krimiautoren statt -- deren Werke als einzige der zeitgenössischen Literatur links engagiert sind. "Der Schoß ist fruchtbar noch", erklärt derrenommierte Schriftsteller Gilles Perrault, und meint die soziale Ungerechtigkeit. Er hat zwar die Gaskammern selber nie direkt geleugnet, aber die Propagandisten der Auschwitz-Lüge unterstützt. Perrault -- wie viele andere beschreibt den Kapitalismus mit den stärksten Metaphern des Antifaschismus: "Das Tier kann nur zermalmt werden, wenn man unser ungerechtes Gesellschaftssystem zerschlägt."
Die Veröffentlichung des "Schwarzbuchs der kommunistischen Verbrechen" hat die Revisionismusdebatte nochmals verschärft. Die linken Negationisten bezeichnen die Bilanz als Fälschung und rechnen die weltweit fünfundachtzig Millionen Toten des Kommunismus gegen die "Opfer der kapitalistischen Verbrechen auf". Damit meinen sie die Massaker der französischen Armee in den Kolonien wie auch die Toten des Kriegs in Vietnam, gegen den Irak und anderswo. Die rechten Revisionisten bejubeln die Bilanz und finden über den Antiamerikanismus und Antikapitalismus zu den Ultramarxisten.
Der Kurzschluß zwischen den ideologischen Extremen fand statt, als "La Vieille Taupe" auf dem Höhepunkt der Marximusüberwindung die rechten Negationisten (wie Faurisson, Roques) zu verteidigen und zu verlegen begann. Sie publizierte auch das jüngste Pamphlet des ehemaligen Stalinisten, Katholiken, Ökologen Roger Garaudy, der 1981 französischer Staatspräsident werden wollte, nach dem Scheitern seiner Kandidatur zum Muslim mutierte und nicht ganz unerwartet im Lager der Negationisten landete. Frühere Stationen seines Irrwegs hat er nie kritisch hinterfragt: Die Kommunisten irren sich erst, seit sie ihn -- nach Prag -- ausgeschlossen haben. Seine neuen Überzeugungen vertritt der mehrfache Renegat mit einem blinden Fanatismus, der ihn früher schon auszeicbnete.
Auch Roger Garaudys negationistischer Wahn ist durchtränkt von Reminiszenzen der Vichy-Vergangenheit. In der ägyptischen Zeitung "Le Progres" (27. Oktober 1996) vergleicht er das Abkommen von Oslo mit dem Waffenstillstandsvertrag "zwischen Hitler und Petain" das den Franzosen "die Hälfte Frankreichs gelassen hat" Die Juden werden zu Nazis: Israel und Hitler betreiben eine "analoge Politik". Man besetzt ein fremdes Land und nennt die Kämpfer des nationalen Widerstands -- der "Resistance" -- Terroristen. Zum Höhepunkt seines Versuchs eines systematischen Rollentauschs kommt Roger Garaudy mit den Massakern von Sabra und Schatila: Nach der Okkupation "mußten die Palästinenser nur noch physisch eliminiert werden" Das leistete das "seit Jahren programmierte" Massaker, das indes keineswegs von Juden verübt worden war: "Die israelischen Truppen hatten die Lager umzingelt, um den Phalangisten die Vollbringung ihres Werks zu erlauben." Gegen diese Deutung hatte schon zur Zeit der Ereignisse, denen der Dramatiker Jean Genet praktisch als Augenzeuge des Grauens einen eindrücklichen Bericht widmete, Simone de Beauvoir protestiert.
Unverhoffte Alterskarriere
In Garaudys Revisionismus steckt allerdings auch viel politisches Kalkül. Er hat ihm, als ihn hierzulande niemand mehr ernst zu nehmen vermochte, in den arabischen Ländern eine unverhoffte Alterskarriere ermöglicht. Die Botschaft seines Buchs ist klar: Die Gaskammern sind der zentrale Stützfeiler der Holocaust-Religion, und diese ist Israels Staatsideologie. Wenn der Pfeiler gestürzt werden kann, bricht das Genozidsystem zusammen und Israel verliert seine Existensberechtigung seinen "Gründungsmythos", wie es schon im Titel heißt. Seine Kenntnis der Religionsgeschichte erlaubt es Garaudy, sein abstruse antijüdische Demonstration bis auf biblische Zeiten zurückzuführen.
Es ist beileibe nicht sein erstes Buch gegen Israel. Schon zuvor hat er ble Propagandaschriften im Solde seiner neuen Freunde verfaßt, für deren Pressearbeit auch schon mal die syrische Botschaft gesorgt hatte. In "Le Progrés" behauptet er daß Israel schon 1976 ber ein "Bombenarsenal vom Typus Hiroshima" verfügt hat Golfkrieg, der nur wegen der Lobby der Juden und des Kapitals geführt worden sei, bezog er für den Irak Stellung. Seit der Anklage wegen seines Auschwitz-Negationismus, für den er im populären Abbé Pierre vorübergehend einen Mitstreiter fand, wird Garaudy in den arabischen Ländern zum "Salman Rushdie des Westens" hochstilisiert. Mit seihem Protest hat Tahar Ben Jeloun die Ehre der ansonsten schweigenden arabischen Intellektuellen gerettet.
Einmal abgesehen davon, daß die beiden Fälle sehr unterschiedlich liegen, riskiert Garaudy im Gegensatz zu Rushdie, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt ist und der im Exil permanent in Todesgefahr steckt, rein gar nichts: Er kann nur gewinnen. Ein Freispruch wäre ein Persilschein für die Auschwitz-Lügner und käme fast schon einer juristischen Anerkennung ihrer Thesen gleich.
Fast schlimmer noch werden die Auswirkungen einer -- wahrscheinlich -- symbolischen Verurteilung sein. Hierzulande werden sich die Unbelehrbaren auch von ihr nicht beeindrucken lassen. Zudem wird sie dem ehemalige KPF-Chefideologen und Mitglied des Zentralkomitees den heißersehnten Status eines Märtyrers des Abendlandes vermitteln. Roger Faurisson, die bekannteste Figur der französischen Revisionistensekte, kündet in "National Hebdo" an, daß ein paar arabische Länder, "die der Prozeß irritiert" den Fall Garaudy und Auschwitz vor die Unesco, die das ehemalige Konzentrationslager in ihrem Inventar der schützenswerten Monumente führt bringen wollen: denn eine Gaskammer, die den Touristen als "authentisch" präsentiert werde, sei ein Nachbau, also eine Fälschung, und es gebe auch kein Original, mit dem sie "identisch" wäre.
In diesem Dilemma kann man sich vom bisher spektakulärsten Pariser Revisionismusprozeß bestenfalls eine fundierte Urteilsbegründung erhoffen. Doch auch sie wird weder das Unbehagen an diesem Verfahren noch seine perversen Nebeneffekte aus der Welt schaffen. Helfen können wohl einzig ein bißchen Gelassenheit und Geduld: Wenn die Vergangenheitsbewältigung erst einmal vollendet sein wird, werden wohl auch ihre Delirien zurückgehen und verschwinden. Garaudy und seine trüben Genossen sind ein Fall für Historiker und Politiker, auch Psychiater; nicht aber für Gerichte. Eine Gesellschaft, welche die Auschwitz-Lüge mit Paragraphen zu bekämpfen versucht, dankt ab und beruhigt nur noch ihr Gewissen.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Februar 1998, S. 37
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