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Er ist mit der Maschine und auf deutsch geschrieben. Er stammt vom 4. Mai 1945. Er ist nicht unterschrieben.
Er besteht aus 24 numerierten Halbseiten von 1 bis 24 sowie einer weiteren Halbseite zu Seite sieben. Diese Halbseite ist mit der Hand geschrieben und zwischen den Halbseiten sieben und acht (vgl. S. 73) eingefügt. Es gibt weiterhin acht Halbseiten Ergänzungen.
Es handelt sich um das LKA-Dokument Nummer 31; es ist nicht das Original. Dies, so LKA-Direktor Dr. Steinberg, sei nicht wiedergefunden worden. Elfriede Gerstein hat dem LKA in Bielefeld T3 am 31.Juli 1972 zurückgegeben.
Wir besitzen Ablichtungen im Format 21x29,5. Auf jeder Ablichtung befinden sich zwei Halbseiten. Die Ablichtungen sind oben rechts mit der Hand numeriert und reichen von 244 bis 261. [Die Fehler sind echt.]
Tübingen-Württemberg, Gartenstrasse 24
z. Zt. Rottweil, den 4. Mai 1945
Zur Person: Kurt Gerstein, Bergassessor außer Dienst, Diplomingenieur, am 27. September 1936 wegen staatsfeindlicher Betätigung aus dem Höheren Preußischen Bergdienst entfernt.
Geboren am 11. August 1905 zu Münster/Westfalen. Teilhaber der Maschinenfabrik De Limon Fluhme & Co zu Düsseldorf, Industriestraße 1-17, Spezialfabrik für automatische Schmieranlagen für Lokomotiven, Knorr- und Westinghouse-Bremsen.
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Vater: Landgerichtspräsident Ludwig E. Gerstein, Landgerichtspräsident in Hagen/Westf., außer Diensten.
Mutter: Clara Gerstein, geb. Schmemann, gestorben 1931.
Verheiratet seit 1937 mit Elfriede Bensch in Tübingen, Gartenstraße 24. Drei Kinder: Arnulf 5 Jahre, Adelheid 3 1/2 Jahre, Olaf 2 Jahre.
Lebenslauf: 1905-1910 in Münster/Westf., 1910-1919 in Saarbrücken, 1919-1921 Halberstadt, 1921-1925 Neuruppin bei Berlin. Dort 1925 Abitur am humanistischen Gymnasium. Studien: Universität Marburg/Lahn 1925-1927, Berlin 1927-1931. Technische Hochschule Aachen 1927. DiplomingenieurExamen 1931 in Berlin-Charlottenburg.
Seit 1925 aktives Mitglied der organisierten evangelischen Jugend (CVJM = YMCA und der Bibelkreise an höheren Schulen). -- Politische Betätigung: Aktiver Anhänger von Brüning und Stresemann. -- Seit Juni 1933 von der Gestapo verfolgt wegen christlicher Betätigung gegen den Nazie-Staat. -- Am 2. Mai 1933 Eintritt in die NSDAP, am 2. Oktober 1936 Ausschluß aus der NSDAP wegen staatsfeindlicher (religiöser) Betätigung für die Bekenntnis-Kirche. Gleichzeitig Ausschluß als Beamter aus dem Staatsdienst. - Am 30. Januar 1935 wegen Störung einer Partei-Weihefeier im Stadttheater Hagen/Westfalen -- Aufführung des Dramas Wittekind -- offentlich verprügelt und verletzt.
Am 27. Oktober 1935 Bergassessor-Examen vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin, sämtliche Examen mit Prädikat. Bis zur Verhaftung am 27. September 1938 Staatsbeamter der Saargruben-Verwaltung in Saarbrücken. Diese erste Verhaftung erfolgte wegen Versendung von 8500 staats(nazi-)feindlichen Broschüren an samtliche Ministerialdirektoren und hohen Justizbeamten in Deutschland.
Einem Lieblingswunsch entsprechend, studierte ich alsdann in Tüubingen am Deutschen Institut für Arztliche Mission Medizin. Dies wurde mir durch meine wirtschaftliche [66] Unabhangigkeit ermöglicht. Als Teilhaber der Firma DQ,Limon Fluhme & Co. in Düsseldorf bezog ich ein durchschnittliches Einkommen von jährlich 18000 Reichsmark. Etwa ein Drittel dieses Einkommens pflegte ich für meine religiosen Ideale auszugeben. Insbesondere habe ich rund 230000 religiöse und nazifeindliche Broschüren drucken lassen und dieselben auf meine Kosten an Interessenten versandt.
Am 14.Juli 1938 erfolgte meine zweite Verhaftung und Einlieferung in das Konzentrationslager Welzheim wegen staatsfeindlicher Betätigung. Ich wurde vorher häufig von der Gestapo verwarnt und verhört und bin mit einem Redeverbot für das ganze Reichsgebiet belegt worden.
Als ich von der beginnenden Umbringung der Geisteskranken in Grafeneck und Hadamar und andernorts hörte, beschloß ich, auf jeden Fall den Versuch zu machen, in diese Öfen und Kammern hineinzuschauen, um zu wissen, was dort geschieht. Dies um so mehr, als eine angeheiratete Schwägerin, Bertha Ebeling, in Hadamar zwangsgetötet wurde. Mit zwei Referenzen der Gestapobeamten, die meine Sachen bearbeiten, gelang es mir unschwer, in die SS einzutreten. Die Herren waren der Ansicht, daß mein Idealismus, den sie wohl bewunderten, der Nazie-Sache zugute kommen müßte.--
Am 10. Marz 1941 trat ich in die SS ein. Ich erhielt meine Grundausbildung in Hamburg-Langenhoorn, in Arnhem (Holland) und in Oranienburg. In Holland nahm ich sofort die Fühlung mit der holländischen Widerstandsbewegung auf (Diplomingenieur Ubbink, Doesburg).
Wegen meines Doppelstudiums wurde ich bald in den technisch-ärztlichen Dienst übernommen und dem SS-Führungshauptamt, Amtsgruppe D-Sanitätswesen der Waffen-SS, Abteilung Hygiene, zugeteilt. Die Ausbildung machte ich mit einem Ärztekursus von 40 Ärzten.
Beim Hygienedienst könnte ich mir meine Tatigkeit selbst bestimmen. Ich konstruierte fahrbare und ortsfeste Desinfektionsanlagen für die Truppe, für Gefangenenlager und [67] Konzentrationslager. Hiermit hatte ich unverdientermaßen große Erfolge und wurde von da ab für eine Art technisches Genie gehalten. In der Tat gelang es wenigstens, die schreckliche Fleckfieberwelle von 1941 in den Lagern einigermaßen einzudämmen. Wegen meiner Erfolge wurde ich bald Leutnant und Oberleutnant.
Weihnachten 1941 erhielt das Gericht, das meinen Ausschluß aus der NSDAP verfügt hatte, Kenntnis von meinem Eintritt in die SS an führender Stelle. Es folgte ein starkes Kesseltreiben gegen mich. Aber wegen meiner großen Erfolge und wegen meiner Persönlichkeit wurde ich von meiner Dienststelle geschutzt und gehalten. Im Januar 1942 wurde ich Abteilungsleiter der Abteilung Gesundheitstechnik und gleichzeitig in Doppelstellung für den gleichen Sektor vom Reichsarzt SS und Polizei übernommen. Ich übernahm in dieser Eigenschaft den ganzen technischen Desinfektionsdienst einschließlich der Desinfektion mit hochgiftigen Gasen.
In dieser Eigenschaft erhielt ich am 8. Juni 1942 Besuch von dem mir bis dahin unbekannten SS-Sturmbannfuhrer Günther vom Reichssicherheitshauptamt, Berlin W, Kurfurstenstraße. Günther kam in Zivil. Er gab mir den Auftrag, sofort für einen außerst geheimen Reichsauftrag 100 kg Blausäure zu beschaffen und mit dieser mit einem Auto zu einem unbekannten Ort zu fahren, der nur dem Fahrer des Wagens bekannt sei. Wir fuhren alsdann einige Wochen später nach Prag. Ich könnte mir ungefahr die Art des Auftrages denken, übernahm ihn aber, weil mir hier durch Zufall sich eine von mir seit langem ersehnte Gelegenheit ergab, in diese Dinge hineinzuschauen. Auch war ich als Sachverstandiger für Blausäure so autoritär und kompetent, daß es mir auf jeden Fall ein leichtes sein mußte, die Blausäure unter irgendeinem Vorwand als untauglich -- weil zersetzt oder dgl. -- zu bezeichnen und ihre Anwendung für den eigentlichen Tötungszweck zu verhindern. Mit uns fuhr noch -- mehr zufallig -- der Professor Dr. med. Pfannenstiel, SS-Obersturmführer, Ordinarius der Hygiene an [68] der Universität Marburg (Lahn). Wir fuhren alsdann mit dem Wagen nach Lublin, wo uns der SS-Gruppenfuhrer Globocnek (er heißt Globocnik; das wußte Gerstein auf jeden Fall, d. Verf.) erwartete. In der Fabrik in Collin hatte ich absichtlich durchblicken lassen, daß die Säure für die Tötung von Menschen bestimmt sei. Prompt erschien dann auch nachmittags ein Mensch, der sich sehr stark für das Fahrzeug interessierte und, als er bemerkt wurde, in rasender Fahrt floh.
Globocnek sagte: Diese ganze Angelegenheit ist eine der geheimsten Sachen, die es zur Zeit überhaupt gibt, man kann sagen: die geheimste. Wer darüber spricht, wird auf der Stelle erschossen.
Erst gestern seien zwei Schwätzer erschossen worden. Dann erklärte er uns: Im Augenblick -- das war am 17. August 1942 -- haben wir drei Anstalten in Betrieb, nämlich:
1 Belcec, an der Chaussee und Bahnstrecke Lublin-Lamberg an der Schnittlinie mit der Demarkationslinie mit Rußland. Höchstleistung pro Tag 15Personen.
2 Sobibor. Auch in Polen, ich weiS nicht genau, wo. 20Personen Höchstleistung pro Tag.
3 Tréblinca, 120 km nordnordostlich von Warschau. Höchstleistung 25Personen pro Tag.
Belcec, Treblinka und Maidanek habe ich persönlich eingehend mit dem Leiter dieser Anstalten, dem Polizeihauptmann Wirth, zusammen besichtigt.
Globocnek wendete sich ausschließlich an mich und sagte: Es ist Ihre Aufgabe, insbesondere die Desinfektion des sehr umfangreichen Textilgutes durchzuführen. Die ganze Spinnstoffsammlung ist doch nur durchgeführt worden, um die Herkunft des Bekleidungsmaterials für die Ostarbeiter usw. zu erklären und als ein Ergebnis des Opfers des Deutschen Volkes darzustellen. In Wirklichkeit ist das Aufkommen unserer Anstalten das 10-20fache der ganzen Spinnstoffsammlung.
[69] Ihre andere, noch weit wichtigere Aufgabe ist die Umstellung unserer Gaskammern, die jetzt mit Dieselauspuffgasen arbeiten, auf eine bessere und schnellere Sache. Ich denke da vor allem an Blausäure. Vorgestern waren der Führer und Himmler hier. Auf ihre Anweisung muß ich Sie persönlich dorthin bringen, ich soll niemand schriftliche Bescheinigungen und Einlaßkarten ausstellen. -- Darauf fragte Pfannenstiel: Was hat denn der Führer gesagt? -- Glob.: Schneller, schneller die ganze Aktion durchführen! Sein Begleiter, der Ministerialrat Dr. Herbert Lindner, [Linden] hat dann gefragt: Herr Globocnec, halten Sie es für gut und richtig, die ganzen Leichen zu vergraben, anstatt sie zu verbrennen? Nach uns könnte eine Generation kommen, die das Ganze nicht versteht! -- Darauf Glb.: Meine Herren, wenn je nach uns eine Generation kommen sollte, die so schlapp und so knochenweich ist, daß sie unsere große Aufgabe nicht versteht, dann allerdings ist der ganze Nationalsozialismus umsonst gewesen. Ich bin im Gegenteil der Ansicht, daß man Bronzetafeln versenken sollte, auf denen festgehalten ist, daß wir, wir den Mut gehabt haben, dieses groSe und so notwendige Werk durchzuführen. -- Darauf der Führer: Gut, Globocnek, das ist allerdings auch meine Ansicht ! -- Später hat sich die andere Ansicht durchgesetzt. Die Leichen sind dann auf großen Rosten, die aus Eisenbahnschienen improvisiert wurden, verbrannt worden unter Zuhilfenahme von Benzin und Dieselöl.
Am anderen Tage fuhren wir nach Belcek. Ein kleiner Spezialbahnhof war zu diesem Zweck an einem Hugel hart nordlich der Chaussee Lublin-Lemberg im linken Winkel der Demarkationslinie geschaffen worden. Südlich der Chaussee einige Häuser mit der Inschrift "Sonderkommando Belcec der Waffen-SS". Da der eigentliche Chef der gesamten Tötungsanlagen, der Polizeihauptmann Wirth, noch nicht da war, stellte Globocnec mich dem SS-Hauptsturmführer Obermeyer [70] (aus Pirmasens) vor. Dieser ließ mich an jenem Nachmittag nur das sehen, was er mir eben zeigen mußte. Ich sah an diesem Tage keine Toten, nur der Geruch der ganzen Gegend im heißen August war pestilenzartig, und Millionen von Fliegen waren überall zugegen.
Dicht bei dem kleinen 2gleisigen Bahnhof war eine große Baracke, die sogenannte Garderobe, mit einem großen Wertsachen-Schalter. Dann folgte ein Zimmer mit etwa 100 Stühlen, der Friseurraum. Dann eine kleine Allee im Freien unter Birken, rechts und links von doppeltem Stacheldraht umsaumt, mit Inschriften: Zu den Inhalier- und Baderaumen!
Vor uns eine Art Badehaus, rechts und links davor große Betontöpfe mit Geranien, dann ein Treppchen und dann rechts und links je drei Räume 5 x 5 m, 1 ,90 m hoch, mit Holztüren wie Garagen. An der Rückwand, in der Dunkelheit nicht recht sichtbar, große hölzerne Rampentüren. Auf dem Dach als "sinniger kleiner Scherz" der Davidstern! ! -- Vor dem Bauwerk eine Inschrift: Heckenholt-Stiftung! -- Mehr habe ich an jenem Nachmittag nicht sehen können. - Am anderen Morgen um kurz vor sieben Uhr kündigt man mir an: In zehn Minuten kommt der erste Transport!
Tatsächlich kam nach einigen Minuten der erste Zug von Lemberg aus an. 45 Waggons mit 6700 Menschen, von denen 1450 schon tot waren bei ihrer Ankunft. Hinter den vergitterten Luken schauten, entsetzlich bleich und ängstlich, Kinder durch, die Augen voll Todesangst, ferner Männer und Frauen. Der Zug fährt ein: 200 Ukrainer reißen die Türen auf und peitschen die Leute mit ihren Lederpeitschen aus den Waggons heraus. Ein großer Lautsprecher gibt die weiteren Anweisungen: Sich ganz ausziehen, auch Prothesen, Brillen usw. Die Wertsachen am Schalter abgeben, ohne Bons oder Quittung. Die Schuhe sorgfältig zusammenbinden (wegen der Spinnstoffsammlung), denn in dem Haufen von reichlich 25 Meter Höhe hätte sonst niemand die zugehörigen Schuhe wieder zusammenfinden können. Dann die Frauen und jungen Mädchen [71] zum Friseur, der mit zwei, drei Scherenschlägen die ganzen Haare abschneidet und sie in Kartoffelsacken verschwinden läßt. "Das ist für irgendwelche Spezialzwecke für die U-Boote bestimmt, für Dichtungen oder dergleichen," sagt mir der SSUnterscharführer, der dort Dienst tut.
Dann setzt sich der Zug der Menschen in Bewegung. Voran ein bildhübsches junges Mädchen, so gehen sie die Allee entlang, alle nackt, Männer, Frauen, Kinder, ohne Prothesen. Ich selbst stehe mit dem Hauptmann Wirth oben auf der Rampe zwischen den Kammern. Mütter mit ihren Säuglingen an der Brust, sie kommen herauf, zögern, treten ein in die Todeskammern! An der Ecke steht ein starker SS-Mann, der mit pastoraler Stimme zu den Armen sagt: Es passiert euch nicht das Geringste! Ihr mußt nur in den Kammern tief Atem holen, das weitet die Lungen, diese Inhalation ist notwendig wegen der Krankheiten und Seuchen. Auf die Frage, was mit ihnen geschehen wurde, antwortet er: Ja, natürlich, die Männer müssen arbeiten, Häuser und Chausseen bauen, aber die Frauen brauchen nicht zu arbeiten. Nur wenn sie wollen, können sie im Haushalt oder in der Küche mithelfen. -- Für einige von diesen Armen ein kleiner Hoffnungsschimmer, der ausreicht, daß sie ohne Widerstand die paar Schritte zu den Kammern gehen. Die Mehrzahl weiß Bescheid, der Geruch kündet ihnen ihr Los! -- So steigen sie die kleine Treppe herauf, und dann sehen sie alles. Mütter mit Kindern an der Brust, kleine, nackte Kinder, Erwachsene, Männer und Frauen, alle nackt; sie zögern, aber sie treten in die Todeskammern, von den anderen hinter ihnen vorgetrieben oder von den Lederpeitschen der SS getrieben. Die Mehrzahl, ohne ein Wort zu sagen. Eine Jüdin von etwa 40 Jahren mit flammenden Augen ruft das Blut, das hier vergossen wird, über die Mörder. Sie erhält fünf oder sechs Schläge mit der Reitpeitsche ins Gesicht, vom Hauptmann Wirth persöonlich; dann verschwindet auch sie in der Kammer.
Viele Menschen beten. Ich bete mit ihnen, ich drücke mich in [72] eine Ecke und schreie laut zu meinem und ihrem Gott. Wie gern wäre ich mit ihnen in die Kammern gegangen, wie gern wäre ich ihren Tod mitgestorben! Sie hätten dann einen » uniformierten SS-Offizier in ihren Kammern gefunden, die Sache ware als Unglücksfall aufgefaßt und behandelt worden und sang- und klanglos verschollen. Noch also darf ich nicht, ich muß noch zuvor kunden, was ich hier erlebe!
Die Kammern füllen sich. Gut vollpacken! So hat es der Hauptmann Wirth befohlen. Die Menschen stehen einander auf den Füßen, 700 bis 800 auf 25 Quadratmetern, in 45 Kubikmetern! Die SS zwangt sie physisch zusammen, soweit es überhaupt geht.
Die Türen schließen sich. Währenddessen warten die anderen draußen im Freien, nackt. Man sagt mir: auch im Winter genauso ! - Ja, aber sie können sich ja den Tod holen, sage ich. Ja, grad for das sinn se ja doh! sagt mir ein SS-Mann darauf in seinem Platt.
Jetzt endlich verstehe ich auch, warum die ganze Einrichtung "Heckenholt-Stiftung" heißt. Heckenholt ist der Chauffeur des Dieselmotors, ein kleiner Techniker, gleichzeitig der Erbauer der Anlage. Mit den Dieselauspuffgasen sollen die Menschen zu Tode gebracht werden. Aber der Diesel funktioniert nicht! Der Hauptmann Wirth kommt. Man sieht, es ist ihm peinlich daß das gerade heute passieren müss, wo ich hier bin. Jawohl, ich sehe alles! Und ich warte. Meine Stoppuhr hat alles brav registriert. 50 Minuten, 70 Minuten --, der Diesel springt nicht an! Die Menschen warten in ihren Gaskammern. Vergeblich. Man hört sie weinen, schluchzen. "Wie in der Synagoge" bemerkt der Professor Pfannenstiel, das Ohr an der Holztür. Der Hauptmann Wirth schlägt mit seiner Reitpeitsche dem Ukrainer, der dem Unterscharführer Heckenholt beim Diesel helfen soll, zwolf-, dreizehnmal ins Gesicht. D.
Nach 2 Stunden 49 Minuten die Stoppuhr hat alles wohl registriert! - springt der Diesel an. Bis zu diesem Augenblick leben die Menschen in diesen vier Kammern, viermal 750 [73] Menschen in viermal 45 Kubikmetern! -- Von neuem verstreichen 25 Minuten. Richtig, viele sind jetzt tot. Man sieht das durch das kleine Fensterchen, in dem das elektrische Licht die Kammer einen Augenblick beleuchtet. Nach 28 Minuten leben nur noch wenige. Endlich, nach 32 Minuten ist alles tot!
Von der anderen Seite öffnen Männer vom Arbeitskommando die Holztüren. Man hat ihnen -- selbst Juden -- die Freiheit versprochen und einen gewissen Promillesatz von allen gefundenen Werten für ihren schrecklichen Dienst. Wie Basaltsäulen stehen die Toten aufrecht aneinandergepreßt in den Kammern. Es wäre auch kein Platz, hinzufallen oder auch nur sich vornüber zu neigen. Selbst im Tode noch kennt man die Familien. Sie drücken sich, im Tode verkrampft, noch die Hände, so daß man Mühe hat, sie auseinanderzureißen, um die Kammern für die nächste Charge freizumachen.
Man wirft die Leichen, naß von Schweiß und Urin, kotbeschmutzt, Menstruationsblut an den Beinen, heraus. Kinderleichen fliegen durch die Luft. Man hat keine Zeit, die Reitpeitschen der Ukrainer sausen auf die Arbeitskommandos. Zwei Dutzend Zahnärzte öffnen mit Haken den Mund und schauen nach Gold. Gold links, ohne Gold rechts. Andere Zahnärzte brechen mit Zangen und Hammern die Goldzähne und Kronen aus den Kiefern.
Unter allen springt der Hauptmann Wirth herum. Er ist in seinem Element. -- Einige Arbeiter kontrollieren Genitalien und After nach Gold, Brillanten und Wertsachen. -- Wirth ruft mich heran: Heben Sie mal diese Konservenbüchse mit Goldzähnen, das ist nur von gestern und vorgestern! In einer unglaublich gewöhnlichen und falschen Sprechweise sagt er zu mir: Sie glauben gar nicht, was wir jeden Tag finden an Gold und Brillanten -- er sprach es mit zwei l -- und Dollar. Aber schauen Sie selbst!
Und nun führte er mich zu einem Juwelier, der alle diese Schätze zu verwalten hatte, und ließ mich dies alles sehen. Man zeigte mir dann noch einen früheren Chef des Kaufhauses [74] des Westens in Berlin und einen Geiger: Das ist ein Hauptmann von der alten kaiserlich-königlichen österreichischen Armee, Ritter des Eisernen Kreuzes I. Klasse, der jetzt Lageraltester beim jüdischen Arbeitskommando ist!
Die nackten Leichen wurden auf Holztragen nur wenige Meter weit in Gruben von 100x20x12 Meter geschleppt. Nach einigen Tagen gärten die Leichen hoch und fielen alsdann kurze Zeit später stark zusammen, so daß man eine neue Schicht auf dieselben draufwerfen könnte. Dann wurden 10 cm Sand darüber gestreut, so daß nur noch vereinzelte Köpfe und Arme herausragten. Ich sah an einer solchen Stelle Juden in den Grabern auf den Leichen herumklettern und arbeiten. Man sagte mir, daß versehentlich die tot Angekommenen eines Transportes nicht entkleidet worden seien. Dies müsse natürlich wegen der Spinnstoffe und Wertsachen, die sie sonst mit ins Grab nähmen, nachgeholt werden.
Weder in Belcec noch in Treblinka hat man sich irgendeine Mühe gegeben, die Getöteten zu registrieren oder zu zählen. Die Zahlen waren nur Schätzungen nach dem Waggoninhalt. -- Außer den Juden aus aller europäischen Herren Ländern wurden insbesondere Tschechen und Polen Nr. III. in den Gaskammern getötet.
Kommissionen von SS-Männern -- teils nicht einmal mit kompletter Volksschulbildung -- führen mit feinen Limousinen und ärztlichem Gerät in weißen Mänteln von Dorf zu Dorf, ließen die Bevölkerung vorbeidefilieren, taten, als wenn sie sie ärztlich untersuchten, und bezeichneten diejenigen, die biologisch wertlos und darum zu töten seien, in der Hauptsache Alte, Schwindsüchtige und Kranke. -- Ja, sagte mir ein SS-Sturmbannführer, ohne diese Maßnahmen ware das übervolkerte Polen für uns völlig wertlos. Wir holen nur nach, was die Natur überall im Tier- und Pflanzenreich von selbst besorgt und beim Menschen leider versäumt.
Der Hauptmann Wirth bat mich, in Berlin keine Änderungen [75] seiner Anlagen vorzuschlagen und alles so zu lassen, wie es wäre und sich bestens eingespielt und bewahrt habe.
Die Blausäure habe ich unter meiner Aufsicht vergraben lassen, da sie angeblich in Zersetzung geraten sei.
Am anderen Tage, den 19. August 1942, führen wir mit dem Auto des Hauptmanns Wirth nach Treblinka,120 km NNO von Warschau. Die Einrichtung war etwa dieselbe, nur viel größer als in Belcec. Acht Gaskammern und wahre Gebirge von Koffern, Textilien und Wäsche. Zu unseren Ehren wurde im Gemeinschaftssaal in typisch Himmlerschem altdeutschem Stiel ein Bankett gegeben. Das Essen war einfach, aber es stand alles in jeder Menge zur Verfügung.
Himmler hatte selbst angeordnet, daß die Männer dieser Kommandos soviel Fleisch, Butter und sonstiges erhielten, insbesondere Alkohol, wie sie wollten. Professor Pfannenstiel hielt eine Rede, in der er den Männern die Nützlichkeit ihrer Aufgabe und die Wichtigkeit ihrer groBen Mission klarmachte. Zu mir selbst sprach er von "sehr humanen Methoden und von Schönheit der Arbeit!" Ich verbürge mich dafür, daß er dieses Unglaubliche wirklich gesagt hat ! -- Den Mannschaften sagte er insbesondere: Wenn man diese Judenkörper sieht, dann wird einem erst recht klar, wie dankenswert Eure Aufgabe ist.
Beim Abschied wurden uns noch mehrere Kilogramm Butter und viel Likör zum Mitnehmen angeboten. Ich hatte Mühe, glaubhaft zu machen, daß ich von meinem -- angeblichen -- Gut genug von alledem hätte, worauf Pfannenstiel beglückt auch noch meine Portionen einstrich.
Wir fuhren dann mit dem Auto nach Warschau. Dort traf ich, als ich vergeblich ein Schlafwagenbett zu erhalten versuchte, im Zug den Sekretär der schwedischen Gesandtschaft in Berlin, Baron von Otter. Ich habe noch unter dem frischen Eindruck der entsetzlichen Erlebnisse diesem alles erzählt, mit der Bitte, dies seiner Regierung und den Alliierten sofort zu berichten, da jeder Tag Verzögerung weiteren Tausenden und [76] 10tausenden das Leben kosten müsse. Er bat mich um eine Referenz, als welche ich ihm Herrn Generalsuperintendenten D. Otto Dibelius, Berlin, Brüderweg 2, Lichterfelde West, angab, einen vertrauten Freund des Pfarrers Martin Niemöller und Mitglied der kirchlichen Widerstandsbewegung gegen den Nazismus.
Ich traf den Herrn v. Otter noch zweimal in der schwedischen Gesandtschaft. Er hatte inzwischen nach Stockholm berichtet und teilte mir mit, daß dieser Bericht erheblichen Einfluß auf die schwedisch-deutschen Beziehungen gehabt habe.
Ich versuchte in gleicher Sache dem päpstlichen Nuntius in Berlin Bericht zu erstatten. Dort wurde ich gefragt, ob ich Soldat sei. Darauflhin wurde jede weitere Unterhaltung mit mir abgelehnt und ich zum Verlassen der Botschaft Seiner Heiligkeit aufgefordert. Beim Verlassen der päpstlichen Botschaft wurde ich von einem Polizisten mit dem Rade verfolgt, der kurz an mir vorbeifuhr, abstieg, mich dann aber völlig unbegreiflicherweise laufen ließ. Ich habe dann alles dies Hunderten von Persönlichkeiten berichtet, unter anderem dem Syndikus des katholischen Bischofs von Berlin, Herrn Dr. Winter, mit der ausdrücklichen Bitte um Weitergabe an den päpstlichen Stuhl. -- Ich muß noch hinzufügen, daß der SS-Sturmbannführer Günther vom Reichssicherheitshauptamt -- ich glaube, er ist der Sohn des Rassen-Günthers -- Anfang 1944 nochmals sehr große Mengen Blausäure von mir verlangte für einen sehr dunklen Zweck. Er zeigt mir in der Kurfürstenstraße in Berlin einen Schuppen, in dem er die Blausäure zu lagern gedachte. Ich erklärte ihm darauf, daß ich dafür ausgeschlossenerweise die Verantwortung übernehmen könne. Es handelte sich um mehrere Waggons, genug, um viele Millionen Menschen damit umzubringen. Er sagte mir, daß er selbst noch nicht wisse, ob das Gift gebraucht wurde, wann, für wen, auf welche Weise usw. Aber es musse ständig verfügbar gehalten werden. Ich habe später oft an die Worte von Goebbels denken müssen: "Man werde die Türen hinter sich zuschlagen, falls der [77] Nazismus Schiffbruch erleide." Ich vermute, daß sie eine grossen Teil des deutscuen Volkes töten wollten, sicher einschließlich der Pfarrerschaft oder der mißliebigen Offiziere. Das sollte in einer Art Lesesälen oder Klubräumen geschehen; soviel entnahm ich den Fragen der technischen Durchführung, die Günther an mich richtete. Es kann auch sein, daß er die Fremdarbeiter umbringen sollte oder Kriegsgefangene; ich weiß es nicht.
Auf jeden Fall richtete ich es so ein, daß die Blausäure sofort nach ihrer Ankunft in den beiden Konzentrationslagern Oranienburg und Auschwitz für irgendwelche Zwecke der Desinfektion verschwand. Das war etwas gefahrlich für mich, aber ich hätte einfach sagen können, daß das Gift sich bereits in einer gefahrlichen Zersetzung befunden habe. Ich bin sicher, daß Gunther das Gift beschaffen wollte, um Millionen Menschen eventuell umzubringen. Es reichte für ca. 8 Millionen Menschen. 8500 kg. Über 2175 kg habe ich die Rechnungen eingereicht. Die Rechnungen ließ ich stets auf meinen Namen ausstellen, angeblich wegen der Diskretion, in Wahrheit, um in meiner Verfugung freier zu sein und um das Gift verschwinden lassen zu können. Vor allem verrmied ich es, durch Vorlage von Rechnungen die Sache immer wieder in Erinnerung zu bringen, sondern ließ die Rechnungen lieber völlig unbezahlt unter Vertröstung der Firma.
Der Direktor Dr. Peters der Degesch, Frankfurt a. M. und Friedberg, der diese Lieferung ausgeführt hat, hat mir erzählt, daß er Blausäure in Ampullen zum Töten von Menschen geliefert hat.
Ein anderes Mal fragte mich Günther, ob es möglich sei, in den Festungsgräben von Maria-Theresienstadt Juden, die dort spazierengehen durften, im Freien mit Blausäure zu töten. Um diesen schrecklichen Plan zu vereiteln, erklärte ich dies für unmöglich. Ich habe dann später erfahren, daß das SD-Kommando Maria-Theresienstadt sich auf andere Weise doch Blausäure verschafft und die Juden umgebracht hat.
Die scheußlichsten Konzentrationslager waren übrigens [78] nicht Oranienburg oder Belsen oder Dachau, sondern Auschwitz, wo Millionen Menschen umgebracht worden sind, teils in Gaskammern, teils in sogenannten Todesautos, und Mauthausen-Gusen bei Linz. In Auschwitz war es üblich, Kinder dadurch umzubringen, daß man ihnen Tupfer mit Blausäure unter die Nase hielt.
Ich habe im übrigen selbst im Lager Ravensbrück bei Furstenberg in Mecklenburg, dem Frauenkonzentrationslager, Versuche an Lebenden gesehen. Diese wurden auf Veranlassung von SS-Gruppenführer Dr. Gebhardt-Hohenlychen durch SS-Hauptsturmführer Dr. Gundlach durchgeführt. Auch in Buchenwald wurden derartige Versuche an lebenden Menschen z. B. mit bis zu 100 Tabletten Pervitin durchgeführt, bis unter Umständen zum todlichen Ausgang. Für diese Experimente hatte sich Himmler selbst die Zustimmung vorbehalten. Insbesondere wurden Fleckfieberimpfstoffe und Lymphe sowie andere Sera dort ausprobiert. Die Versuche umfaßten bis zu 100 oder 200 Menschen im Einzelfall, und zwar von der bzw.v.SD Lagerleitung zum Tode Verurteilte. --Ich wunderte mich in Oranienburg, daß innerhalb Tagen alle Homosexuellen -- viele Hunderte -- verschwanden, und zwar in den Öfen.
Ich habe es im übrigen vermieden, allzuoft in Konzentrationslagern zu erscheinen, denn es war manchmal üblich, zu Ehren der Besucher Leute aufzuhängen oder Exekutionen vorzunehmen. Der SS-Hauptsturmführer Dr. Fritz Krantz, der solche Dinge in großer Zahl erlebt hat, erzahlte mir oft hiervon mit tiefer Entrustung. Z. B. wurden in Gusen-Mauthausen fast täglich zahlreiche Juden, die in einem großen Steinbruch arbeiten sollten, die steile Wand heruntergestoßen und unten als tödliche Unglücksfälle registriert. In Auschwitz sind derartige Gemeinheiten ebenfalls in viel größerer Zahl begangen worden als in Belsen . -- Ich hatte das Glück, in meiner Dienststelle einige radikale Antinazis zu treffen, so den SS-Hauptsturmführer und Stabsscharführer Heinrich Holländer, einen guten Katholiken, und den eben genannten Dr. Fritz Krantz.
[79] Holländer gab mir alle interessanten Sachen zur Kenntnis. Seine Frau hat einmal bei einem Essen dem Reichsarzt SS und Polizei, SS-Obergruppenführer Dr. Grawitz, Berlin, gleichzeitig Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, heftige Vorwurfe wegen der Judentötung gemacht. Sie erhielt daraufhin einen erheblichen Rüffel, und es wurde ihr verboten, diese Sache je wieder anzurühren.
Alle meine Angaben sind wörtlich wahr. Ich bin mir der außerordentlichen Tragweite dieser meiner Aufzeichnungen vor Gott und der gesamten Menschheit voll bewußt: und nehme es auf meinen Eid, daß nichts von allem, was ich registriert habe, erdichtet oder erfunden ist, sondern alles sich genauso verhält.
Als Referenzen über meine Person gebe ich an:
Frau Pfarrer Martin Niemöller, z. Zt. Leoni am Starnberger See, Generalsuperintendent D. Dibelius (Otto), Berlin-Lichterfelde.
Pfarrer Dr. Martin Niemoller, Dachau?????
Pfarrer Rehling, Hagen/Westfalen, Lutherkirche
Dorothea Schulz, Sekretärin von Pfarrer Niemöller, Leoni bei München
Dr. Felix Buss, Justitiar von Telefunken, Berlin SW 11.
Direktor Alexander Menne, Direktor der Glasurit-Werke, bis 1939 in England in der Farbindustrie tätig, von Juli 44 bis Februar 45 in SD-Gefängnis.
Präses Dr. Koch, Westf. Bekenntniskirche, Bad Oeynhausen
Pfarrer Buchholz, Anstaltspfarrer von Berlin-Gefängnis Plôtzensee. Er begleitete die Offiziere des 20.Juli 44 zum Schafott.
In Belcec hatte ich den Eindruck, daß alle wirklich tod waren, obwohl mir Hauptmann Wirth erzählte, daß sie die absonderlichsten Dinge erlebt hätten, z. B. ein munter lebendes Kind morgens in einer über Nacht unausgeladen stehengebliebenen Kammer vorgefunden hätten. Namentlich, sagte Wirth, hätten [80] sie bei den Geisteskranken die merkwürdigsten Dinge und die unterschiedlichsten Empfindlichkeiten festgestellt.
Die Erprobung der verschiedenen Tötungsarten wird sich nicht auf große Zahlen erstreckt haben. Aber versucht wurde manches. Z. B. -- wohl auch in größerer Zahl -- Tötungen mit Preßluft in alten Dampfkesseln, in die diese mit Kompressoren eingepreßt wurde, wie diese zum Apshaltaufreißen üblich sind.
In Treblinka hatte ich den Eindruck, daß manche noch lebten. Fast alle hatten die Augen offen und sahen daher entsetzlich aus. Bewegungen habe ich jedoch nicht mehr gesehen, obwohl ich darauf genau aufgepaßt habe.
Von einem geradezu heroischen Sterben erzählte mir mit tiefster Ergriffenheit der SS-Hauptsturmführer Dr. med. Villing aus Dortmund. Es betraf Tausende polnischer Geistlicher, die sich selbst Gruben ausheben muL§ten und dann A ausgezogen vor den Gruben erschossen wurden.
[Blatt 2] Auf die höhnischen Fragen, ob sie nun noch immer an Christus und Maria glaubten, antworteten sie mit einem festen Bekenntnis zu Christus unter Anrufung der Heiligen Mutter Gottes von Tschenstochau. Diess Sterben sei ergreifend und überzeugend gewesen, sagte mir der Dr. Villing. -- Auch andere Intellektuelle in Polen -- namentlich Lehrerinnen und Lehrer - sind auf eine ahnlich vorbildliche anständige Art zu hundertausenden gestorben. Eine mir verbürgt erzählte Todesart war, die Leute die Treppe zu einem Hochofen heraufsteigen zu lassen, sie dort immerhin mit einem Fangschuß zu töten und dann im Ofen verschwinden zu lassen. Auch in Ziegeleirundöfen sollen viele Menschen getötet und verbrannt worden sein. Diese meine Quelle ist jedoch nicht genügend zuverlässig.
Ein hoher Polizeichef von Bromberg, SS-Obersturmbannführer Haller, erzählte mir und den Arzten des SS-Kursus, daß es vor seinem Eintreffen in Bromberg es dort üblich war, Judenkinder in den Wohnungen gleich mit dem Kopf an die Wand zu [81] klacken. Er habe diesen Unfug abgestellt und für Erschießung gesorgt. Besonders [Blatt 3] tragisch sei ihm in Erinnerung, wie zwei kleine Mädchen vor ihnen niedergekniet seien und gebetet hätten -- 5 und 8 Jahre alte -- und wie sie dann doch erschossen werden "mußten" ! ! -- Hall sagte ferner: Bei den Massenhinrichtungen der Polen mußten diese sich lange Gräben ausheben und sich dann auf dem Bauch in diese hineinlegen. Sie wurden alsdann von oben mit Maschinenpistolen erschossen. Die Nächsten mußten sich alsdann auf die noch warmen Leichen drauflegen und wurden gleichfalls erschossen. Viele seien noch gar nicht tot gewesen und muSten dann beim Versuch, aus den 54 Lagen herauszukriechen, am Grabenrand erschossen werden. --
Ein hohes Mitglied der deutschen Regierung in Krakau erzählte mir, während er die Pute trenchierte, von einem besonders glücklichen Fang, den sie gemacht hätten. Sie hätten ein führendes Mitglied der polnischen Widerstandsbewegung gefaßt, einen Juden. Dieser hätte sich beim Verhör in Schweigen gehüllt. Darauf habe man ihm die Handgelenke gebrochen. Auch da noch habe er geschwiegen. Darauf hätte man ihn mit dem Hintern auf eine glühende Herdplatte gesetzt: Sie hätten mal sehen sollen, wie der Kerl gesprächig wurde!!! --
[Blatt 4]. Bei einem Besuch bei der örtlichen Bauleitung der WaffenSS in Lublin am 18. August 1942 erzählten uns die beiden Bausonderführer von einer am Vormittag stattgehabten Besichtigung der Leichenhalle eines SS-Kriegsgefangenenlagers bei Lublin. Dort seien die Leichen zu Tausenden aufgetürmt gewesen. Während sie wegen des Umbaus Messungen durchgeführt hätten, hätten sich plötzlich zwei Menschen bewegt. Der begleitende SS-Rottenführer habe darauf nur gefragt: Wo denn?? -- Dann habe er ein bereitliegendes Stück Rundeisen genommen und den beiden den Schädel eingeschlagen. -- Nicht die Tatsache, meinten die Bauführer, habe sie überrascht, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der das geschah! --
Am Tage meiner Besichtigung in Belcec passierte es, daß [82] eine Jüdin mit einem verborgen gehaltenen Rasiermesser einigen Juden des Arbeitskommandos einige Schnitte in den Hals beibrachte. Wirth bedauerte lebhaft, daß die Frau schon tot sei, sie hätte exemplarisch bestraft werden müssen. -- Die verletzten Arbeitsjuden ließ er sorgfältig pflegen und ärztlich betreuen, [Blatt 5] wie er sagte, um den Glauben wachzuhalten, daß sie angesiedelt, belohnt und am Leben erhalten werden sollten. Er, Wirth, könnte sich selbst nicht genug darüber wundern und amusieren, daß die das glaubten... "Und das glauben die Kerle, das glauben die Kerle!!!" rief er vor sich hin!!
In Belcec wurden nach dem Öffnen der Waggons und dem Entkleiden die Männer und Jungen durch den Lautsprecher aufgefordert, die überall herumliegenden Kleidungsstücke sofort zu den Waggons zu bringen, mit denen sie in einem großen Lager verschwanden. "Wer am besten schafft, kann beim Arbeitskommando bleiben!" -- Nun begann ein Wettlauf auf Leben und Tod dieser nackten Menschen beim Aufräumen unter dem Hohngelächter der Mannschaften. Natürlich verschwanden sie alle nachher in den Gaskammern. Lediglich einige ganz alte und schwache Personen wurden seitwarts getragen und dann erschossen. -- Ich denke an einige für mich tief ergreifende Bilder: An das 3-bis 4jährige Judenbübchen, dem man ein Bündel Bindfäden in die Hand drückte zum Zusammenbinden der Schuhe, wie es versonnen die Bindfäden an die Leute austeilte. Oder an ein kleines Korallenkettchen, das ein kleines Mädchen einen Meter [Blatt 6] vor der Gaskammer verlor: Wie sich ein Bübchen von vielleicht drei Jahren danach bückte, um es aufzuheben, wie es seine Freude daran hat -- und dann in die Kammer gestoßen, nein, in diesem Fall sachte hineingedrückt wird! --
SS-Hauptsturmführer Obermeyer erzählte mir: Ich habe in einem Dorf hier in der Gegend einen Juden nebst Frau aus meiner Heimatstadt Pirmasens angetroffen. Der Mann war im Weltkrieg Wachtmeister und ist ein sehr ordentlicher Kerl. Als Kind hat er mich vor dem Tode des Überfahrenwerdens gerettet. [83] Ich werde jetzt die Leute mitnehmen und in das Arbeitskommando eingliedern. -- Auf meine Frage, was weiter aus den beiden würde, sagte Obermeyer: "Nachher genau wie die andern, da darf man sich nichts von annehmen, da gibt's nur eins! Ich werde sie immerhin erschießen lassen!"
Ich habe auch innerhalb der SS eine größere Anzahl von Leuten angetroffen, die diese Methoden schärfstens verurteilten und die darüber zur Ablehnung oder gar zu einem glühenden Haß gegen den Nationalsozialismus gelangten.
Ich nenne -- auch wieder in letzter Verantwortung -- hier einige Namen:
SS-Sturmbannführer Dr. med. Focht aus Hagen i. Westf., Chef der [Blatt 7] Inneren Abteilung des SS-Lazaretts Berlin.
SS-Hauptsturmführer Dr. med. Nissen, Itzehoe.
SS-Obersturmführer Dr. med. Sorge aus Jena, SS-Hauptscharführer, Stabscharführer beim Reichsarzt SS Heinrich Holländer, Antinazi-Aktivitist und glühender Hasser des Nazismus.
Hauptsturmführer Dr. Fritz Krantz, beim Reichsarzt SS Abteilungsleiter.
SS-Gruppenführer Dr. pharm. Blumenreuther, Oberster Sanitätszeugmeister beim Reichsarzt SS und Polizei.
Dr. Rudolphi, SS-Sturmbannführer, ebendort.
Dr. Behmenburg, ebendort. Rudolphi trat Oktober 44 das Hitlerbild mit den Füßen.
Überhaupt ist es weit gefehlt, die SS auch nur einigermaßen als einen einheitlichen Haufen anzusehen. Ich weiß, wie schwer es ist, da Unterschiede zu machen in der Beurteilung und Behandlung. Ich verstehe, daß man sich an irgendeine Formation besonders halten möchte und kenne die von der SS begangenen Greuel wohl am besten. Aber dabei ist nicht zu übersehen, daß z. B. mindestens zwei Drittel der holländischen SS gezwungen zur SS durch Lug und Betrug, durch sogenannte Sportkurse gepreßt wurde.Ebenso ging es vielen Deutschen namentlich aus der Hitlerjugend, die ahnungslos überrumpelt und übertolpelt wurden. Ferner den vielen, die [84] von der Luftwaffe, der Marine auf Himmlers Veranlassung einfach in die SS gepreßt wurden. Das muß um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen berucksichtigt werden!
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Ende Teil 2
Umschlagentwurf: H. O. Pollähne,
Braunschweig. Übersetzung aus dem Französischen: Günter
Deckert.
Die Reihe DEUTSCHE ARGUMENTE erscheint in Zusammenarbeit mit zahlreichen
deutschen und ausländischen Wissenschaftlern herausgegeben
von Dr. phil. Gert Sudholt.
Die Arbeit von Henri Roques ist im vollen Wortlaut und weiterer
Dokumente unter dem Titel "Faut-il fusiller Henri Roques?"
im Verlag Ogmios Diffusion,1986 erschienen. Internationale Standard-Buchnummer
ISBN 3 8061 1048 4
1986, Druffel-Verlag. Gesamtherstellung: Ebner Ulm.
Man kann die Original Französische Ausgabe hier sehen: La Thèse de
Nantes
Dieser
Text ist -- ohne kommerzielles Interesse -- vom InternationalenSekretariat
der Vereinigung der langjährigen Liebhaber von Kriegs- undHolokaust-Erzählungen
(AAARGH) zu reinen Lehrzwecken ins Netz gesetztworden; er soll
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ARTIKEL 19 der Menschenrechte: <Jederman hat
das Recht auf Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung;
dieses Recht umfaßt die unbehinderte Meinungsfreiheit und
die Freiheit, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen
und Gedankengut durch Mittel jeder Art sich zu beschaffen, zu
empfangen und weiterzugeben.>Vereinigten
Nationen, 10 Dezember 1948.